Der neue Dr. Laurin Staffel 1 – Arztroman. Viola Maybach
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Читать онлайн книгу Der neue Dr. Laurin Staffel 1 – Arztroman - Viola Maybach страница 6
»Du hast auch Zwillinge gekriegt.«
»Ja, allerdings. Das war ganz schön aufregend damals.«
»Ich bin froh, dass ich kein Zwilling bin.«
»Ach ja?«, fragte Antonia überrascht. So etwas hatte Kevin noch nie gesagt. »Wieso das denn?«
»Es war bestimmt schön, dass ich den ganzen Platz in deinem Bauch für mich allein hatte«, sagte er nachdenklich. »Ich meine, ich erinnere mich ja nicht daran, aber ich denke, es hat mir gefallen.«
Sie strich ihm liebevoll über die widerspenstigen Haare. Er war drei Jahre jünger als die Zwillinge. Sie fragte sich manchmal, ob sie genug Zeit für ihn gehabt hatte, als er auf die Welt gekommen war. Es war schon sehr fordernd gewesen, sich um die damals dreijährigen Zwillinge zu kümmern, sie hatten einen Großteil ihrer Kräfte für sich beansprucht. Aber Kevin schien in sich zu ruhen, er machte nicht den Eindruck, als sei er zu kurz gekommen.
»Du hast mich oft getreten«, sagte sie. »Du warst sehr lebhaft.«
»Hat das weh getan? Wenn ich dich getreten habe?«
»Nein, ich fand es schön. Es zeigte mir ja, dass du lebendig warst, dass es dir gut ging. Außerdem hatte ich immer das Gefühl, dass du mir auf diese Weise etwas mitteilen wolltest. Wenn du mal eine Zeitlang nichts von dir hast hören lassen, war ich gleich beunruhigt.«
»Wie war das denn mit Kyra? Hat sie dich auch getreten?«
»Kyra war viel ruhiger als du, daran musste ich mich erst gewöhnen.«
»Und die Zwillinge?«
»Da war auch ganz schön was los. Wahrscheinlich hast du Recht: Es war vielleicht etwas eng in meinem Bauch, und sie haben versucht, sich mehr Platz zu erkämpfen.«
»Kann ich auch Milch haben?«
»Klar, mach sie dir warm, der Topf steht noch auf dem Herd.«
Als er mit einem Becher zu ihr an den Tisch kam, schob sie ihm den Honig hin. »Du magst es ja gern süß«, sagte sie.
Eine Weile saßen sie schweigend beieinander. Antonia wartete darauf, dass Kevin ihr sagte, warum er zu ihr in die Küche gekommen war, denn alles an seinem Verhalten ließ darauf schließen, dass er etwas auf dem Herzen hatte.
Er hatte seine Milch schon fast getrunken, als er endlich hörbar die Luft ausstieß und sagte: »Mike und ich, wir haben uns gestritten. Jetzt reden wir nicht mehr miteinander.«
Mike – eigentlich Michael – Brönner war seit Jahren Kevins bester Freund. Die beiden Jungen waren unzertrennlich. Von einem Streit war bisher noch nie die Rede gewesen. Es hatte wohl schon kleinere Unstimmigkeiten gegeben, aber dass die beiden nicht miteinander redeten? Davon hatte Antonia noch nie gehört.
»Worüber habt ihr gestritten?«, fragte sie.
»Er hat blöd geredet, ich habe gesagt, er soll seine Klappe halten, da war er beleidigt. Und ich war auch beleidigt.«
»Worüber hat er blöd geredet?«
Kevin druckste eine Weile herum, bis er mit seiner Antwort herausrückte. »Über Kaja«, sagte er.
»Hat er etwas Schlechtes über sie gesagt?« Antonia konnte sich das eigentlich nicht vorstellen. Wenn sie sich recht erinnerte, war Mike, wenn er Kaja hier im Haus begegnete, eher verlegen und rot geworden. Kaja war ja auch ein sehr hübsches Mädchen, viele Jungen blickten ihr hinterher, was ihre Eltern mit durchaus gemischten Gefühlen sahen. Vor allem Leon machte sich Sorgen um sie, er hatte, wie alle liebenden Väter, Angst um seine Kinder, vor allem um seine Töchter.
»Nee, eher … er hat über ihre Figur geredet und so. Vor allem über ihre … du weißt schon. Ich habe ihm gesagt, wenn er nicht aufhört, haue ich ihm eine rein. Da hat er gesagt, dass ich ein blöder Spießer bin und hat mich stehen lassen.«
Endlich begann Antonia zu ahnen, was vorgefallen war. Pubertätsprobleme also. Klar, dreizehnjährige Jungs fantasierten natürlich von Mädchen. »Er hat wahrscheinlich gedacht, du würdest es als Kompliment auffassen, wenn er durchblicken lässt, dass er Kaja attraktiv findet«, sagte sie.
»Dann braucht er sich aber nicht so … so ordinär auszudrücken«, erwiderte Kevin mit finsterem Blick.
»Sag ihm das«, schlug Antonia vor. »Ihr seid schon so lange befreundet, es wäre schade, wenn eure Freundschaft wegen so etwas auseinander ginge. Außerdem kann ich dir sagen, dass du solche Bemerkungen wahrscheinlich noch öfter hören wirst. Ihr seid in dem Alter, wo Mädchen interessant werden. Und weil das nicht alle zugeben wollen, reden sie ein bisschen großspurig daher. Nimm das nicht so ernst. Irgendwann redest du vielleicht auch so.«
»Ist das die Pubertät?«, erkundigte sich Kevin.
»Ja. Da baut sich das Gehirn um. Deshalb machen Jugendliche in eurem Alter oft Dinge, die Erwachsene nicht verstehen können. Und weil ihr nicht alle im selben Alter in die Pubertät kommt, versteht ihr euch zwischendurch untereinander auch nicht mehr. Vielleicht interessiert sich Mike schon stark für Mädchen, du aber noch nicht. Könnte das sein?«
Kevin dachte über die Frage nach und nickte schließlich. »Das heißt, er ist schon weiter als ich, und deshalb findet er mich blöd und ich ihn? Jedenfalls manchmal?«
»So ungefähr. Es kann sein, dass ihr euch nie wieder so gut versteht wie bisher, aber möglich ist auch, dass dieses Fremdheitsgefühl wieder verschwindet. In der Pubertät ändern sich Menschen, und das tun sie ja nicht absichtlich. Versuch, das im Auge zu behalten, dann ärgerst du dich weniger.«
Kevin leerte seinen Becher und stand auf. »Danke, Mama«, sagte er ernsthaft. »Ich sollte öfter mal nachts mit dir reden, glaube ich.«
Sie stand auf und schloss ihn in die Arme. Das ließ er sich normalerweise nicht mehr so gern gefallen, doch jetzt erwiderte er die Umarmung sogar. »Schlaf gut«, sagte sie liebevoll.
»Du auch.«
Er trottete zurück in sein Zimmer, und auch Antonia beschloss, sich wieder ins Bett zu legen. Leon hatte angekündigt, dass es dauern konnte, bis er nach Hause kam.
Also hatte es wenig Sinn, auf ihn zu warten.
*
Marco wusste, er würde nicht schlafen können, wenn er jetzt nach Hause ging, also kehrte er in einer weiteren Kneipe ein. Er würde in der Schreinerei wieder völlig übermüdet sein und sich den nächsten Tadel seines Ausbilders einfangen, aber er konnte sich jetzt zu Hause nicht ins Bett legen. Er war ja noch nicht einmal angetrunken, er würde also nur an Eva denken und wieder nur das heulende Elend kriegen. Das kannte er nun schon, und dem musste er entgehen.
Er hatte gehört, dass man Liebeskummer am besten mit einer neuen Liebe verjagte – aber wie sollte er das anstellen? Ihn interessierten andere Frauen nun einmal nicht, er dachte immer nur an Eva. So war das, seit er sie kennengelernt hatte.
Jemand legte ihm von hinten eine Hand auf die Schulter. »Komm mit nach draußen«, sagte eine heisere Stimme.
Er fuhr herum. Tom, schon wieder!