Begegnung zur Nacht. Hans Leip
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Der Büchersteward, der dabei war, die Liste seines Schrankes nachzuprüfen, sah mit einem Ruck zu ihm auf, so als schnappe eine Feder in seinem Genick in die gewöhnliche Lage: »Na, und wie . . .?« fragte er, indem seine Augen an den Mann geheftet waren und sein Tonfall keine Annehmlichkeit vermuten ließ.
Der Bootsmann legte ein Buch auf den Tisch, wandte keine Miene und sagte, ohne Weg und Haltung zu unterbrechen, breitschlächtig und würdig: »Werden ihm woll kaum dorchkriegen bis Cuxhoben.«
Danach war eine gewisse Stille, von den davonschreitenden Stiefeln auf den Teppich geheftet, und es fiel mir schwer, meiner Nachbarin zuliebe (die sich nicht getraute) mich zu erkundigen, ob jemand krank sei an Bord.
»Ach, nur der Ober von der Zweiten; er hatte ein Buch geliehen, mein Eigentum«, antwortete der Steward wegwerfend, ließ seine Genickfeder wieder ausschnappen und stürzte sich wie ein pickendes Huhn in seine Bücherrevision zurück. Man merkte ihm die allgemeine Vorschrift an, alle Beunruhigung der Passagiere zu vermeiden. Und da der Mensch seit Urzeit geneigt ist, sich den bequemen Auffassungen des »Ach nur . . .« anzuschließen, horchten wir auf die Musik, die vom Teesalon herüberflirtete.
Aber wir gingen nicht sofort hin. Wir nahmen unsere Mäntel und spazierten ein wenig an Deck. Es war noch rot im Westen; doch dort, wohin wir fuhren, war schon finstere Nacht. Sehr friedlich war alles bis auf das Zischen des Wassers tief unten an der Schiffswand, und an der englischen Küste blitzte ein unruhiges Leuchtfeuer. Wenn man an den Fenstern des Teesalons vorbeikam, hörte man die muntere Tanzmusik. Auch sah man durch die Vorhänge, daß ein, zwei Paare schon auf dem Parkett waren. Wir gingen daran vorbei. Ich dachte, es ist richtig, man soll nicht tanzen, wenn andere darniederliegen. Und wir sprachen von Hannover, wo der Typ der Frauen ersprießlich ist, und es komme von der englischen Herrschaft einst, meinte sie, und sie war daher.
Als wir das zweitemal den glasabgedeckten Gang unterhalb der Brücke am Vorschiff rundeten und mir nicht unbeklommen war in der Nähe des zierlichen Geschöpfes, öffnete sich die Tür backbords, die dort hinausführt auf eine Treppe zur dritten Kajüte und auf das Vorschiff, wo die Mannschaft wohnt, und herein trat in einem Schwall von Wind und Rauschen die lange Gestalt des Bootsmanns von vorhin. Er sagte nichts, sah uns auch wohl kaum, ging mit seinem starr schwebenden Taubenschritt, wie alte Seeleute zu gehen pflegen, davon und die Treppe zum Bootsdeck hinauf.
Wir gingen nicht dort auch hinauf, so sehr es mich reizte, sondern vollendeten unseren zweiten Rundgang und begannen den dritten, und als wir achtern an der Laube vorbeikamen, hörten wir vom Lukendeck einen näselnden Singsang. Es waren da ein paar Matrosen bei einer Lampe tätig, an einer Winsch etwas auszubessern, wozu morgen keine Zeit mehr sein mochte.
Es schien immerhin der Melodie nach eine Art Revolutionslied, aber es wurde ziemlich ins Lächerliche gezogen, und der Text war ein bißchen verändert und hieß: Flunki muß sterben, ist noch so jung, jung, jung . . . So ging es eine Weile, immer dasselbe, bis einer unter großem Gelächter einen Gedanken faßte und den Reim in breitem Hochdeutsch vollendete: »Wenn wir was erben, ist es bloß Stunk.«
»Wer ist Flunki?« fragte meine Begleiterin. Sie zitterte, ich merkte es durch ihren Pelz. Ich fürchtete, sie denke an ihren betrüblichen Abschied in Bornmouth oder so und wen sie da geliebt, und ich erwiderte behutsam: »Flunki nennen sie die Stewards.«
»So ist es also der Oberflunki«, entschied sie und fügte energisch hinzu: »Und jetzt gehen wir in den Salon.«
Im Salon vereinigten wir den Mosel, der von Tisch her in uns war, mit einer edleren Sache, und wir tanzten lange nicht, jedoch unsere Stimmung war freundlich. Die Kapelle ließ nichts zu wünschen übrig; wir begutachteten die Tanzpaare, und es war nicht viel bis auf eine blonde Dame und zwei Kavaliere, die es nicht übel verstanden und sogar im Smoking waren, obwohl nur Grünhörner oder Snobs sich den letzten Abend umzaubern.
Ich sagte das, und sie fand es auch und meinte, was die an Tango könnten, könnten wir auch, und somit tanzten wir, obwohl sie so klein und zierlich war, daß von einer gewissen Perspektive jedermann hätte glauben können, ich tanze gänzlich solo. Sie war weiß der Himmel sehr niedlich und elegant und tanzte leicht wie eine Eiderdaune.
Ich merkte, wie die Augen der beiden noch in Betracht Kommenden wohlgefällig auf ihr ruhten und kalt an mir vorbeiglitten, was mein Gefühl zu heben wohlgeeignet war. Gewiß, deren beider Figur hätte womöglich besser zu ihr gepaßt, hingegen zu mir gegebenenfalls die Hochblonde. Dennoch, die Verteilung der Verhältnisse darf im Leben nicht das Ausschlaggebende für die Stimmung sein. Gott sei Dank verschwand das Trio bald, und es wurde gegen Mitternacht. Sie sprach von Mammi und Pappi, die Kleine, und daß ein weißer Lancia, links geschaltet zu vier Gängen, in hundertzwanzig Kilometer Tempo ihr Ideal sei. Als der Steward kam und kassierte, flüsterte er mir zu, in der Bar werde weitergetanzt.
Ja, es war eine letzte Nacht an Bord, wer konnte ahnen, wie es am lichten Morgen und an Land wieder daheim sein würde. Mochte zu Bett gehen, wer wollte. Wir gingen in die Bar. Sie lag einen Stock höher, und als wir die Tür aufmachten, war es eine ganz kleine Bar mit drei Hockern, nicht mehr, und auf einem saß einer der beiden Smokingkavaliere und hatte neben sich ein Grammophon und legte gerade eine neue Platte auf. Der andere und die Blonde saßen an dem einzigen Tisch in diesem dämmerigen, von atemwarmen Flipdünsten erfüllten Raume, und er hielt gerade ein Glas vor der Nase, es war groß wie eine halbe Pampelmuse, und er sagte gedämpft: »Ihr Wohl, Frau Baronin!«
Es hatte den Anstrich einer privaten und geschlossenen Gesellschaft; ich hätte mich gerne zurückgezogen samt meinem Mäuschen. Jedoch der Mixer hob einladend die Hand, und es war einer jener Barkeeper, die begnadet sind, so daß man ihnen schlecht etwas abschlagen kann. Auch seufzte nunmehr die Platte los, es war eine süße Sache, ›The bench in the park‹ oder so was, und wirkte wie ein Magnet auf meine Begleiterin.
Somit saßen wir denn auf den Barhockern. Und George, das war der Mixer, schenkte ein. Oh, es war der beste Mixer auf den gesamten atlantischen Linien und ein wahrhaftiger Mensch, so daß es mir nicht an Unterhaltung mangelte.
Die Stunde rückte vor. Die liebe Dame, mit der ich gekommen war, tanzte mit dem einen, der auch die Platten aufzulegen pflegte und blond war wie eine gebleichte Kokosmatte; es stellte sich heraus, daß er gewissermaßen ein Tanzstar sei und von einem amerikanischen Turnier kam. Er war durchaus ein Ritter und fragte mich manchmal, ob er auch dürfe, als ob ich über das gute Kind zu verfügen gehabt hätte, weil ich etwa an einem Tisch damit gesessen; nein, es war ihr eigenstes Risiko.
Wir tranken viele hübsche kleine Sachen, namentlich einen sogenannten Maracaibo, so eine Mischung aus Wermut, Angostura und Gin, denke ich, die wegen Venezuela so bezeichnet war, woher der andere recht dunkle Herr kommen mochte, der nicht abließ von der blonden Baronin und wohlerzogen auf sie einredete. Die Baronin lachte laut auf und sprach Gewagteres, und meine kleine Freundin, von Maracaibo heiter gelaunt, meinte dicht an meinem Ohr, sie glaube nicht, daß es eine wirkliche Baronin sei, und ob ich es übelnehme, wenn sie so viel tanze.
Ihr Atem ging wie ein brennender Flip durchs Ohr in meine Seele; ich war nicht glücklich, aber was sollte ich übelnehmen? »Tanze, tanze!« entgegnete ich milde, wollte auch väterlich über ihr Haar streichen, das der Mode nach ein wenig auf »Großer Kurfürst« gehalten war. Ach, sie war schon lange entglitten und hing an dem blassen Turnierstern. Ihre Liebe und der Abschied und was sie mir gebeichtet, das schien schon alles verflogen. George philosophierte auf eine weltmännische Art, sein Horizont war weit, er hatte den Kronprinzen geduzt und den ausgedörrten United States derzeit manche nasse Kiste in die Gurgel gelotst und hatte eine andere große Sache vor, woran ein Vermögen