Anna am Freitag. Helene Uri

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Anna am Freitag - Helene Uri

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schlecht«, gab ich zu und fragte mich, ob zur Sprachwissenschaft immer Wikinger gehören, die aussehen wie Rocksänger, aber gar keine sind.

      Als ich endlich zum Kiosk kam, war natürlich kein Mensch mehr da, und auf dem Fußballplatz waren sie auch nicht.

      Buchstäblich!

      Am nächsten Freitag bekamen wir ein Diktat zurück. Wie gesagt, Norwegisch ist nicht gerade mein Lieblingsfach. Aber diesmal hatte ich fast keinen Fehler und war zufrieden. Einen kleinen Patzer hatte ich in der Eile gemacht und zweimal hatte ich Weitsenbrot geschrieben. Statt Weizenbrot. Ich ging zum Pult, wo Jonas die fehlenden Schüler ins Klassenbuch eintrug.

      »Entschuldigung«, sagte ich zu Jonas. »Warum wird Weizen ohne t geschrieben? Wir hören das t doch ganz deutlich.«

      »So ist es eben richtig, Björn-Oskar. Halt dich einfach an die Rechtschreiblisten, Junge«, antwortete Jonas zerstreut und widmete sich wieder dem Klassenbuch.

      »Aber warum ist es richtig so?«

      Jonas sah mich an, kratzte sich den Bart, konnte aber nicht erklären, warum das so war.

      Auf dem Heimweg unterhielten Tom und die anderen sich über englischen Spitzenfußball. Ich hörte nicht richtig zu und zerbrach mir den Kopf, warum wir Radiergummi mit ie schreiben, Tapir und Vampir aber nicht. Und warum Saurier geschrieben wird wie Radier, sich aber nicht darauf reimt. Und warum Weg und weg gleich geschrieben, aber anders ausgesprochen werden. Die beste Antwort, die mir einfiel, war, dass wir in der Schule ja irgendwie beschäftigt werden mussten. Aber wenn auch vieles keinen Sinn ergab, das war mir dann doch zu blöd. Immerhin war Freitag und ich beschloss, ehe ich zum Fußball ging, Anna danach zu fragen.

      Sie saß auf dem Sofa und las. Helle schlief wahrscheinlich oben in ihrem Zimmer. Ich blieb eine Weile in der Tür stehen und wusste nicht mehr so recht, ob ich sie wirklich fragen wollte. Aber am Ende tat ich es dann doch, ich bin eben einer, der gerne eine Antwort auf seine Fragen haben will.

      Anna strahlte mich an und begann eifrig zu erzählen.

      »Manche Buchstaben hören wir, obwohl sie nicht geschrieben werden, andere, die wir schreiben, sprechen wir nicht mit aus, die bezeichnen wir dann als stumm. Gunnleikr würde diese Wörter so schreiben, wie er sie ausspricht, aber für dich würden sie dann sicher fremd aussehen.«

      »Wir schreiben also oft noch so, wie ein Wort vor Jahrhunderten ausgesprochen wurde?«

      »Ja, so könnten wir das sagen. In den meisten Fällen, in denen eine Schreibweise uns seltsam vorkommt, können wir sehen, wie ein Wort früher ausgesprochen wurde. Die Schrift ist immer langsamer als die Sprache. Wir schreiben Land, aber es klingt, als ob das Wort am Ende ein t hätte. Gunnleikr dagegen spricht ein weiches d.«

      »Meine Tante sagt einfach nur Lan. Anna, kommt Gunnleikr heute, was meinst du?«

      »Ja, in manchen Gegenden wird das t oder d am Ende des Wortes einfach weggelassen. Die Aussprache hängt sehr davon ab, woher jemand kommt.«

      Ich sah ein, dass es keinen Sinn hatte Anna nach Gunnleikr zu fragen, aber ich wollte mehr über die beiden erfahren, dazu war ich fest entschlossen. Ich sagte: »Es wäre aber viel leichter so zu schreiben, wie wir sprechen.«

      Wieder lächelte Anna, dann sagte sie, ich sollte mich neben sie aufs Sofa setzen. Ich setzte mich in den Schaukelstuhl. Anna wollte schon etwas auf die Zeitung meiner Mutter schreiben, die vor uns auf dem Tisch lag. Deshalb zog ich ganz schnell ein Schreibheft aus meiner Schultasche und gab es ihr.

      »So könnte es in etwa aussehen, wenn wir so schrieben, wie wir sprechen.«

      Bjön-Osska un ich sitsn hir un redn mittenander.

      »Das sieht doch total beknackt aus!«

      »Ja, finde ich auch, aber das ist eine Frage der Gewohnheit«, sagte Anna. »Die Schreibweise wird oft geändert, um besser zu unserer Aussprache zu passen. Ich weiß noch, dass ich es wahnsinnig komisch fand, kraulen zu schreiben, ich hatte es noch als crawlen gelernt. Und niemand schreibt noch Bureau, heute heißt es Büro. Das empfinden wir als ganz normal, obwohl diese Wörter bei uns jetzt anders geschrieben werden als im Englischen oder im Französischen, den Sprachen, aus denen sie stammen.«

      Ich schaukelte hin und her. Anna dachte kurz nach, dann sagte sie:

      »Wir neigen übrigens dazu, die Schriftsprache für die richtige und beste Sprache zu halten. Wir finden die Formulierung ›sie kommen‹ korrekter als ›die kommen‹, was wir eigentlich sagen würden. Aber zuerst ist ja die Sprache da, die Schrift stellt sich immer erst später ein.«

      »Mm«, sagte ich und schaukelte weiter.

      Anna legte eine Pause ein, dann fügte sie hinzu: »Aber überleg doch mal, wie gut es ist, dass wir schreiben können – denk an das ganze Wissen, zu dem wir Zugang haben, weil es aufgeschrieben worden ist. Es wäre kompliziert und unsicher, uns nur auf das zu verlassen, was uns erzählt wird. Weißt du übrigens, wovon die ersten geschriebenen Texte handeln? Was vor vielen Jahrtausenden aufgeschrieben worden ist?«

      »Nein. Geschichten vielleicht?«, schlug ich vor und schaute auf die Uhr, um zu zeigen, dass diese allerersten geschriebenen Texte mich eigentlich nicht so wahnsinnig interessierten.

      »Geschichten und Märchen können wir uns gegenseitig erzählen. Nein, die ersten Texte waren Listen über Waren, Gold und Steuern. Und Verzeichnisse darüber, wer anderen Leuten Geld schuldete. So etwas vergisst man leicht, wenn es nicht notiert wird. Nach und nach wurden dann auch Geschichten, Gedichte und Märchen aufgeschrieben. Vergiss aber nicht, dass man alles mit der Hand geschrieben hatte, ehe die Buchdruckerkunst erfunden worden war. Jedes einzelne Dokument und jedes einzelne Buch! Stell dir das vor! Erst durch die Erfindung des Buchdrucks kam wirklich Leben in die Sache.«

      »Das war Gutenberg im 15. Jahrhundert«, sagte ich und war ziemlich stolz darauf, dass mir der Name dieses Typen eingefallen war und dass ich so ungefähr wusste, wann er gelebt hatte.

      »Richtig«, sagte Anna. Sie schien nicht ganz so beeindruckt zu sein, wie ich es gehofft hatte. Sie nahm sich ein Himbeerbonbon.

      »Krieg ich auch eins?«, fragte ich und streckte die Hand aus.

      »Nein«, sagte Anna. »Aber du kannst eine Lakritzpastille haben, wenn du willst. Hier, nimm die ganze Schachtel.«

      Anna zog eine Schachtel aus ihrer Tasche und reichte sie mir. »Hast du dir je überlegt, wie groß der Unterschied zwischen Sprache und Schrift sein kann?«

      »Nein«, sagte ich und zuckte mit den Schultern. »Ist der denn wirklich so groß? Ich finde das eigentlich nicht. Abgesehen davon, dass wir beim Sprechen Geräusche machen und dann unsere Ohren benutzen. Aber wenn wir ... ömm ... Schrift lesen, dann tun wir das mit den Augen.«

      »Gut erkannt«, Anna lachte. »Das war eine sehr feine Erklärung. Beim Sprechen kommt es oft zu Unterbrechungen und Pausen. Und zu vielen Wiederholungen. Außerdem reden wir nicht nur mit unserer Stimme, sondern mit unserem ganzen Körper. Und wenn wir uns versprechen, können wir das nicht ausradieren. Außerdem gehören zu einem Gespräch immer mindestens zwei Personen. Wir können dabei sofort feststellen, ob unser Gegenüber uns verstanden hat. Wenn wir schreiben, wissen wir dagegen nicht immer, an wen. Ich werde jetzt mal etwas für dich aufschreiben, Björn-Oskar.«

      Anna

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