Die schwarze Tulpe. Alexandre Dumas
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Der Graf war nicht der Mann, der den Pöbel so leicht über jene Schranken, die ihm unthätig machen konnten, ankommen ließ.
»Halt!« rief er, »halt! daß es keine lebende Seele wagt, einen Schritt weiter vor zu thun. Nur noch die kleinste Bewegung, und ich kommandire zum Angriff.«
»Hier ist der Befehl!« kreischten tausende von Stimmen.
Tilly nahm das ihm dargereichte Papier, warf. einen flüchtigen Blick darauf, und rief dann, während eine lautlose Stille eintrat mit donnernder Stimme:
»Hört mich, Ihr Bürger von Haag, Ihr großartigen und seltenen Staatsbürger! in Euerer Gegenwart, im Angesichte Gottes und der Welt erkläre ich hiermit Diejenigen, die diesen Befehl ausgefertigt und unterschrieben haben, für die eigentlichen Henker und Mörder der Brüder Witt. Ich ließe mir früher eine Hand abnehmen, als daß ich einen einzigen dieser vom Blute triefende Buchstaben niederschreiben würde.«
Dann stieß er mit dem Knopfe seines Degens, den Mann, der das Papier wieder zurücknehmen wollte, so heftig von sich, daß er taumelnd von der Menge, an die er anprallte, aufgefangen wurde.
»Nur einen Augenblick noch, meine werthen Herren, eine solche Schrift ist von der größten Wichtigkeit, sie muß als ein Document der erbärmlichsten und schreiendsten Niederträchtigkeit, sorgfältig für die Nachwelt bewahrt werden.«
Er legte hierauf das Papier bedächtig zusammen, und schob es zwischen die Brust und den Harnisch.
Dann wendete er sein Pferd mit zornentflammten, und vom Blute gerötheten Gesichte gegen seine Leute, und kommandirte laut und hörbar.
»Eskadron! in Reihen Rechts.«
Die Soldaten befolgten mechanisch diesen Befehl, und setzten sich in Bewegung. Noch einmal kehrte Tilly sein edles, schönes Antlitz der Menge zu, noch einmal übersah dieses majestätische, scharfe Auge die unübersehbare, in ihrer frühern Stille verharrende Menge. Dann seinen Zügen, den früheren Ausdruck von Spott und mitleidiger Verachtung gebend, donnerte er nochmals.
Wohl an denn, Ihr edlen kühnen Männer, Ihr Henker aus eigenem Antriebe, auf, und vollführt Euer großes Werk, drücket den Schandfleck der teuflichsten Erbärmlichkeit auf Euere Stirne, daß die Nachwelt scheu vor dem Gezeichneten entfliehe.«
Der Tumult, der dieser beinahe unüberlegten Rede folgte, läßt sich nicht beschreiben, da selbst die Natur in ihren furchtbarsten Kämpfen, demselben nichts Aehnliches entgegensetzen könnte. Wuth und Freude, die beinahe an Wahnsinn grenzte, hatte der Menge in diesem Augenblicke den letzten Rest der Menschlichkeit geraubt, und sie zum Thiere herabgewürdigt.
Tilly’s Abtheilung konnte, durch die Menschenmasse in ihrer freien Bewegung gehemmt, nur langsam vorwärts kommen. Der Graf selbst blieb ganz allein der Letzte. Sein Zorn schien gewichen, mit der ihm eigenen Ironie und Kälte machte er unausgesetzt über den Pöbel und die Bürgergarde seine spöttischen Bemerkungen, zugleich aber die zunächst Vordringenden mit seinem kräftigen Pferde zurückhaltend.
Rosas Ahnungen schienen sich schneller, als man es glauben mochte, zu realisiren —
Auch Johanns Befürchtungen, die er gegen Cornelius geäußert, erhielten eine immer größere Begründung.
Cornelius stieg gerade am Arme seines Bruders über die breite, steinerne Treppe, die in den großen Hof führte, herab.
Unten fanden sie Rosa, die am ganzen Leibe zitterte:
»O, mein Herr,« rief sie, den Ex-Großpensionär bei der Hand fassend, »welches Unglück.«
»Was ist denn geschehen, mein Kind?«
»Ich habe gehört, das Volk sei nach dem Hoogstreet geeilt, um von den Deputirten den Befehl zum Abmarsche der Soldaten des Grafen Tilly zu erzwingen.
»So, — so, — ja, Du hast recht, mein Kind, wenn die Reiterei des Grafen abzieht, dann ist unsere Lage eine sehr traurige.«
»Darf ich vielleicht einen Rath geben, meine Herren.«
»Gib ihn, gutes Kind. Vielleicht spricht die Güte Gottes, die unendliche Gnade der Vorsehung durch Deinen Mund zu uns.«
»Nun denn, so hören Sie. Ich würde nicht durch die Hauptstraße gehen.«
»Nicht durch die Hauptstraße, warum? Ist Tillys Reiterei schon abgezogen?«
»Das gerade nicht. Aber wie lange kann es dauern, daß die wüthenden Leute zurückkommen, ihre Absicht — vollkommen erreicht haben, und für Tilly einen Gegenbefehl bringen.«
»Das ist allem Anscheine nach möglich.«
»Habt Ihr Jemand, der Euch aus der Stadtbringen wird?«
»Nein«
»Nun, da würdet Ihr ja gerade in dem Augenblicke, wo die Reiter Euch verlassen, dem nach eilenden Volke in die Hände fallen.«
»Dann begleitet uns die Bürgerwehr.«
»O! die ist gerade am erbittertsten gegen Euch.«
»Was sollen wir da eigentlich machen.«
»An Euerer Stelle, meine Herren, würde ich mich, statt durch das Hauptthor, durch die Ausfallsthüre entfernen. Diese mündet in eine enge Gasse, die gegenwärtig, wo sich Alles zum Hauptthore drängt, wahrscheinlich leer, und von dein größten Theile ihrer Bewohner verlassen sein dürfte. Von dort aus erreicht Ihr, da Euch Haag bekannt ist, aus Umwegen sehr leicht und ungesehen die Hauptstraße, kurz darauf das Stadtthor, und habt Ihr dieses einmal im Rücken, dann seid Ihr auch geborgen.«
»Aber mein Bruder, der kann nicht gehen.«
»Ich werde es versuchen,« und in Cornelius Antlitze malte sich die ganze Entschlossenheit eines großen, kühnen Mannes.
»Habt Ihr denn keinen Wagen mitgenommen?«
»Wohl nahm ich den meinen mit, aber ich ließ ihm am Teiche, in der Nähe des Hauptthores stehen.«
»O nein,« rief das Mädchen mit unverkennbarer Freude, in die kleinen Hände klatschend. »Auch darauf habe ich gedacht. In der Voraussetzung, daß Euer Diener ein braver Mann sei, befahl ich ihm, mit dem Wagen an der Ausfallsthüre zu warten.«
Der Blick, den die beiden Brüder wechselten, verrieth jene himmlische Empfindung, die in ihrer Seele entstehend, ihnen das ganze, verloren geglaubte Gebiet der Hoffnung wiedergab. Dann wendeten sich beider Augen nach dem reizenden Mädchen, das wie ein rettender Engel, den Unglücklichen den Weg des Heiles zeigen sollte.
»Wird uns Dein Vater aber diese Thüre öffnen?« fragte Johann nach einer kurzen Pause.
»Nein, er wird es auf keinen Fall thun.«
»Was hilft uns dann Dein Rath?«
»Das sollt Ihr gleich erfahren.