Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane. A. F. Morland
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6
„Tach, Frau Albrecht“, grüßte Gudrun Giesecke, als Renate Albrecht in der Praxis des Grünwalder Arztes erschien.
„Guten Tag, Schwester Gudrun“, gab die Einundfünfzigjährige zurück. Sie trug ein hübsches Chanel-Kostüm aus dunkelblauem Leinen.
„Sie sehen blendend aus“, stellte die korpulente Sprechstundenhilfe fest.
„Finden Sie?“
„Von mir kriegt keener ’n falsches Kompliment zu hören.“
„Ja, Sie sind ehrlich.“
Gudrun lächelte. „Manchen Leuten bin ick zu ehrlich, aber dat stört mich nich.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Damit müssen die irjendwie selber klarkommen.“
Fünfzehn Minuten später saß Renate Albrecht ihrem Hausarzt gegenüber. Einundfünfzig war sie. Sie hatte noch vier Jahre, dann war sie so alt wie ihre Mutter, als sie starb, und bis dahin wollte sie alles in ihrem Sinn geregelt haben.
Das wusste Dr. Kayser, und von dieser fixen Idee war sie nicht abzubringen. In vier Jahren würde sie sterben - wie ihre Mutter. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel wurde der Tod sie ereilen - wie ihre Mutter.
Dr. Kayser untersuchte sie. Er maß Blutdruck und Puls, horchte sie ab. Nichts ließ darauf schließen, dass eine heimtückische tödliche Krankheit in ihr lauerte. Sven Kayser hätte beinahe gesagt: Es tut mir leid, Sie enttäuschen zu müssen, liebe Frau Albrecht, aber Sie sind kerngesund. Selbstverständlich verkniff er sich diese sarkastische Bemerkung.
„Alles in Ordnung, nicht wahr?“, sagte Renate Albrecht, ohne sich darüber zu freuen.
„Ich wollte, alle meine Patienten wären so gesund wie Sie“, erwiderte der Grünwalder Arzt.
Renate Albrecht nickte ernst. „Das war bei meiner Mutter genauso, aber wenige Tage nach ihrem fünfundfünfzigsten Geburtstag ...“
„Es wird sich nicht wiederholen“, warf der Arzt ein.
Renate Albrecht lächelte schmal. „Ich schätze Sie sehr, Herr Doktor, das ist Ihnen bekannt. Sie sind für mich der beste Arzt, den es gibt - aber das können Sie nicht wissen. Wie heißt es doch so schön? Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt. Im großen Buch des Lebens ist festgeschrieben, wann jeder Einzelne von uns gehen muss. Dahinter steht eine Macht, gegen die wir kleinen Menschen nichts auszurichten vermögen. Da helfen dann kein noch so großes ärztliches Wissen und keine noch so guten Präparate mehr. Wenn die Uhr abgelaufen ist, ist es aus.“
„Und ich kann Sie nicht davon überzeugen, dass Ihre Uhr noch lange nicht abgelaufen ist?“
„Nein, Herr Doktor, das können Sie nicht. Ich bin meiner Mutter zu ähnlich. Mein Leben verläuft genauso wie ihres - also wird es auch genauso lange dauern. Aber ich habe keine Angst vor dem Ende. Ich werde darauf vorbereitet sein und bis dahin alles für meine Töchter geregelt haben.“
Dr. Kayser schlug ihr einen umfassenden medizinischen Test in der Seeberg-Klinik vor. Es überraschte ihn, dass sie gleich einwilligte.
„Margot wird demnächst heiraten“, erzählte sie ihm stolz.
„Ist sie nicht in Paris?“, fragte Sven Kayser.
Renate Albrecht nickte. „Sie wird die Frau des bekannten Filmproduzenten Jean Paul Gautier.“
„Herzlichen Glückwunsch.“
„Danke. Jetzt muss ich mich nur noch um Marina kümmern.“
„In welcher Weise wollen Sie das tun?“, erkundigte sich der Grünwalder Arzt.
„Ich werde sie so gut wie möglich unter die Haube bringen“, sagte die Patientin. Es klang sehr entschlossen.
Dr. Kayser runzelte sorgenvoll die Stirn. „Aber hoffentlich nicht gegen ihren Willen.“
Renate Albrecht sah ihn an und entgegnete nichts.
7
Der medizinische Check-up in der Seeberg-Klinik nahm drei Tage in Anspruch. Am zweiten Tag erschien Dr. Kayser im Büro des Klinikleiters, mit dem ihn eine jahrelange Freundschaft verband, und fragte: „Wie geht’s den Kindern, Uli?“
Dr. Ulrich Seeberg nickte zufrieden. „Babs macht zurzeit das Medizinstudium großen Spaß, und Kai ist im siebten Himmel, seit er die Tiere des Zirkus Haberkorn mit betreuen darf.“
„Wie lange bleibt der Zirkus in München?“, erkundigte sich der Grünwalder Arzt.
„Sechs bis acht Wochen“, antwortete Dr. Seeberg. „Mit Tigern, Bären, Löwen, Elefanten, Seehunden, Pferden, Affen, Schweinen, Hunden, Papageien und was weiß ich noch alles.“
Sven Kayser schmunzelte. „Ein Eldorado für einen Jungen, dessen Tierfimmel so ausgeprägt ist.“
Der Klinikchef lachte. „Du sagst es.“ Ute Morell, die Chefsekretärin, brachte zwei Tassen Kaffee und ließ die Freunde gleich wieder allein. Nachdem Dr. Seeberg seinen Kaffee getrunken hatte, fragte er: „Besuchst du nachher Frau Albrecht?“
„Das habe ich vor.“
„Sie hat die besten Werte, die man sich nur wünschen kann“, berichtete Dr. Ulrich Seeberg. „Wenn sie nicht mit dem Auto verunglückt oder mit dem Flugzeug abstürzt, kann sie hundert Jahre alt werden. Wie kommt sie nur auf die Idee, sie hätte nur noch vier Jahre zu leben?“
„Hat sie es dir nicht erzählt?“
„Die Geschichte mit ihrer Mutter?“, fragte der Klinikchef.
Sven nickte.
„Das