Begegnung zur Nacht. Hans Leip
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Es war ein hübscher, heißer Tag, es briste sanft achterlich, und wir rutschten mit der letzten Ebbe elbabwärts und kamen nach Glückstadt, als der Wind schralte und von Nord uns anhustete. Da zeigten wir, was wir konnten, hüpften über den Schwell und kratzten mit drei Schlägen in den Hafen. Aber als Julus auf den Streckbug über Stag ging, da klang mir sein »Ree!« weiß der Teufel zu schnauzig, und ich sah, wie sich Fräulein Alwels angenehmer Mund leicht spöttisch gegen mich hob. Somit fierte ich die Fockschot ein wenig spät, und wir schrapten um Fingerbreite an der Mole längs und nahmen ein dickes Stück Wasser über. Nun, an Julus schwappte es leider vorbei, der Knabe Pipp hatte sowieso nichts an, da er für ein zu erwartendes Indianerfest »röten« wollte, aber Alwel Gondefros herrliche Beine, die traf es.
Julus war sehr in Kragen, Schlips und Jacke. Sie zog die Strümpfe lachend aus und die Schuhe über die bloßen Füße. Auf halbem Wege zum Essen meinte er, ob ich nicht lieber den ganzen Lunch ins Boot besorgen könne. Und man sah ihm an, daß er aus seiner puren Auffassung von Vornehmheit ihre mangelnden Strümpfe bedachte. Ich sagte ruhig und plump genug, wir sollten uns freuen, daß alle Leute uns mit einer Gondefro in bloßen Beinen zu sehen kriegten, die hübscher seien als der teuerste Strumpf.
Er wollte mich übertrumpfen und verglich sie mit der Fortuna, die oben auf der goldenen Kirchturmskugel statt des Gockels steht, und ich beneidete ihn schon, da aber entgegnete sie kühl, er verwechsle es hoffentlich nicht mit seinem Wappen. (Auf demselben war nämlich eine Duckdalbe, ein Anlegepfahl, und eine Möwe darauf sitzend.) Und die Dame dort oben habe eine zu unmoderne Figur, obwohl sie Tennis mit dem Morgenstern zu spielen scheine, und überdies hießen nach Morgenstern alle Möwen höchstens Emma.
Nach so viel Geist und Schnippigkeit verstummten wir ein bißchen. Und nur der gute Junge Pipp half uns beim Essen darüber hinweg, indem wir uns in ein nachhaltiges Gespräch verwickelten über die in Indianerreservaten bevorzugten Automobilmarken.
Julus war in sich gekehrt. Ich sagte, um Luft zu schaffen, wir würden, wenngleich schmerzlich, so doch es begreifen, wenn Fräulein Gondefro mit der Bahn anstatt mit unserer Kuff nach Hause fahre.
Julus sprang wie ein harpunierter Schweinsfisch in die Höhe. Aber die unendlich kühle und schöne Alwel winkte lässig ab. Sie denke gar nicht daran; wir und das süße Boot, das mache ihr wirklich Spaß.
Somit seilten wir elbauf zurück, und Julus überließ mir gnädig die Pinne, um dem ungerührten Segelweiß der Angebeteten die Grundlagen seiner Existenz zu unterbreiten.
Ihre Hautschatten waren bronzen wie die Tönung kantonesischer Glocken, ihre Augen weit und silbergrau wie die Nordseekimm bei Westernwind. Die Sonne durchleuchtete ihre Gobbymütze und ihre dikken Schläfenhaare. Es war ein milder Tag voll Ausflugdampfermusik und voll der großmächtigen Bässe abgesalzener Überseer aus aller Welt. Aber unser Wind wurde flauer, und knups, schlief er ein. Pipp, der unverblümte Knabe, ritt auf der Großbaumnock seiner Vollendung als Rothaut entgegen, klimperte an der Dirk und flötete nach Taifun und Hurrikan.
Noch schob uns die Flut. Ich sah abwechselnd auf das verschämt killende Achterliek und auf Alwel, die verträumt dasaß, während Julus still und vergeblich nach Worten rang. Auf einmal schrie er: »Wir wollen Wein trinken, Wein, ich weiß ein molliges Lokal. Höher an den Wind, mein Gott, wir kriechen ja in Sirup!« Damit war sein erkünstelter Überschwang auch schon verpufft, und er kratzte belämmert am Mast, mein Segeltalent in Zweifel ziehend.
»Hissen Sie ein kleines Bonnet!« lächelte Alwel. »Die Gondefroschen Kapitäne auf den Teeklippern haben gute Erfahrungen mit kleinen Bonnets gemacht.«
»Hiß ein kleines Bonnet!« grunzte Julus mich an, seine Verständnislosigkeit mit dem Brustton eines Hapagkommodores verdeckend.
»Ay, ay!« erwiderte ich, ergriff, um etwas zu ergreifen – denn ich hatte auch keine Ahnung –, die seidenen Strümpfe, die noch immer auf dem Kajütsdach lagen, obwohl längst trocken, und schor sie an die Flaggleine.
Die Wirkung war, daß wir uns allesamt mit Julus verkrachten; denn er versteht betreffs korrekter Haltung keinen Scherz. Indessen machten wir wieder Fahrt, obgleich achteraus, da der Strom gekentert hatte. Und im Nu saßen wir fest auf Meiers Sand, das nette Hochgebirge Blankeneses vor der Nase.
Wir hatten rund zehn Stunden Zeit. Es wurde Nacht. Alwel Gondefro wollte nicht im Boot bleiben. Sie ruderte mit ihrem Bruder auf die schilfgrüne Sandbank. (Nein, nach Hause fuhr sie nicht.) Sie nahm alle unsere Decken und Kissen mit und wollte baden.
»Fahr hinüber und sprich mit ihr!« sagte Julus.
»Dir ist wohl flau!« entgegnete ich. »Und du willst mich wohl als kleines Bonnet für dein Lebensschiff mißbrauchen!« Aber dann pfiff ich Pipp, und das Beiboot blieb danach drüben.
Wir lagen still auf dem Rücken, nicht weit voneinander, sie und ich, und blickten in die Sterne und die Stromlichter. Pipp schlief. Aber Julus schlief nicht. Was er nie im Beisein anderer fertiggebracht hätte, er zog eine Ziehharmonika hervor und spielte herzzerreißend die ganze Nacht. Daher eben weiß ich es.
Eine Handharmonika in einer lauen Nacht überm Wasser bei Schiffslichtern, die vorüber in die unbekannte Ferne gleiten, das ist nicht ungefährlich für ein junges Mädchen. Ich hörte es wohl, wie Alwel schwerer zu atmen begann. Oho, Julus war doch ein Hund.
Ob ich sie fragte? Natürlich! Jedoch der Mensch ist ein böses Tier von Jugend auf. Ich fragte sie, wie es sei mit ihr und – mir. Und daß ich, an der Flaggleine meines Daseins ihre kleinen seidenen Sachen in Ewigkeit als Nationale zu führen, als mein Ziel ansehe und verrückt sei wie ein entseelter Hering.
Sie weinte ein wenig an meinem Halse, das schöne Kind. Es sei dies der Abschied von uns allen, sagte sie. Denn die andere Woche, da fahre sie nach Makassar. Und ich solle es auch Herrn von Dalben mitteilen, daß nämlich die Gondefros nicht gern in Hamburg und Blankenese heiraten, sondern lieber in der weiten Welt.
Bar an Bord um Mitternacht
Wenn man Southampton hinter sich hat und es kommt die letzte Nacht, die noch vom lieben Festlande trennt, so muß man ein hartgesottener Amerikaner sein oder aber ein furchtbar reines Gewissen haben, falls man diese Nacht wie andere Nächte mit mehr oder weniger Schlaf vergeuden soll. Mein Herz war weich und heimatzugewandt, obwohl ich nur von London kam, mein Gewissen jedoch, auf dieser Reise bislang unbelastet, hatte nichts gegen ein Abenteuer; denn der Obersteward hatte mich an einen Tisch zu zwei Plätzen gesetzt, und mein Gegenüber war eine sehr junge und angenehme Dame mit kastanienfarbenem Haar.
Wir unterhielten uns gut über verschiedene naheliegende Themen, von der frischen Seeluft, von der Vorzüglichkeit ebenfalls frischen Steinbutts, vom Glück und von den erträglichen unter den englischen Strandbädern. Danach setzten wir uns noch ein wenig in die Bibliothek, während die anderen Leute ihre Verdauungsmeile ums Promenadendeck abdienten, was wir später bei stillerem Verkehr nachzuholen gedachten. Und das zarte Wesen legte mir eine schmale Hand auf den Arm und erzählte mir, wie sehr dort in England jemand gern gehabt worden sei.
Trauer war in dieser sanften und noch ein bißchen kindlichen Stimme, und ich betrachtete die kleine Hand, die leicht bräunlich überhaucht war von Golf und Sommertennis. Ich hatte gar keine Lust, hier die Rolle eines guten Onkels und Beichtvaters zu spielen, und ich sagte mir: Diese Hand auf meinem Arm ist viel zu jung, zu aufgeweckt und zu leichthin, um so schrecklich tief sich an das zu klammern, was da sozusagen als Liebe