Die Löwenskölds - Romantrilogie. Selma Lagerlöf

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Die Löwenskölds - Romantrilogie - Selma Lagerlöf

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im Freien. Unangenehm war es allerdings, daß eine Kompanie Soldaten eine Sperre rings um den Platz vor dem Thinghaus bildete, so daß man nicht nah genug herankommen konnte, und die Soldaten mußten wahrlich manches Schimpfwort über sich ergehen lassen, weil sie den Leuten im Wege standen. Das hätte man sich sonst wohl nicht erlaubt, heute aber war man keck und aufdringlich.

      Die Leute hatten sich alle von daheim in aller Frühe auf den Weg machen müssen, um einen Platz in der Nähe der Sperrkette zu ergattern, und dann mußten sie da viele lange Stunden ausharren. Auch gab es da nicht viel zu sehen, woran man seine Augenlust hätte befriedigen können. Der Gerichtsdiener trat allerdings aus dem Thinghaus und stellte eine große Trommel mitten auf den Platz. Das war wenigstens eine Freude, denn es war doch ein Zeichen dafür, daß die, die drinnen saßen, daran dachten, die Sache noch vor dem Abend vorzunehmen. Der Ratsdiener kam alsdann auch noch mit einem Stuhl und einem Tisch, sowie mit einem Tintenfaß und einer Schreibfeder daher. Und schließlich brachte er einen kleinen Becher, worin zwei Würfel klapperten, die er einmal ums andere aufs Trommelfell warf.

      Er wollte wahrscheinlich probieren, ob sie gewiß richtig waren und bald so, bald so fielen, wie man es von richtigen Würfeln erwarten konnte.

      Danach eilte er wieder hinein, und das war nicht zum Verwundern, denn sobald er sich überhaupt zeigte, riefen ihm die Leute Schimpfworte und anzügliche Witze zu. Das hätten sie sonst nicht getan; aber an diesem Tag waren sie ganz außer Rand und Band.

      Der Richter und die Schöffen wurden durch den Sperring geleitet, und sie wanderten oder ritten bis vor das Thinghaus. Und sobald einer von ihnen sich zeigte, kam Leben in die Menge. Man flüsterte und zischelte aber nicht wie sonst. O nein, man rief ihnen mit lauter Stimme Begrüßungen und Bemerkungen zu. Und man konnte ja nichts tun, um es zu verhindern, der hier Wartenden waren gar viele, und man konnte ihnen das Reden nicht verbieten. Die Herrenleute, die eintrafen, wurden auch in das Thinghaus hineingelassen. Da war der Rittmeister Löwensköld auf Hedeby und der Propst von Bro und der Gutsherr von Ekeby und der Kapitän auf Helgesäter sowie natürlich noch viele andere. Und sie alle bekamen zu hören, wie gut sie es hätten, daß sie nicht hier draußen stehen und sich um einen Platz balgen müßten, und noch vieles andere obendrein.

      Wenn gar niemand mehr da war, an dem man sich reiben konnte, hielt man sich an ein junges Mädchen, das sich so nah wie möglich an dem Soldatenring hielt. Sie war klein und zart gebaut, und einmal ums andere versuchten die Burschen, sich vorzudrängen und ihren Platz einzunehmen; aber sooft dies geschah, wurde ihnen von den in der Nähe Stehenden zugerufen, sie sei ja die Tochter von Erik Ivarsson aus Olsby; nach dieser Aufklärung ließ man sie in Ruhe.

      Dafür aber hagelten allerlei Sticheleien über sie her. Es wurde ihr zugerufen, was ihr lieber wäre, wenn ihr Vater oder ihr Verlobter gehängt würde? Und man wunderte sich und fragte, warum gerade sie, die Tochter eines Diebes, den besten Platz haben solle?

      Und die so weit aus den Wäldern dahergewandert waren, taten höchst erstaunt, weil sie den Mut hätte, da stehenzubleiben; aber denen wurde dann ordentlich Bescheid gesagt. Ha, ha, dieses kleine Mädchen kenne keine Furcht, sie sei bei jeder Gerichtsverhandlung dabeigewesen und habe auch nicht ein einziges Mal geweint, sondern sei immer ganz ruhig geblieben. Sie habe den Angeklagten zugenickt und zugelächelt, wie wenn sie vollkommen sicher wäre, daß sie am nächsten Tag freigesprochen würden. Und sobald die Angeklagten sie sahen, hätten sie gleich neuen Mut gefaßt. Sie hätten gedacht, da sei doch wenigstens ein Mensch, der von ihrer Unschuld überzeugt war. Ja, einen Menschen gab es also, der nicht glauben konnte, sie hätten sich durch einen armseligen goldenen Ring zu einem Verbrechen verleiten lassen können.

      Schön, freundlich und geduldig hatte das Mädchen im Gerichtssaal gesessen. Nie hatte sie jemand geärgert; nein, sie hatte sich auch den Richter und die Schöffen und den Lehnsmann zu Freunden gemacht. Diese hätten das zwar wohl nicht selbst zugegeben; aber es wurde behauptet, das Amtsgericht hätte die Angeklagten nicht freigesprochen, wenn sie nicht bei der Gerichtsverhandlung anwesend gewesen wäre. Man könnte sich ja ganz unmöglich denken, daß jemand, der Marit Erikstochter lieb hatte, sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatte.

      Und jetzt war sie auch hier, damit die Gefangenen sie sähen. Ihre Gegenwart sollte ihnen Kraft und Trost bringen. Sie wollte während der Probe für sie beten und sie der Gnade Gottes anempfehlen.

      Man konnte ja vorher gar nichts wissen. Es heißt freilich, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, aber sie sah wirklich gut und unschuldig aus. Und ein liebevolles Herz hatte sie sicher auch, wenn sie da stehenbleiben konnte, wo sie stand.

      Sie mußte ja alles gehört haben, was ihr zugerufen worden war, doch hatte sie weder etwas darauf erwidert noch geweint, noch zu entfliehen versucht. Sie wußte, die unglücklichen Gefangenen würden sich freuen, wenn sie sie sähen. Sie war ja die einzige in der ganzen Menschenmenge ringsumher, die ein menschlich fühlendes Herz für sie hatte.

      Aber wie es auch sein mochte, ganz vergeblich stand sie doch nicht dort. Der eine oder andere, der selbst Töchter hatte, die ebenso sanft und unschuldig waren wie Marit, die Tochter von Erik Ivarsson, dachte in seinem Herzen, wie wenig gern er seine Tochter dort stehen sähe, wo Marit jetzt stand.

      Da und dort erhob sich allmählich doch eine Stimme, die verteidigte oder doch wenigstens versuchte, die Witzbolde und Schreihälse zum Schweigen zu bringen. Nicht allein, weil endlich die lange Wartezeit ein Ende nahm, sondern auch Marit Erikstochter zuliebe war man froh, als endlich die Tore des Thinghauses aufgetan wurden und das Verfahren seinen Anfang nahm. In feierlichem Zug kam zuerst der Gerichtsdiener, der Lehnsmann und die Gefangenen, die zwar frei von Fesseln und Banden waren, obgleich jeder von ihnen von zwei Soldaten bewacht wurde. Danach erschienen der Küster, der Propst, die Schöffen, der Schreiber und der Richter. Hinter allen diesen kamen die Herrschaften und einige Bauern, die in großem Ansehen standen und mit diesen allen innerhalb des Ringes der Soldaten sein durften.

      Der Lehnsmann und die Gefangenen stellten sich an der linken Seite des Thinghauses auf, der Richter und die Schöffen dagegen rechts davon, die Herrschaften blieben in der Mitte stehen. Der Schreiber nahm mit seinen Papierrollen an dem Tisch Platz. Die große Trommel stand noch immer von nichts verdeckt mitten in dem Kreis.

      In dem Augenblick, als der Zug sich zeigte, entstand in der Volksmenge ein großes Gedränge und Vorwärtsstürmen. Mehrere große und starke Männer suchten sich in die vorderste Reihe durchzudrängen. Und vor allem legten sie es darauf an, Marit Erikstochter wegzudrücken. Aber in ihrer Angst, nun weit nach hinten zurückgedrängt zu werden, drückte sie sich zusammen, und klein und mager, wie sie war, kroch sie zwischen den Beinen von zwei Soldaten durch und befand sich nun innerhalb des Sperringes.

      Das verstieß zwar gegen alle Ordnung, und der Lehnsmann gab dem Gerichtsdiener einen Wink, Marit Erikstochter fortzuschaffen. Der Gerichtsdiener begab sich auch eilig zu ihr hin, legte ihr die Hand auf die Schulter, wie wenn er sie festnehmen wollte, und führte sie mit sich nach dem Thinghaus. Als sie aber dann glücklich in dem Menschenhaufen, der davor stand, angekommen waren, ließ er sie los. Er hatte sie ja schon oft gesehen, und so wußte er, wenn sie nur in der Nähe der Gefangenen bleiben dürfte, würde sie sicher nicht auf und davongehen, und wenn der Lehnsmann sie je festnehmen wollte, würde sie jetzt leicht zu greifen sein.

      Wer hätte jetzt übrigens Zeit gehabt, an Marit Erikstochter zu denken? Der Propst und der Küster waren vorgetreten und hatten sich in der Mitte des Platzes aufgestellt. Beide nahmen die Hüte ab, und der Küster stimmte ein Kirchenlied an. Und als die, die außerhalb des Sperringes standen, das Lied hörten, ging ihnen gleichsam ein Licht darüber auf, daß es sich um etwas Großes und Feierliches handelte, das vor sich gehen sollte, ja um das Feierlichste, dem sie je beigewohnt hatten: eine Anrufung der allmächtigen, allwissenden Gottheit, um deren Willen zu ergründen.

      Und noch andächtiger wurden die Leute gestimmt, als nun der Propst selbst sprach. Er bat

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