Geheimnis Fussball. Christoph Bausenwein
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Die „fränkische Brutalität“ war 1922 wegen eines scharf durchgreifenden Schiedsrichters nicht erfolgreich. Anders lief es bei der WM 1934, als die von schwachen Unparteiischen nicht gestoppten Italiener mit hemmungsloser Brutalität bis ins Endspiel vordrangen. Vorübergehend von Spanien gestoppt (1:1), konnten sie mit derben Mitteln wenigstens das Wiederholungsspiel für sich entscheiden, weil sieben Spanier – unter ihnen die Torwart-Legende Zamora – auf der Strecke geblieben waren. Im Halbfinale wurde Österreichs Supertechniker Sindelar rüde ausgeschaltet. Der schmächtige Stürmer wusste zwar selbst seinen Körper einzusetzen – „allein mit’n Schmäh“, sagte er einmal, sei das Toreschießen auch „net immer gangen“ –, doch gegen den hünenhaften Monti hatte er keine Chance. Im Finale schließlich zeigten die von Diktator Mussolini angetrieben Azzurri den Tschechoslowaken, wie man mit einer bis zur Rücksichtslosigkeit gehenden Härte Weltmeister wird. „Was sich auf dem Rasen abspielte“, so der Kommentar des „Kicker“, „hatte mit Fußball und Sport gar nichts mehr zu tun.“
Wenige Wochen später, am 14. November, folgte in London gegen England die „Battle of Highbury”. Wieder stand Luisito Monti im Zentrum des Geschehens, diesmal allerdings als Opfer. Wenige Minuten nach dem Anpfiff brach er sich bei einem Zusammenstoß mit dem Engländer Ted Drake den Fuß. Während Monti ins Hospital abtransportiert wurde, traten seine Kameraden gegen alles, was sich bewegte, Kapitän Hapgood wurde die Nase gebrochen. Die Engländer antworteten mit Remplern und wilden Tacklings – insbesondere Wilf Copping sprang den Italienern immer wieder mit beiden Füßen voran in die Parade – blieben aber ansonsten cool und erzielten recht mühelos drei Tore. Die zweite Halbzeit verlief dann etwas friedlicher, die Italiener spielten zwischendurch ein wenig Fußball und kamen noch auf 2:3 heran. Geblieben ist hernach aber der Eindruck einer Schlacht. Ein britischer Journalist unterschrieb seinen Bericht mit den Worten: „Von unserem Kriegskorrespondenten“.
Die Chronik brutaler Spiele ließe sich mühelos verlängern. Bei der WM 1962, die als „Beton-Turnier“ in die Annalen einging, waren die Auseinandersetzungen regelmäßig härter als die Knochen der Spieler. Auch beim Turnier von 1966 in England herrschte oft „böser Fußball“, vorgetragen diesmal vor allem von den Tretern aus Argentinien und Uruguay. Zum Sinnbild des Bösen wurde allerdings, nicht ganz gerecht, der als „Staubsauger“ vor der Abwehr agierende Engländer Nobby Stiles. Das hatte auch mit seiner Spielweise, vor allem aber mit seinem Aussehen zu tun: Vor jedem Spiel legte der kurzsichtige „Giftzwerg“ Stiles (166 cm groß) sein Gebiss ab, um mit spitzen Schneidezähnen seinen Gegner „anzulächeln“. Nach 1966 ging es bei den Weltmeisterschaften zwar ebenfalls nicht immer fair zu, doch zu solch hemmungslosen Knüppeleien und Wutausbrüchen, wie sie dort etwa die Spieler Uruguays im Match gegen Deutschland gezeigt hatten, sollte es nie mehr kommen. Das lag einerseits daran, dass Fouls nun differenzierter bestraft wurden (bei der WM 1970 wurde die gelbe Karte eingeführt), anderseits hatte es mit einer Veränderung der Einstellung zum Foulspiel zu tun.
Die Fouls der Uruguayer waren „dumm“ und überflüssig. Troche foulte weitab vom Spielgeschehen Emmerich und erhielt dafür die rote Karte. Bevor er den Platz verließ, verpasste er Seeler noch eine Ohrfeige. Wenig später konnte Silva, der nach einem ungestümen Foul an Haller ebenfalls „Rot“ gesehen hatte, nur mit Hilfe eines Bobbys vom Platz geführt werden. Die emotional aufgeladenen Urus hatten ihre Nerven nicht im Griff und schadeten sich am Ende selbst. Ihre Härte war zwar beabsichtigt und zielstrebig, viele Fouls wurden aber aus der augenblicklichen Erregung heraus begangen. Vor allem wegen undisziplinierten Verhaltens also hatten sie zwei Mann und am Ende das Spiel mit 0:4 verloren.
In Europa, vor allem in England, pflegte man eine andere, diszipliniertere „Foulspiel-Kultur“. Dort war man zwar ebenfalls nicht zimperlich, aber man akzeptierte das Foul als Konsequenz einer kompromisslosen und mit ganzem Körpereinsatz geführten Auseinandersetzung. Nach dem Motto: „Wo gehobelt wird, fallen Späne“, nahm man es mit stoischer Miene hin, wenn eine Grätsche mal danebenging und die Knochen aufeinander krachten. Eine „mannhafte“ Einstellung dieser Art war vor allem unter den englischen (Arbeiter-) Profis bis nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitet. Der Spieler sollte ehrlich und aufrichtig, aber auch hart und robust sein (tough); es wurde ausgeteilt, gleichzeitig sollte jeder aber auch Schmerzen ohne Jammern ertragen. Typisch war etwa die Aussage des knochenharten Verteidigers Frank Barson, der noch nach vier gebrochenen Nasen und zwei schweren Rückenverletzungen sagte, dass er sich vor keinem Zusammenstoß gedrückt habe und immer „mit mehr Respekt für den Mann, der mich niederstreckte“, wieder aufgestanden sei. So hart das Spiel auch war, es beschwerte sich keiner, auf Effekthascherei jeglicher Art wurde verzichtet, eine hinterlistige Spielweise – etwa das Vortäuschen von Verletzungen, Zeitschinden, verstecktes Foulspiel – war verpönt. Auf ähnliche Weise lässt sich der Arbeiterfußball der 1950er Jahre in Deutschland charakterisieren. Man kämpfte hartnäckig und gab keinen Zweikampf verloren, man führte Attacken mit aller Entschlossenheit und ohne Schonung des Gegners durch, aber man schonte auch sich selbst nicht und beschwerte sich nicht über den Gegner. Kurz, der Fußball war damals ein Abbild der Arbeit selbst: hart, aber ehrlich.
Der Vorstopper „Katsche“ Schwarzenbeck bewunderte noch 1972 die Einstellung der Engländer. Nach dem historischen 3:1-Sieg in Wembley stellte er fest: „Dieser Chivers war natürlich schon ein gewaltiger Brocken. Wenn ich mich hinter ihn stellte, hat man bestimmt nichts von mir gesehen, obwohl ich auch nicht gerade schwindsüchtig bin. 88 Kilo und ein Antritt wie ein Sprinter. Es gibt in Deutschland Leute, die behaupten, dass da, wo ich hinlange, kein Gras mehr wachse, aber ich garantiere ihnen, dass dieser Chivers ohne zu wackeln mehr verträgt als eine Plakatsäule. Da kann man hinlangen, wie man will, aber ich meine, dass es auch ein Beweis dafür ist, dass viele Mittelstürmer bei uns absichtliche Bauchlandungen machen, nur um mich zum Buhmann abzustempeln.“
Bei der WM 1954 hatte Ferenc Puskas, als er sich im Spiel gegen Korea nach einem Zusammenprall scheinbar vor Schmerzen krümmte, die Schwalbe noch als Gag für die Galerie inszeniert: „Der Schiri unterbrach das Spiel und lief besorgt zu ihm hin“, erzählte der Augenzeuge Max Morlock, „da hüpfte Puskas fröhlich auf, grinste über das ganze Gesicht und lief weg. Der Schiedsrichter und die Koreaner sahen sich verdutzt an und konnten sich nur noch über das große Talent eines verhinderten Schauspielers wundern.“ Die absichtliche Bauchlandung, die Simulation eines Fouls, geriet als ernste Angelegenheit erstmals beim WM-Halbfinale 1970 zwischen Deutschland und Italien ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. „Das ist ja entsetzlich, das ist ja widerlich“, schimpfte Radioreporter Kurt Brumme in sein Mikro, als die Italiener immer wieder schreckliche Verletzungen simulierten. „Burgnich ist soeben verstorben“, witzelte er gequält, und musste sich gleich wieder korrigieren: „Nein, da kommt er wieder.“ Aber auch die Deutschen sollte das Schwalbenfieber rasch ergreifen. Der Frankfurter Bernd Hölzenbein muss sich bis heute gegen den Vorwurf verteidigen, dass er den Elfmeter, der im Finale 1974 zum 1:1-Ausgleich Deutschlands gegen die Niederlande führte, erschwindelt