Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Gunther Schmidt
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Für Therapeuten folgt daraus: Wenn sie einen Beitrag dazu leisten wollen, das Beratungssystem als kompetenzfokussierendes, zieldienlich wirksames Kooperationssystem aufzubauen, sollten sie jedes Phänomen, welches von den Klienten angeboten wird, aber auch eigene Beiträge, eigenes Erleben jeweils so beschreiben, bewerten und so damit umgehen, dass es als Kompetenz für Bedürfnisse behandelt werden kann, die für die Zielverwirklichung zu berücksichtigen sind und genutzt werden sollten. Dies wird im ericksonschen Konzept „Utilisation“ genannt. Wenn z. B. jemand immer wieder jedes Angebot mit „Ja, aber …“, großen Zweifeln etc. beantwortet, sollte dies behandelt werden als deutliches, kompetentes Verhalten im Dienste von Sicherheitsbedürfnissen des Betreffenden und als Fähigkeit, kritisch zu prüfen und nur das anzunehmen, was auch ganz sicher für die eigene Person passt. Die Therapeuten tragen so dazu bei, eine neue Realität zu erzeugen (wenn ihre Angebote für die Adressaten plausibel erscheinen), welche Kompetenzperspektiven ermöglicht. Diese Fähigkeit sollte dann nicht verändert, sondern genutzt werden als klarer Hinweis darauf, unter welchen Bedingungen jemand kooperieren würde, nämlich wahrscheinlich nur, wenn er viel autonomen Raum für kritische Prüfung und Abgrenzung gegen Angebote der Therapeuten bekommt.
Das Beratungssystem als rituelles Kraftentfaltungs- und Flow-System
Wie ich oben schon gezeigt habe, als ich Probleme verstehbar machte als Zeichen einer (letztlich selbsthypnotisch induzierten) Problemtrance, gehen solche Problemerlebnisprozesse so gut wie immer damit einher, dass sich die Wahrnehmungsmöglichkeiten sehr verengen. Damit erleidet man nicht nur ein Problem, man dissoziiert auch viele Kompetenzen, die man für seine Lösung gut gebrauchen könnte. Tragischerweise führt dies wiederum dazu, dass man so eher Zugang findet zu (bzw. sich assoziiert mit) Zielvorstellungen, Lösungsideen und Lösungsstrategien, die das Problem gerade wieder verstärken oder stabilisieren, anstatt es wie gewünscht zu lösen. Dies ist ein unwillkürlicher Prozess, man sollte keinem Klienten unterstellen, dass er etwa lieber leiden wolle als lösen. Aussagen wie „Leiden ist leichter als Lösen“ (Döring-Meijer 2000 unter Bezug auf B. Hellinger) diffamieren aus meiner Sicht Klienten und werden dem belegbaren Prozess nicht gerecht, dass die Klienten einen hohen Preis bezahlen dafür, dass ihre Erlebnisorganisation so dissoziiert ist. Während des Leids, während man ein Problem erlebt, wird man meist auf fast allen Ebenen der Wahrnehmung zu jemand anderem als derjeninge, als den man sich erlebt, wenn es einem besser geht. Während leidvoller Phasen verändert sich sogar der Hormonhaushalt, man wird quasi dümmer in dem Sinne, dass man eben nur noch eingeengt reagieren kann (Ciompi 1982; Hüther 1999, 2000, 2004; siehe auch das Kapitel Die Klinik als lernende Organisation).
Wenn Menschen, unter dem Eindruck eines Problemerlebens, sich zu einer Beratung oder Therapie entschließen, können wir davon ausgehen, dass sie auch das Ereignis Beratung bzw. Therapie aus der Problemtrance heraus angehen und erleben. Auch ihre Schilderungen des Problems, ihre Zielvorstellungen und ihre Ideen hinsichtlich möglicher Schritte entspringen der Problemtrance und können deshalb leicht wieder ins Problem zurückführen.
Therapeuten haben deshalb die ethische Pflicht, den gesamten Prozess der Zusammenarbeit so mitzugestalten, dass er zu einem Kontext der Wertschätzung, Sicherheit, von Wohlgefühl, ja, von optimalem Flow-Erleben wird (Csikszentmihalyi 1996). Mit Flow ist gemeint, dass sich jemand ganz im Lot fühlt, voller Kraft, Schwung, Elastizität, mit optimal fließender Energie und sich dabei ganz einer Aufgabe widmen kann, quasi erfüllt von ihr und ohne unangenehmen Stress. Lösungsfokussierung und Flow bedeuten dabei aber nicht, dass man sich immer als locker und fröhlich erleben müsste – das würde einer billigen, oberflächlichen und destruktiv wirkenden positivistischen Schönfärberei entsprechen. Da ziehe ich eindeutig Werte des „alten Europa“ vor. Es geht darum, jeweils das den Erfahrungen und Kontexten der Beteiligten aus ihrer Sicht angemessenste Erleben zu unterstützen, bei Verlust z. B. Trauer, bei als gefährlich angesehener Unsicherheitssituation (z. B. bei der Arbeit, in Beziehungen) auch den liebevollen, achtenden Umgang mit Angst (anstatt sie abwertend „wegmachen“ zu wollen). Alle Gefühlsreaktionen haben kontextbezogen ihren Wert, aus dieser Sicht gibt es keine „negativen“ Gefühle, sondern immer nur solche, die in bestimmten Kontexten die genau stimmige Kompetenz darstellen.
Je mehr jedes Angebot der Therapeuten auf erlebbare Wertschätzung, Sicherheit und Kraft fokussiert, desto eher können die Klienten wieder zu denen werden, die ihre Anliegen endlich wieder aus einer Perspektive anschauen können, die ihnen Zugang zu hilfreichen Ideen ermöglicht. Deshalb sollten Therapeuten sich auch nicht sofort intensiv mit den Problemen beschäftigen, sondern damit, was die Klienten brauchen könnten, um überhaupt eine sichere Beobachterperspektive aufbauen zu können, aus der heraus sie geschützt, sicher, mit Kraft erst ihre Muster betrachten. Es sollten also viele fokussierende Fragen, Einladungen etc. angeboten werden in Richtung dieses Erlebens, z. B.: „Ich frage mich, was Sie im Moment gebrauchen könnten, um wieder mehr Kraft zu spüren, um diese schwierigen Themen einmal mit etwas Abstand, mit etwas Schutz und Zuversicht anzugehen.“ Oder: „Wie müssten wir denn darüber reden, damit Sie wieder merken können, dass Ihnen dabei quasi der Rücken so gestärkt wird, dass Sie sich überhaupt wieder spürbar vorstellen könnten, etwas Hilfreiches in Gang setzen zu können …“ Oder: „Wie nahe an sich dran erleben Sie denn gerade das Problem, wenn Sie sich so bedrängt davon fühlen; und wohin in Ihrer Wahrnehmung, sozusagen wohin im Raum [Dissoziationstechnik] müssten Sie es schieben, stellen etc., damit Sie es ruhig und mit Kraft und Flexibilität anschauen könnten? Welche Ideen würden Ihnen denn dann eher kommen?“ So werden die Klienten von Anfang an unterstützt dabei, einen Erlebnisprozess mit mehr Kompetenzzugang aufzubauen, aus dem heraus sie sich viel erfolgreicher und dabei geschützter mit ihren Problemen beschäftigen können. Die Einladungen der Therapeuten dabei entsprechen konsequent den Ideen der ericksonschen Hypnotherapie darüber, wie durch Fragen imaginativ Aufmerksamkeit fokussiert und Erleben aktiviert wird.
L. Reddemann hat diese Sichtweise Anfang der 90er Jahre aus einer Weiterbildung bei mir übernommen und sie in beeindruckend kreativer und konsequenter Weise für eine intensive Revision ihrer Traumatherapiekonzepte genutzt (Reddemann 2002, 2004). Ein zentraler Aspekt davon ist, dass bei traumatisierten Klienten keine Beschäftigung mit der Vergangenheit begonnen wird, bevor sie nicht wirksam eine sichere Beobachterposition aufbauen konnten, aus der heraus dies dann angegangen werden kann.
Der noch immer weit verbreitete Mythos in Beratung und Therapie, dass Klienten einfach genügend Leidensdruck bräuchten, damit sie zu Veränderungen kommen, stellt aus meiner Sicht eines der dümmlichsten Fossilien der Therapiegeschichte dar. Zwar kann es sein, dass man mit erhöhtem Leidensdruck eine stärkere Bereitschaft zur Veränderung entwickelt. Die erlebte Fähigkeit zur Veränderung wird dabei aber immer geringer, da man ja sich stets als schwächer, enger, unfähiger erlebt, je mehr der Leidensdruck steigt. Die erlebte Fähigkeit und gerade dadurch auch fast immer die Motivation für Veränderung werden wesentlich stärker und konstruktiver, wenn man sich aus voller Kraft, Zuversicht, Neugier erlebt. Wie gerade die Flow-Forschungen zeigen, erlahmt dann keineswegs der Wunsch nach Entwicklung. Die uralte psychoanalytische Idee (natürlich auch schon von Psychoanalytikern selbst infrage gestellt), dass