System die unmittelbar erkannte, oder wie man sagt gefühlte Wahrheit auf den rechten Weg zurückleitet, den Schlüssen Gewalt anthuend; wie man dies z.B. deutlich sieht in der Ethik des Spinoza, welche aus dem egoistischen suum utile quaerere, durch handgreifliche Sophismen, reine Tugendlehre ableitet. Nach Dem, wie ich den Geist der Stoischen Ethik aufgefaßt habe, liegt ihr Ursprung in dem Gedanken, ob das große Vorrecht des Menschen, die Vernunft, welche ihm mittelbar, durch planmäßiges Handeln und was aus diesem hervorgeht, so sehr das Leben und dessen Lasten erleichtert, nicht auch fähig wäre, unmittelbar, d.h. durch bloße Erkenntniß, ihn den Leiden und Quaalen aller Art, welche sein Leben füllen, auf ein Mal zu entziehn, entweder ganz, oder doch beinahe ganz. Man hielt es dem Vorzug der Vernunft nicht angemessen, daß das mit ihr begabte Wesen, welches durch dieselbe eine Unendlichkeit von Dingen und Zuständen umfaßt und übersieht, dennoch durch die Gegenwart und durch die Vorfälle, welche die wenigen Jahre eines so kurzen, flüchtigen, Ungewissen Lebens enthalten können, so heftigen Schmerzen, so großer Angst und Leiden, die aus dem ungestümen Drang des Begehrens und Fliehens hervorgehn, Preis gegeben seyn sollte, und meinte, die gehörige Anwendung der Vernunft müßte den Menschen darüber hinwegheben, ihn unverwundbar machen können. Daher sagte Antisthenes: Dei ktasthai noun, ê brochon (aut mentem parandam, aut laqueum. Plut. de stoic. repugn., c. 14), d.h. das Leben ist so voller Plagen und Hudeleien, daß man entweder, mittelst berichtigter Gedanken, sich darüber hinaussetzen, oder es verlassen muß. Man sah ein, daß die Entbehrung, das Leiden, nicht unmittelbar und nothwendig hervorgieng aus dem Nichthaben; sondern erst aus dem Haben-wollen und doch nicht haben; daß also dieses Haben-wollen die nothwendige Bedingung ist, unter der allein das Nicht-haben zur Entbehrung wird, und den Schmerz erzeugt. Ou penia lypên ergazetai, alla epithymia (non paupertas dolorem efficit, sed cupiditas), Epict., fragm. 25. Man erkannte zudem aus Erfahrung, daß bloß die Hoffnung, der Anspruch es ist, der den Wunsch gebiert und nährt; daher uns weder die vielen, Allen gemeinsamen und unvermeidlichen Uebel, noch die unerreichbaren Güter beunruhigen und plagen; sondern allein das unbedeutende Mehr und Weniger des dem Menschen Ausweichbaren und Erreichbaren; ja, daß nicht nur das absolut, sondern auch schon das relativ Unerreichbare, oder Unvermeidliche, uns ganz ruhig läßt; daher die Uebel, welche unserer Individualität ein Mal beigegeben sind, oder die Güter, welche ihr nothwendig versagt bleiben müssen, mit Gleichgültigkeit betrachtet werden, und daß, dieser menschlichen Eigenthümlichkeit zufolge, jeder Wunsch bald erstirbt, und also keinen Schmerz mehr erzeugen kann, wenn nur keine Hoffnung ihm Nahrung giebt. Aus diesem allen ergab sich, daß alles Glück nur auf dem Verhältniß beruht zwischen unsern Ansprüchen und dem, was wir erhalten: wie groß oder klein die beiden Großen dieses Verhältnisses sind, ist einerlei, und das Verhältniß kann sowohl durch Verkleinerung der ersten Größe, als durch Vergrößerung der zweiten hergestellt werden: und eben so, daß alles Leiden eigentlich hervorgeht aus dem Mißverhältniß dessen, was wir fordern und erwarten, mit dem, was uns wird, welches Mißverhältniß aber offenbar nur in der Erkenntniß liegt28 und durch bessere Einsicht völlig gehoben werden könnte. Daher sagte Chrysippos: dei zên kat' empeirian tôn physei symbainontôn (Stob. Ed., L. 11, c. 7, p. 134), d.h. man soll leben mit gehöriger Kenntniß des Hergangs der Dinge in der Welt. Denn so oft ein Mensch irgendwie aus der Fassung kommt, durch ein Unglück zu Boden geschlagen wird, oder sich erzürnt, oder verzagt; so zeigt er eben dadurch, daß er die Dinge anders findet, als er sie erwartete, folglich daß er im Irrthum befangen war, die Welt und das Leben nicht kannte, nicht wußte, wie durch Zufall die leblose Natur, durch entgegengesetzte Zwecke, auch durch Bosheit, die belebte den Willen des Einzelnen bei jedem Schritte durchkreuzt: er hat also entweder seine Vernunft nicht gebraucht, um zu einem allgemeinen Wissen dieser Beschaffenheit des Lebens zu kommen, oder auch es fehlt ihm an Urtheilskraft, wenn, was er im Allgemeinen weiß, er doch im Einzelnen nicht wiedererkennt und deshalb davon überrascht und aus der Fassung gebracht wird29. So auch ist jede lebhafte Freude ein Irrthum, ein Wahn, weil kein erreichter Wunsch dauernd befriedigen kann, auch weil jeder Besitz und jedes Glück nur vom Zufall auf unbestimmte Zeit geliehn ist, und daher in der nächsten Stunde wieder zurückgefordert werden kann. Jeder Schmerz aber beruht auf dem Verschwinden eines solchen Wahns: Beide also entstehn aus fehlerhafter Erkenntniß: dem Weisen bleibt daher Jubel wie Schmerz immer fern, und keine Begebenheit stört seine ataraxia.
Diesem Geist und Zweck der Stoa gemäß, fängt Epiktet damit an und kommt beständig darauf zurück, als auf den Kern seiner Weisheit, daß man wohl bedenken und unterscheiden solle, was von uns abhängt und was nicht, daher auf Letzteres durchaus nicht Rechnung machen; wodurch man zuverlässig frei bleiben wird von allem Schmerz, Leiden und Angst. Was nun aber von uns abhängt, ist allein der Wille: und hier geschieht nun ein allmäliger Uebergang zur Tugendlehre, indem bemerkt wird, daß, wie die von uns nicht abhängige Außenwelt Glück und Unglück bestimmt, so aus dem Willen innere Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit uns selbst hervorgehe. Nachher aber ward gefragt, ob man den beiden ersteren oder den beiden letzteren die Namen bonum et malum beilegen solle? Das war eigentlich willkürlich und beliebig und that nichts zur Sache. Aber dennoch stritten hierüber unaufhörlich die Stoiker mit Peripatetikern und Epikuräern, unterhielten sich mit der unstatthaften Vergleichung zweier völlig inkommensurabeler Größen und den daraus hervorgehenden, entgegengesetzten, paradoxen Aussprüchen, die sie einander zuwarfen. Eine interessante Zusammenstellung dieser, von der stoischen Seite aus, liefern uns die Paradoxa des Cicero.
Zenon, der Stifter, scheint ursprünglich einen etwas andern Gang genommen zu haben. Der Ausgangspunkt war bei ihm dieser: daß man zur Erlangung des höchsten Gutes, d.h. der Glücksäligkeit durch Geistesruhe, übereinstimmend mit sich selbst leben solle.(homologoumenôs zên; touto d' esti kath hena logon kai symphônon zên. – Consonanter vivere: hoc est secundum unam rationem et concordem sibi vivere. Stob. Ecl. eth., L. II, c. 7, p. 132. Imgleichen: Aretên diathesin einai psyxês symphônon heautê peri holon ton bion. Virtutem esse animi affectionem secum per totam vitam consentientem, ibid., p. 104.) Nun war aber dieses allein dadurch möglich, daß man durchaus vernünftig, nach Begriffen, nicht nach wechselnden Eindrücken und Launen sich bestimmte; da aber nur die Maxime unsers Handelns, nicht der Erfolg, noch die äußern Umstände, in unserer Gewalt sind: so mußte man, um immer konsequent bleiben zu können, allein jene, nicht diese sich zum Zwecke machen; wodurch wieder die Tugendlehre eingeleitet wird.
Aber schon den unmittelbaren Nachfolgern des Zenon schien sein Moralprincip – übereinstimmend zu leben – zu formal und inhaltsleer. Sie gaben ihm daher materialen Gehalt, durch den Zusatz: »übereinstimmend mit der Natur zu leben« (homologoumenos tê physei zên); welches, wie Stobäos a.a.O. berichtet, zuerst vom Kleanthes hinzugesetzt wurde und die Sache sehr ins Weite schob, durch die große Sphäre des Begriffs und die Unbestimmtheit des Ausdrucks. Denn Kleanthes meinte die gesammte allgemeine Natur, Chrysippos aber die menschliche Natur insbesondere (Diog. Laert., 7, 89). Das dieser letzteren allein Angemessene sollte nachher die Tugend seyn, wie den thierischen Naturen Befriedigung thierischer Triebe, wodurch wieder gewaltsam zur Tugendlehre eingelenkt, und, es mochte biegen oder brechen, die Ethik durch die Physik begründet werden sollte. Denn die Stoiker giengen überall auf Einheit des Princips: wie denn auch Gott und die Welt bei ihnen durchaus nicht zweierlei war.
Die Stoische Ethik, im Ganzen genommen, ist in der That ein sehr schätzbarer und achtungswerther Versuch, das große Vorrecht des Menschen, die Vernunft, zu einem wichtigen und heilbringenden Zweck, zu benutzen, nämlich um ihn über die Leiden und Schmerzen, welchen jedes Leben anheimgefallen ist, hinauszuheben, durch eine Anweisung
»Qua ratione queas traducere leniter aevum:Ne te semper inops agitet vexetque cupido,Ne pavor et rerum mediocriter utilium spes.«
und ihn eben dadurch im höchsten Grade der Würde theilhaft zu machen, welche ihm, als vernünftigem Wesen, im Gegensatz des Thieres zusteht, und von der in diesem Sinn allerdings die Rede seyn kann, nicht in einem andern. – Diese meine Ansicht der Stoischen Ethik brachte es mit sich, daß sie hier bei Darstellung dessen,