Die wichtigen Werke von Arthur Schopenhauer. Arthur Schopenhauer
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Daß Zeugung und Tod als etwas zum Leben Gehöriges und dieser Erscheinung des Willens Wesentliches zu betrachten sind, geht auch daraus hervor, daß Beide sich uns als die nur höher potenzirten Ausdrücke Dessen, woraus auch das ganze übrige Leben besteht, darstellen. Dieses nämlich ist durch und durch nichts Anderes, als ein steter Wechsel der Materie, unter dem festen Beharren der Form: und eben das ist die Vergänglichkeit der Individuen, bei der Unvergänglichkeit der Gattung. Die beständige Ernährung und Reproduktion ist nur dem Grade nach von der Zeugung, und die beständige Exkretion nur dem Grade nach vom Tod verschieden. Ersteres zeigt sich am einfachsten und deutlichsten bei der Pflanze. Diese ist durch und durch nur die stete Wiederholung des selben Triebes, ihrer einfachsten Faser, die sich zu Blatt und Zweig gruppirt; ist ein systematisches Aggregat gleichartiger, einander tragender Pflanzen, deren beständige Wiedererzeugung ihr einziger Trieb ist: zur vollständigem Befriedigung desselben steigert sie sich, mittelst der Stufenleiter der Metamorphose, endlich bis zur Blüthe und Frucht, jenem Kompendium ihres Daseyns und Strebens, in welchem sie nun auf einem kurzem Wege Das erlangt, was ihr einziges Ziel ist, und nunmehr mit Einem Schlage tausendfach vollbringt, was sie bis dahin im Einzelnen wirkte: Wiederholung ihrer selbst. Ihr Treiben bis zur Frucht verhält sich zu dieser, wie die Schrift zur Buchdruckerei. Offenbar ist es beim Thiere ganz das Selbe. Der Ernährungsproceß ist ein stetes Zeugen, der Zeugungsproceß ein höher potenzirtes Ernähren; die Wollust bei der Zeugung die höher potenzirte Behaglichkeit des Lebensgefühls. Andererseits ist die Exkretion, das stete Aushauchen und Abwerfen von Materie, das Selbe, was in erhöhter Potenz der Tod, der Gegensatz der Zeugung, ist. Wie wir nun hiebei allezeit zufrieden sind, die Form zu erhalten, ohne die abgeworfene Materie zu betrauern; so haben wir uns auf gleiche Weise zu verhalten, wenn im Tode das Selbe in erhöhter Potenz und im Ganzen geschieht, was täglich und stündlich im Einzelnen bei der Exkretion vor sich geht: wie wir beim erstem gleichgültig sind, sollten wir beim andern nicht zurückbeben. Von diesem Standpunkt aus erscheint es daher eben so verkehrt, die Fortdauer seiner Individualität zu verlangen, wel che durch andere Individuen ersetzt wird, als den Bestand der Materie seines Leibes, die stets durch neue ersetzt wird: es erscheint eben so thöricht, Leichen einzubalsamiren, als es wäre, seine Auswürfe sorgfältig zu bewahren. Was das an den individuellen Leib gebundene individuelle Bewußtseyn betrifft, so wird es täglich durch den Schlaf gänzlich unterbrochen. Der tiefe Schlaf ist vom Tode, in welchen er oft, z.B. beim Erfrieren, ganz stetig übergeht, für die Gegenwart seiner Dauer, gar nicht verschieden, sondern nur für die Zukunft, nämlich in Hinsicht auf das Erwachen. Der Tod ist ein Schlaf, in welchem die Individualität vergessen wird: alles Andere erwacht wieder, oder vielmehr ist wach geblieben.75
Vor Allem müssen wir deutlich erkennen, daß die Form der Erscheinung des Willens, also die Form des Lebens oder der Realität, eigentlich nur die Gegenwart ist, nicht Zukunft, noch Vergangenheit: diese sind nur im Begriff, sind nur im Zusammenhange der Erkenntniß da, sofern sie dem Satz vom Grunde folgt. In der Vergangenheit hat kein Mensch gelebt, und in der Zukunft wird nie einer leben; sondern die Gegenwart allein ist die Form alles Lebens, ist aber auch sein sicherer Besitz, der ihm nie entrissen werden kann. Die Gegenwart ist immer da, samt ihrem Inhalt: Beide stehn fest, ohne zu wanken; wie der Regenbogen auf dem Wasserfall. Denn dem Willen ist das Leben, dem Leben die Gegenwart sicher und gewiß. – Freilich, wenn wir zurückdenken an die verflossenen Jahrtausende, an die Millionen von Menschen, die in ihnen lebten; dann fragen wir: Was waren sie? Was ist aus ihnen geworden? – Aber wir dürfen dagegen nur die Vergangenheit unsers eigenen Lebens uns zurückrufen und ihre Scenen lebhaft in der Phantasie erneuern, und nun wieder fragen: Was war dies alles? Was ist aus ihm geworden? – Wie mit ihm, so ist es mit dem Leben jener Millionen. Oder sollten wir meinen, die Vergangenheit erhielte dadurch, daß sie durch den Tod besiegelt ist, ein neues Daseyn? Unsere eigene Vergangenheit, auch die nächste und der gestrige Tag, ist nur noch ein nichtiger Traum der Phantasie, und das Selbe ist die Vergangenheit aller jener Millionen. Was war? Was ist? – Der Wille, dessen Spiegel das Leben ist, und das willensfreie Erkennen, welches in jenem Spiegel ihn deutlich erblickt. Wer Dies noch nicht erkannt hat, oder nicht erkennen will, muß zu jener obigen Frage nach dem Schicksal vergangener Geschlechter, auch noch diese fügen: warum gerade er, der Fragende, so glücklich