Mein Freund, der Kunde. Jürgen Frey
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Mehr Gelassenheit durch Konzentration
Immer wenn ich in solchen Unternehmen zu Besuch bin, weiß ich wieder, welchen Sinn mein Beruf hat. Denn alle diese Mitarbeiter könnten viel weniger Stress, viel mehr Zeit für ihre Familien und viel mehr Freude bei der Arbeit haben, wenn man ihnen nur hilft, sich zu konzentrieren. Die Vertriebsmannschaft braucht dann kein aggressives Verkaufen mehr, sondern kann jedem Kundenkontakt so gelassen entgegensehen wie einem Besuch bei Freunden.
Doch in vielen Unternehmen kommen den Mitarbeitern diese Gedanken im ersten Moment exotisch vor. Sie sind es dermaßen gewohnt, im Hamsterrad zu drehen, dass sie sich schon fast nichts anderes mehr vorstellen können. Sie glauben, nur dann dauerhaft erfolgreich sein zu können, wenn sie die Schlagzahl noch weiter erhöhen und noch offensiver verkaufen. Woran liegt das?
Immer an den Kunden denken
Im Mai 1998 musste ich selbst zum ersten Mal schmerzhaft lernen, wie man es sich unnötig schwer machen kann, seine Produkte zu verkaufen. Als ich im Flieger auf dem Weg von Frankfurt nach Chicago saß, war ich noch guter Dinge. Mein erster Kundenbesuch in den USA stand an. Der sollte ein besonderes Highlight meiner noch jungen Karriere werden. Auf dem heruntergeklappten Tischchen vor meinem Sitz hatte ich neben Cola und einer kleinen Tüte Nüsse vom Bordservice jede Menge Unterlagen ausgebreitet. Ich wollte perfekt vorbereitet sein, um unsere Firma ins beste Licht zu rücken und diesen Kunden zu gewinnen. Immer noch feilte ich an meinen Argumenten.
Bei dem Kunden im Mittleren Westen der USA wurde ich dann begrüßt wie ein alter Freund. Ich war total begeistert und konnte es kaum erwarten, bis es endlich hieß: »Let’s talk business.« Ich donnerte meine Argumente in Richtung meines Gesprächspartners, wie einst Boris Becker in Wimbledon seine Bälle auf die andere Seite des Netzes: Wir bieten Qualität made in Germany. Wir haben ein 2000 Quadratmeter großes Lager. Unser Team ist eines der jüngsten aller Unternehmen der Region. Wir haben die modernsten Ausbildungsstandards. Und so weiter. Ich redete und redete.
»What’s in it for me?« – Was habe ich davon?
Als ich endlich fertig war, wirkte mein Gegenüber, ein großer, stämmiger Amerikaner, völlig unbeeindruckt. Nach einer unangenehmen Pause sagte er mit ruhiger, tiefer Stimme: »Okay, Juergen, just one question.« Nur eine Frage. »What’s in it for me?« Was habe ich davon? Mit dieser Frage hatte mein Kunde mich kalt erwischt. Er hatte ja recht: Was hatte er von unserem Lager? Was hatte er davon, dass wir in Deutschland produzierten? Was interessierte ihn das Durchschnittsalter unseres Teams?
Plötzlich war mir klar, dass ich meine Geschichte aus der falschen Perspektive erzählt hatte. Nämlich aus der Innenperspektive. Ich musste sie dem Kunden neu erzählen. Nicht »Made in Germany« war ihm wichtig, sondern dass unsere Produkte zwar nicht billig, aber dafür haltbar und damit langfristig günstig waren. Oder dass wir wegen unserer Lagerlogistik auch sehr kurzfristig liefern konnten. Dass überhaupt Schnelligkeit und Flexibilität zu unseren Stärken zählten. Da hatte ich in unzähligen BWL-Büchern alles über das Thema »Kundennutzen« gelesen. Doch erst die Frage eines amerikanischen Provinz-Unternehmers machte mir klar, was das Wort bedeutet. Es bedeutet: »What’s in it for me?«
Aufhören, sich nur mit sich selbst zu beschäftigen
In der Theorie ist jedem Unternehmer und jedem Manager im Mittelstand klar, dass er seinen Kunden maximalen Nutzen bieten muss. Niemand würde sagen: Unsere Firma produziert nutzloses Zeug. In der Praxis sehe ich jedoch immer wieder, wie man sich liebend gern mit sich selbst beschäftigt. Da sagt dann irgendjemand aus dem Führungskreis: »Lasst uns doch mal brainstormen.« Abends beim Bier werden dann Ideen über Ideen produziert. Die Umsetzbarkeit? Besprechen wir ein andermal. Hauptsache wir Manager wissen, wie man so was macht. Wenn ein Kunde anwesend wäre, würde er sich verdutzt die Augen reiben. Er müsste sich fragen: Was habe ich von all den tollen Ideen?
In die Außenperspektive wechseln!
Der Ausweg aus der Falle ist der Wechsel in die Außenperspektive. Kennen Sie den Rat, den Arbeitspsychologen praktisch jedem jungen Bewerber geben, der nicht weiß, wo er sich bewerben oder welche Ausbildung er machen soll? Dieser Rat lautet: Frag deine Freunde, wenn du wissen willst, was deine Stärken sind. Lass dich von außen »spiegeln«. Was deine Freunde an dir am meisten schätzen, sind deine größten Stärken. Auch Unternehmen können diesen Rat beherzigen. Sie müssen dazu bloß »Freunde« durch »Kunden« ersetzen. Wenn Manager untereinander Pläne schmieden, spielen oft ihre persönlichen Lebensträume und Fantasien von grenzenlosem Erfolg mit hinein. Im Extremfall schaut niemand mehr auf die tatsächlichen Stärken, sondern nur noch auf das, was er gerne wäre und wie er das Unternehmen gerne hätte.
Kunden geben da viel ehrlicheres und besseres Feedback. Wenn man sie offen fragt und ernsthaft einbindet, sagen sie dem Unternehmen alles, was ihnen nicht passt. Aber sie sagen auch alles, was sie an dem Unternehmen richtig stark finden. Nachdem wir damals bei drilbox unseren »China-Schock« erlitten hatten, riefen wir deshalb einen Kundenbeirat ins Leben. Nicht als Alibi-Veranstaltung, wie bei manchem Konzern, sondern um wirklich von den Kunden zu lernen, worin wir richtig gut sind.
Das ehrlichste Feedback gibt der Kunde
Den Kundenbeirat luden wir bewusst nicht in die Firma ein, sondern ins Privathaus des Unternehmers Jörg Knoblauch. Es sollten Treffen »unter Freunden« sein. Wir wollten der Wahrheit ungeschminkt ins Auge sehen und waren auf jede Kritik gefasst. Überraschenderweise waren alle Kunden nicht nur sehr engagiert bei der Sache, sondern wiesen uns hauptsächlich auf unsere Stärken hin. Sie benannten dabei auch Dinge als Stärken, die für uns völlig selbstverständlich waren. Unser breites Produktsortiment war den Kunden zum Beispiel viel wichtiger als der Preis oder die Tatsache, dass die Bohrerkassetten made in Germany waren. Die Tatsache, dass wir auch für das seltenste Werkzeug die passende Aufbewahrungsbox liefern konnten, hatten wir bis dahin in unserem Marketing nie herausgestrichen. Wir glaubten, die Chinesen hätten unsere Expansionspläne durchkreuzt. Und jetzt lernten wir, was die Kunden an uns schätzten.
VON DEN BESTEN LERNEN: Eifel-Destillerie P. J. Schütz
Im Jahr 2010 wurde der »Bundesehrenpreis« des deutschen Landwirtschaftsministeriums, die landesweit höchste Auszeichnung für Lebensmittelqualität, erstmals in der Kategorie Spirituosen vergeben. Preisträger war die Eifel-Destillerie P. J. Schütz in Lantershofen im Ahrtal. Das Unternehmen stellt seit 1925 Kräuterspirituosen und Fruchtliköre her. »Eifelgeist«, »Eifelgold« und »Schütz-Boonekamp« zählen zu den traditionellen Spezialitäten. Der Firmensitz befindet sich auf einem landwirtschaftlichen Gut. Hier können Kunden während der Öffnungszeiten des Fabrikverkaufs auch direkt einkaufen.
Jahrelang war es das ehrgeizige Ziel des durchaus schon erfolgreichen Unternehmens, noch in die Sortimente der großen Ketten des Lebensmittel-Einzelhandels (LEH) aufgenommen zu werden. Ein großer Teil der Managementaktivitäten galt diesem Ziel. Bekanntlich sind die Bedingungen der großen Handelsketten für ihre Lieferanten sehr streng. Der gnadenlose Wettbewerb im LEH ermöglicht zudem nur hauchdünne Margen. Die zu erwartende Absatzsteigerung hätte mit geringer Profitabilität erkauft werden müssen. Entsprechend schwierig waren die Verhandlungen.
Die Strategiewende kam, als die Eifel-Destillerie den Markt intensiver erforschte und sich auf ihre eigentlichen Stärken konzentrierte. Es stellte sich nämlich heraus, dass der Hersteller zu den bekanntesten Marken in der Region zählte. Überraschenderweise besaßen die Fruchtliköre des Traditionsunternehmens bei jungen Erwachsenen