Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Gunther Schmidt
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Für diesen Teil der Arbeit kann man sehr wohl anknüpfen an die alte Devise von S. Freud: „Wo Es war, soll Ich werden.“ Dies allerdings nicht durch die Entwicklung und Bearbeitung einer Übertragungsneurose, sondern durch gezieltes Coaching der Klienten als gleichrangige Kooperationspartner und Steuerungsexperten.
Da so die Richtung der hypnotherapeutischen Arbeit ständig oszilliert im dialektischen Spannungsfeld der Pole „Problem“ und „gewünschte Lösung“, habe ich dieses Vorgehen „dialektische Hypnotherapie“ genannt.
Für dieses Vorgehen – Herstellung einer Balance zwischen der Arbeit mit Lösungs- und mit Problemmustern – spricht auch ein weiterer, zentraler Aspekt. Wenn wir, was praktisch immer möglich ist, in kurzer Zeit die Potenziale aktivieren können, die für eine gewünschte Erlebnisgestaltung nötig sind, stellt sich die Frage, weshalb die Klienten diese nicht schon früher so kontinuierlich genutzt haben, wie es für die Lösung nötig wäre. Denn wenn sie sie genutzt hätten, wäre ihnen oft viel Leid erspart geblieben. Und ich habe bisher noch niemanden getroffen in meiner Arbeit, der gerne gelitten hätte (Unterstellungen der Art, dass manche Klienten lieber leiden würden, als zu lösen, weil Leiden leichter sei, halte ich, wie gesagt, für eine böswillige oder einfach undifferenziert dumme Diffamierung).
Erickson selbst erklärte sich diesen vermeintlichen Widerspruch damit, dass die Menschen in ihrem gewohnten bewussten Denken (einem Vorschlag von Bernd Schmid folgend, besser als „Gewohnheitswirklichkeit“ beschrieben) zu rigide und eingeengt wären. Daraus folgerte er, man solle auf die Kompetenzen fokussierende therapeutische Angebote eher indirekt machen, um damit das rigide Bewusste zu umgehen, abzulenken, einzuschläfern, und so den Zugang zu unbewussten Kompetenzen schaffen. Die bis heute überwiegende Mehrheit der im ericksonschen Feld und in der Lösungsfokussierung nach de Shazer arbeitenden Therapeuten bevorzugt deshalb indirekte, strategisch intransparente, fast „tricksende“ Interventionen. Damit soll das rigide Bewusste umgangen und mit den als so kompetent angesehenen unwillkürlichen Prozessen bevorzugt gearbeitet werden.
Damit wird aber eine Realität erzeugt, die bewusste Prozesse als relativ inkompetenter behandelt denn unbewusste und unwillkürliche. Dies kommt indirekt einer stark auf Defizite fokussierenden Maßnahme gleich, also genau dem Gegenteil von dem, was man beabsichtigt. Verbindet man nun die ericksonsche Perspektive mit einer systemischen, kann man mehr auf die relevanten Kontexte bezogen prüfen, was jemanden veranlassen könnte, seine Potenziale für sein eigenes Wohlergehen nicht zu nutzen, obwohl ihm das Besserung bringen würde. Wenn man systematisch (und präzise auf Details achtend) danach fragt, welche Auswirkungen es in wichtigen Beziehungen hätte, wenn man die für einen selbst hilfreichen Potenziale nutzen würde (vorhanden sind sie ja), wird meist schnell deutlich, dass die Betreffenden befürchten, dass es dann anderen, ihnen wichtigen Menschen schlechter gehen könnte. So erweist es sich als sehr anerkennenswerte Loyalitätsleistung, wenn jemand unbewusst darauf verzichtet, seine Potenziale für sich zu nutzen (siehe z. B. auch die Kapitel über Depressionen bzw. Sucht als Such(t)-Kompetenz). Dann reicht es aber auch nicht aus, die Potenziale wieder zu aktivieren. Ja, gerade dann, wenn das gelingt, kristallisiert sich eine existenzielle Zwickmühle für die Betreffenden heraus, denn ihr Wohlergehen scheint im Widerspruch zu ihren Loyalitäten zu stehen. Die Therapien oder Beratungen sollten also gerade dann Angebote dafür machen, wie man optimal solche Zwickmühlen auflöst. Dafür sollte man sich aber auch mit den Problemen beschäftigen und eine bestimmte Art von Problem Talk machen, nämlich eine solche, die die Probleme als Kompetenzen für die inoffiziellen Loyalitätsziele würdigt. So werden meist auch die zu Beginn der Kooperation definierten Ziele noch einmal differenzierter, meist entsteht die Aufgabe, eine Zielbalance (eigenes Wohlergehen plus Loyalitäten gerecht werden) optimal zu gewährleisten.
Schlussfolgerungen für die Transformation systemischer und hypnotherapeutischer Arbeit zur hypnosystemischen Arbeit
Die bisher dargelegten Argumente führen zu aus meiner Sicht wichtigen Änderungen und Erweiterungen der traditionelleren systemischen, aber auch der traditionelleren hypnotherapeutischen Arbeit. In den folgenden Kapiteln werden viele Aspekte davon in Theorie und der praktischen Umsetzung in unterschiedlichsten Arbeitskontexten ausführlicher beschrieben. Hier möchte ich einige wesentliche Änderungsaspekte kurz zusammenfassen.
– Jedes systemische Interview und jede systemische Intervention sind zwangsläufig eine Maßnahme der Aufmerksamkeitsfokussierung, die an sich schon erlebnisinduzierend wirkt. Da die Arbeit immer als professionelle, zieldienliche Dienstleistung zu verstehen ist, sollte permanent nur so kommuniziert und fokussiert werden, dass dies intensiv dem gewünschten Erleben der Auftraggeber und Auftraggeberinnen dient.
– Jede Frage, auch jede zirkuläre Frage, wirkt immer auch als Anregung zur Imagination. Daraus folgt, dass Fragen, das ganze Interview keineswegs dazu dienen sollen, Informationen für die Therapeuten und Therapeutinnen zu sammeln, womöglich darüber, wie das System bisher „ist“. Die Fragen sollten vielmehr ausschließlich als Instrumente zur Erzeugung von Information und Imagination dienen, welche bei den Auftraggebern und Auftraggeberinnen zieldienliches Erleben aktivieren. Die gesamte Kooperation in Therapie oder Beratung kann verstanden und genutzt werden als kontinuierliches Ritual von wechselseitigen Bewusstseinsinduktionen, die tunlichst auf das Zielerleben fokussieren sollten.
– Fragen und andere Bemühungen, das System zu verstehen, folgen dem Missverständnis, dass man verstehen könnte, wie das System organisiert ist. Jedes so genannte System weist aber multiple Möglichkeiten auf, sich zu organisieren, sowohl in problemstärkender als auch in Lösungen fördernder Weise. Die „Lösung“ oder das gewünschtes Ergebnis der Kooperation wird aber nur erreicht, wenn nachhaltig auf die Muster fokussiert werden kann (am besten von so vielen Beteiligten als irgend möglich), die Lösungskompetenzen aktivieren. Deshalb ergeben auch Systemdiagnosen im noch immer weit verbreiteten traditionellen Stil der Erfassung eines „Ist-Zustands“ keinen Sinn, sie fokussieren aber oft in sehr ungünstiger Weise auf vermeintliche Defizite und weg von den hilfreichen Kompetenzmustern. Das System an sich gibt es ohnehin nicht, sondern das, was damit gemeint ist, drückt immer nur die jeweilige Beschreibungsleistung von Beobachtern aus. Und die ist jeweils ausgerichtet an den Fragestellungen oder Interessen der Beobachter. Deshalb sollten die Beobachter in Therapien und Beratungen nur zieldienliche Beschreibungen erstellen. Dies wird dadurch möglich, dass zunächst die Ziele entwickelt werden, für welche man das System betrachten und beschreiben will. Daraufhin sollte das jeweilige System konsequent so organisiert werden, dass es zieldienlich wirkt. Das System sollte also um die Ziele herum organisiert werden. So wie man von einem problemdeterminierten System sprechen kann, kann man auch von einem ziel- oder lösungsförderlichen System sprechen. Dies sollte intensiv in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeitsfokussierung gestellt werden. Man kann sagen: „Der Sinn der Arbeit, auch die Kraft, die Motivation für die Arbeit und deren Effektivität kommen aus dem Zielbezug.“