Das Tao der Gefühle. Pete Walker
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Obwohl man nach gängiger Meinung für sein Leben immer dankbar sein sollte, schwanken wir alle gelegentlich zwischen dem Wunsch, dass das Leben ewig dauern solle, und dem Wunsch, dass es vorbei wäre. In Momenten großer Tragödien oder Verluste haben wir natürlich das Gefühl, dass das Leben ein schrecklicher Fluch ist und dass wir tot besser dran wären.
Fast jeder denkt irgendwann qualvoll über Hamlets berühmte Zeile »Sein oder nicht sein« nach. Freud glaubte zum Beispiel, dass das Leben ein ständiger Kampf zwischen dem Trieb zu leben und zu sterben sei – zu frohlocken, dass man am Leben ist oder es zu beenden und die wiederkehrenden Schmerzen hinter sich zu lassen. Er nannte diese Ambivalenz den Konflikt zwischen den psychischen Kräften von Eros und Thanatos.
Natürlich werden wir alle eines Tages sterben. Könnte es nicht sein, dass die Psyche den Drang hat, sich dem Tod hinzugeben, wenn unsere Lebensqualität genügend geschmälert ist? Die Forschungen von Elisabeth Kübler-Ross zeigen auf eindrückliche Weise, dass die Trauer es uns auf natürliche Weise erlaubt, uns auf diesem letzten Weg zu entspannen, wenn unsere Zeit gekommen ist.
Ich glaube auch, dass wir uns auf einen gnädigen Tod vorbereiten, indem wir die Trauer über all unsere Verluste in Vergangenheit und Gegenwart zulassen. Die Praktik des Trauerns kann uns davor bewahren, unnötig gegen den Todesprozess anzukämpfen, wenn dieser unumkehrbar geworden ist. Meine anhaltenden Trauererfahrungen haben nach und nach einen Großteil meiner alten albtraumhaften Angst vor dem Tod aufgelöst.
Es gibt viele typische Formen von Ambivalenz. Tollwütige Sportfans sind keine Unbekannten. Sie führen oft eine Liebes-/Hass-Beziehung zu ihren Mannschaften und empfinden starke gegensätzliche Gefühle, wenn ihre Helden sich dumm anstellen. Ein aktueller Baseball-Superstar nennt seine Fans die »Yea-Boo-Vögel« weil sie so häufig zwischen Jubel und Hohn hin- und herwechseln.
Mut und Liebeskummer beinhalten jeweils weitere häufig auftretende Formen der Ambivalenz. Mut ist oft eine Handlung, die im Angesicht der Angst erfolgt. Liebeskummer ist die verwirrende Ambivalenz, die diejenigen empfinden, die sich erneut verlieben, nachdem ihnen das Herz gebrochen wurde. Die wunderbaren Gefühle der Hoffnung und Verbundenheit, die sich natürlicherweise bei einer neuen Liebe einstellen, kollidieren oft stark mit der Angst, dass die Liebe schließlich wie vorher endet. Diejenigen, die diese Ambivalenz nicht ertragen können, fliehen oft oder sabotieren unbewusst ihre neue Liebe, statt sich der Gefahr auszusetzen, erneut verletzt zu werden.
Ambivalenz tritt auch in der Erfahrung vieler Menschen auf, die gleichzeitig lachen und weinen. Weil es jedoch so inakzeptabel ist, ambivalente Gefühle zu haben, kommen die meisten von uns zu dem Schluss, dass wir nicht wissen, ob wir in solchen Momenten lachen oder weinen sollen. Im schlimmsten Fall verunglimpfen wir uns sogar dafür, dass wir eine so widersprüchliche Erfahrung machen.
Wenn wir dies tun, verkennen wir die großartige Ambivalenz im gleichzeitigen Erleben von Tränen und Lachen. Diese besondere Ambivalenz ist eine meiner liebsten emotionalen Erfahrungen. Sie entsteht oft spontan in mir, wenn meine Trauer beginnt, sich in Erleichterung zu verwandeln. Wenn sich mein Schmerz durch meine Tränen löst, werde ich vom Tod der Lebensentfremdung zu authentischer joie de vivre wiedergeboren.
Eines meiner bewegendsten Erlebnisse war, als ich trauerte, weil ich so viele Jahre damit verbracht hatte, dem oft wiederholten Urteil meiner Eltern zu glauben, ich sei schlecht. Plötzlich habe ich im tiefsten Inneren meines Wesens wirklich »verstanden«, dass sie gelogen hatten und dass ich im Grunde ein guter Mensch bin. Ich brüllte vor freudigem Gelächter und schwankte fast eine Stunde lang herrlich zwischen Lachen und Weinen.
Tränen selbst können ambivalent sein – gleichzeitige Äußerungen von Schmerz und Freude. Ich weine manchmal ambivalent, wenn ich endlich ein hart verdientes, langfristiges Ziel erreicht habe. In solchen Momenten sind meine Tränen sowohl der Ausdruck höchster Freude, dass mein Kampf vorbei ist, als auch der Befreiung von dem Schmerz, der mit einer intensiven, langwierigen Konzentration verbunden ist. Ich glaube, dass dies die Art von Tränen sind, die der große Sportler Michael Jordan im nationalen Fernsehen geweint hat, als er die Basketball-WM-Trophäe überreicht bekam, die ihm jahrelang vorenthalten worden war. Bemerkenswert ist auch, dass am Ende des NCAA-College-Basketball-Meisterschaftsspiels 1995 viele Mitglieder beider Teams weinten: UCLA vor Freude und Arkansas aus Trauer.
Ambivalenz und Spaltung
Widerspreche ich mir selbst?
Nun gut, ich widerspreche mir selbst,
Ich bin groß, ich bin voller Vielfalt.
— Walt Whitman
Es kann notwendig sein, das Herz weit genug zu dehnen, um Widersprüche und Paradoxe zu akzeptieren.
— Thomas Moore, Der Seele Raum geben: Wie Leben gelingen kann
Einmal abgesehen davon, dass es normal und gesund ist, gleichzeitig widersprüchliche Emotionen zu empfinden, ist diese Tatsache in unserer Kultur nahezu unbegreiflich. Die meisten Menschen verdrängen die nicht bevorzugte Hälfte ihrer Ambivalenz und erleben sie nur als Angst. Einer meiner Bekannten tat dies, als er sich endlich mutig genug fühlte, seinen Job zu kündigen. Er erzählte mir, dass sein Herz klopfte und sein Bauch voller Schmetterlinge war, aber dass er keine Angst hatte. Ich glaube, das ist ein typisches Beispiel dafür, wie viele von uns die Gefühlsbotschaften ihres Körpers verleugnen.
Wir werden so sehr vom Schwarz-Weiß-Denken beherrscht, dass wir Ambivalenz als Beweis für Dummheit oder Fehlerhaftigkeit werten. Die Gesellschaft beschämt uns in der Regel dafür, dass wir gemischte Gefühle (oder Meinungen) gegenüber irgendjemandem oder irgendetwas haben. Die klassische Filmszene, in der der Protagonist wegen eines ergreifenden Endes weint und gleichzeitig sagt »Ich bin so glücklich!« ist für die meisten Zuschauer unverständlich, aber die ganzheitlich empfindenden Menschen fühlen oft voller Inbrunst mit.
Überall werden wir mit Verlautbarungen des gesunden Menschenverstandes bombardiert, die die Ambivalenz anprangern: »Liebe es oder verlasse es«; »Du bist entweder für oder gegen mich«; »Du kannst nicht beides haben«; »Du bist entweder Teil des Problems oder Teil der Lösung«; »Nun, entscheide dich! Weißt du nicht, wie du dich fühlst?«
Wahrscheinlich sind wir alle schon mit dem Satz »Entscheiden Sie sich« bedrängt worden, wenn wir in unseren Gefühlen für jemanden oder etwas schwankten. So absurd es ist, unseren Verstand heranzuziehen, um unsere Gefühle zu bestimmen, so unmöglich ist es, die Größe, Form und den Rhythmus der Wellen des Ozeans zu kontrollieren.
Und obwohl wir uns entscheiden können, wie wir auf unsere Gefühle reagieren, können wir unsere emotionalen Reaktionen nicht kognitiv vorhersagen. Wenn ein geliebter Mensch Sie verletzt, werden Sie sich instinktiv wütend fühlen, auch wenn Sie Ihre Wut sofort unterdrücken. Viele Überlebende wollen es nicht wahrhaben, weil ihre Wut in der »Kleinkindzeit« so gründlich ausgelöscht wurde, dass ihnen ihre wütenden Reflexe nicht mehr bewusst sind. Dennoch nehmen sie unbewusst immer noch Wut wahr, wenn sie verletzt werden, egal wie sehr sie sich entschlossen haben liebevoll zu sein.
Wir können emotional nicht gesunden, wenn wir uns nicht gegen die wehren, die versuchen, uns wegen unserer Ambivalenz einzuschüchtern. Wir müssen uns weigern, so zu tun, als seien wir emotional absolut eindeutig. Überlebende, die ihre gesunde Ambivalenz verteidigen wollen, können auf einen »Entscheide-dich-mal-Angriff«