Die Nacht im Teppichsaal. Isolde Kurz

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Die Nacht im Teppichsaal - Isolde Kurz

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Gegenstand an einen Winkel seiner Erinnerung, wo er den Schlüssel dazu vermutet, ohne ihn sogleich zu finden; die letzte Gruppe ausgenommen, deren Bedeutung nicht zu verkennen ist. Auf die Frage, ob man wisse, was die anderen Bilder darstellten, schüttelt der Führer den Kopf. Er kennt ja die Teppiche von klein auf, denn er ist auf dem Gut geboren, wo sein Vater vordem den gleichen Posten innegehabt, und er hat sie von je mißachtet gesehen, ja, er hat sich in früherer Zeit, als noch die alte Herrschaft ab und zu auf der Villa wohnte, in ihre Seele hinein geschämt, daß man nicht daran dachte, die alten verstaubten Lappen wegzunehmen und sie durch eine lustige bunte Papiertapete zu ersetzen, die dem Raum nach seiner Meinung viel besser angestanden hätte. Aber die Bewunderung des Fremden machte ihn nun doch an seinem Kunstgeschmack irre, und da er sah, daß dieser wie gebannt unter den Teppichen verweilte, bald den einen, bald den anderen vor- und zurücktretend aufs genaueste musterte und sich offenbar gar nicht davon trennen konnte, bot er ihm nun selber die Vergünstigung an, die Nacht hier oben zu verbringen. Er wolle ihm eine Lagerstatt im Teppichsaal aufschlagen, auch Tisch und Stuhl und sonst das Notwendigste hineinstellen, damit der Gast bleiben und sein Herz am Anblick der wunderlichen Dinger sättigen könne.

      Er setzte sich auch gleich in Bewegung und schaffte mit seiner Enkelin, einem sehr kleinen vierzehnjährigen Mädchen, das über dem Erscheinen des Fremden die Sprache verloren hatte und auf keine seiner Fragen Antwort gab, aber desto eifriger war ihm zu dienen, aus den verschiedenen Rumpelkammern mehr Gegenstände herbei, als der genügsame Wanderer bedurfte, ließ es sich auch nicht nehmen, die Liegestatt aus seinem eigenen zwar groben aber blütenweißen Wäschebestand zu überziehen. Nur eins bereitete ihm Sorge, der Mangel an Beleuchtung.

      Wir haben kein elektrisches Licht hier oben, in der Herrschaftswohnung sind wohl Petroleumlampen, aber kein Petroleum, ich selber behelfe mich mit einem altmodischen Öllämpehen und kann dem Herrn nichts anbieten als ein ebensolches.

      Dies sagend stellte er eine der hohen toskanischen Messinglampen, ein blitzblank gleißendes Ding mit zierlichen Kettchen, woran Putzschere und Verschlußdeckel hingen, auf den Tisch. Aber die Bimba, wie die Kleine genannt wird, springt leichtfüßig weg und bringt auf der abgebrochenen Spitze eines alten Kandelabers den Stumpen einer armdicken Wachskerze. Auch ein Glas und zwei Karaffen, die eine mit Wasser, die andere mit Wein, holt das eifrige Kind von selbst herbei, wofür sie vom Großvater belobt wird, der kein Ende findet mit Entschuldigungen, daß er einem solchen Herrn nichts Besseres zu bieten habe, und nicht ruht, bis dieser wenigstens seinem Wein die Ehre angetan hat.

      Endlich allein gelassen, beginnt der Gast seine Musterung. Der Himmel bleibt nach Sonnenuntergang hoch und hell, kaum daß ein Stern mit noch blassem Schein hindurchdringt; so sind die Teppichschildereien noch wie am Tage kenntlich. In der linken Ecke beginnt er seine Forschung, vermeinend sie der Reihe nach wie eine Schrift entziffern zu können. Was werden die stummen Münder ihm sagen?

      Der erste Teppich dürfte der älteste sein, die Farben sind am schlechtesten erhalten, und die Stilart weist am weitesten zurück. Da sieht man eine mittelalterliche Stadtmauer, durch vortretende Wehrtürme verstärkt, ein Tor von gezackten Zinnen gekrönt, und hoch oben zwischen den Zinnen, deren eine niedergelegt ist, steht eine schlanke Mädchengestalt in reichen Gewändern mit kleidsamem Kopfputz. Sie hat beide Hände auf die Brust gelegt und spricht zu einem Ritter, der sich außen in fast gleicher Höhe ihr gegenüber befindet. Auch er legt eine Hand beteuernd ans Herz; worauf er eigentlich steht, läßt sich nicht mehr erkennen, weil die Schilderei gerade an dieser Stelle stark beschädigt ist. Zu seinen Füßen lagert Kriegsvolk in Rast, Hellebarden sind in Pyramiden aufgestellt, Zelte verlieren sich nach der rechten Ecke zu. Was haben die beiden Hauptgestalten miteinander zu reden? Es kann keine kriegerische Verhandlung sein, was sie führen, obgleich die Stadt mit Krieg überzogen scheint. Nach ihren Gebärden zu schließen, handelt es sich um die allerpersönlichsten Dinge, die Mann und Weib sich zu sagen haben. Warum aber in solcher Öffentlichkeit und so hoch oben in der Luft? Warum inmitten kriegerischer Zurüstungen? Denn auch hinter der Schönen steht ein Gewappneter. Welche Stadt schickt ihre jungen Mädchen zur Unterhandlung mit dem Feind? Ja, welche Stadt? Das wäre vor allem zu ergründen. Aber ist nicht da oben an der Randleiste seitlich ein Wappenschild zu erkennen? Ein Löwe neben einem Palmbaum. Das Wappen von Viterbo. Viterbo, der Stadt, die von je auf ihre schönen Frauen wie auf ihre schmucken Brunnen gepocht hat. Ja, nun weiß er plötzlich, wen er vor sich hat: Gegrüßt, schöne Galiana, Wunder von Viterbo, um das voreinst von diesen Mauern herab gestritten wurde wie von den Mauern Trojas um die Tochter der Leda. Jeder Besucher Viterbos kennt deinen Namen, jedem hat man deinen Wohnsitz und dein Grab gezeigt. Aber dieser kundige Wandersmann weiß mehr von dir als alle anderen, er hat an Ort und Stelle deinen holden Geist beschworen, als er einmal auf der Fahrt nach Rom in Viterbo rastete und man ihm unter den anderen steinernen Merkwürdigkeiten der edlen Stadt jenen eigenartigen Söller zeigte, der den Namen balcone della bella Galiana führt. Viterbo hat dieser sogenannten Balkone noch mehrere, ihre Besonderheit ist, daß sie nicht aus der Palastmauer heraustreten, sondern dem Haus auf seltsam schiefen Bogen vorgelagert und durch ein Tor gegen die seitlich gelegene Freitreppe abgeschlossen sind, also einen schützenden Vorbau darstellen. Als sich nun der Fremde erkundigte, wer diese Galiana gewesen, von deren Schönheit die Steine noch heute reden, da wies man ihn auf den Rathausplatz vor die Kirche Sant’ Angelo, wo ein antiker Marmorsarkophag an der äußeren Kirchenmauer angebracht ist, und berichtete ihm, daß in diesem Behältnis die Gebeine der schönen Galiana ruhen, um deren Besitz Viterbo in grauer Vorzeit einen grausam harten Kampf gegen römischen Übergriff zu bestehen hatte. Mehr konnte der Frager nicht erfahren. Aber sein unstillbarer Durst nach wundersamen Geschichten aus früheren einfältigen Tagen ließ ihm keine Ruhe, darum verschaffte er sich die Chronik von Viterbo, allwo er neben einem langen und langweiligen Klagegesang auf den Tod der schönen Galiana so sonderbare Angaben über dieses Schönheitswunder und seine Geschichte fand, daß kein heutiger Mensch Unschuld genug aufbringen kann um sie zu glauben. Also schüttete er das Kind mit dem Bade aus und hielt die ganze Galiana für die Hirngeburt eines wahnwitzigen Schreibers.

      Als er jedoch den Straßenlärm hinter sich ließ und der alten Stadtmauer folgte, wo sie sich mit Türmen und Basteien tief unten im Grün des Tales halb verbirgt, gesellte sich ihm der Genius loci, von dem sich manches erfragen läßt, worüber Lebende und Tote Auskunft schuldig bleiben. Ihm erzählte er die Mär von der schönen Galiana.

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