Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte. Wolfram Hanel
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»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Appaz. »Wohin wollen Sie?«
»Ich muss ins Krankenhaus«, stammelt der Alte und zeigt mit fahriger Hand auf das Beil.
»Klar«, sagt Appaz schnell und greift nach seinem Arm. »Kommen Sie, das Krankenhaus ist gleich da vorne, ich bringe Sie hin.«
Ignorier das Beil einfach, sagt er zu sich selbst, genauso wie den Blutfaden im Gesicht und die Schlafanzughose. Zumindest die Idee mit dem Krankenhaus macht Sinn. Ich hoffe nur, dass uns nicht ausgerechnet jetzt jemand entgegenkommt. Wahrscheinlich wirken wir nicht gerade vertrauenerweckend.
Aus dem gleichen Grund schiebt er auch sein Handy zurück in die Tasche. Das Risiko, irgendeiner Streifenwagenbesatzung eine Erklärung geben zu müssen, erscheint ihm deutlich zu groß. Stattdessen lenkt er den Mann in die richtige Richtung und führt ihn dann leicht am Ellbogen.
Der Mann schlurft neben Appaz her. Das Beil zittert bei jedem Schritt. Appaz’ Knie zittern ebenfalls. »Wie ist das passiert?«, fragt er leise.
»Meine Alte«, kommt mit leichter Verzögerung die Antwort. »Wir hatten Streit.«
»Klar«, sagt Appaz wieder. Er beugt sich unauffällig vor, um im Licht einer heftig blinkenden Schaufensterreklame den Aufdruck auf dem Stiel des Beils zu lesen. Ein Heimwerkermarkt, der mit der Aufforderung »Besorg’s dir selber« wirbt.
»Nur noch über die Straße, dann sind wir da …«
In der Wärmeschleuse zwischen den Eingangstüren hängt kalter Zigarettenrauch. Der Mann an Appaz’ Arm hustet.
»Nicht«, sagt Appaz mit besorgtem Blick auf das Beil und schiebt ihn weiter. Die Filzpantoffeln klatschen bei jedem Schritt mit einem schmatzenden Geräusch auf den Fliesenboden.
Der Pförtner sitzt mit gekrümmtem Rücken auf seinem Drehstuhl, den Kopf in die Hand gestützt. Mit leerem Blick starrt er auf den tragbaren CD-Spieler vor sich, eine Hörbuch-CD plärrt schlecht gebaute Dialoge. Die Stimme des einen Sprechers kommt Appaz vage bekannt vor.
»Ein Notfall«, erklärt Appaz. »Wir brauchen einen Arzt.«
Ohne aufzublicken klickt der Pförtner das Menü auf dem Bildschirm an.
»Name, Vorname, Anschrift, Geburtsdatum, Krankenkasse …«
»Ein Notfall«, sagt Appaz noch mal, »ich glaube, Sie sollten möglichst schnell einen Arzt holen.«
»Name und Vorname«, wiederholt der Pförtner automatisch und eindeutig genervt, während er bemüht ist, nur ja kein Wort von seiner Hörbuchgeschichte zu verpassen. Der Name des Sprechers ist Dietmar Bär, fällt Appaz unerwartet ein.
Er beugt sich durch das geöffnete Schiebefenster und drückt die Aus-Taste des CD-Spielers.
»Ich fürchte, Sie haben mich nicht ganz verstanden …«
Ärgerlich ruckt der Pförtner hoch. Er hat schon den Mund geöffnet für irgendeine scharfe Zurechtweisung, dann weiten sich seine Augen vor Schreck.
Appaz nickt. Da sind wir immerhin schon zwei, die sich erschreckt haben, denkt er. Und: Ich gönne dir deinen Schreck, du Sack!
»Damit müssen Sie rüber in die Notaufnahme«, stammelt der Pförtner. Als er Appaz’ Blick sieht, hebt er abwehrend die Hände. »Schon gut, ich rufe den diensthabenden Chirurgen …« Er greift zum Telefon. Während er auf die Verbindung wartet, irren seine Augen ziellos über die Schalter und blinkenden Lämpchen auf dem Pult vor ihm. Auf seiner Stirn bilden sich dicke Schweißperlen.
Er ist noch jung, denkt Appaz, und es wird nicht mehr lange dauern, bis er eine Glatze hat. Er überlegt, ob auch Pförtner als Ein-Euro-Kräfte eingestellt werden. Eher nicht, denkt er, aber jemand mit einer Behinderung ist wahrscheinlich im Vorteil gegenüber Nicht-Behinderten. Bleibt die Frage, ob eine Glatze mit Mitte Zwanzig bereits als Behinderung gilt. Ein Beil im Kopf ist dagegen mit Sicherheit eine ernstzunehmende Behinderung. Ich muss mich zusammenreißen, denkt Appaz. Verdammter Alkohol! Sowie die Sache hier geklärt ist, mach ich mich vom Acker. Ich will nur noch warten, bis der Arzt kommt. Fast hätte er gekichert. Bis der Arzt kommt. Das ist so ein Spruch, den er immer schon blöd gefunden hat: Trinken, bis der Arzt kommt …
Der Pförtner nuschelt etwas in den Hörer. Appaz versteht nur »Beil im Kopf«.
»Kommt gleich jemand«, erklärt der Pförtner an Appaz gewandt. Seine Stimme ist kaum mehr als ein heiseres Flüstern.
»Kommt gleich jemand«, gibt Appaz an den Mann mit dem Beil im Kopf weiter. Er greift wieder den Arm des Alten und führt ihn zu einem grell orangefarbenen Plastikstuhl. Aus den Augenwinkeln sieht er, wie der Pförtner aus seiner Loge stürzt und hinter der Tür mit der Aufschrift »Patienten-WC« verschwindet.
Er klopft dem Mann neben sich beruhigend auf die Schulter. Der Alte ist vielleicht noch gar nicht so alt. Appaz schätzt ihn auf Ende sechzig, vielleicht Anfang siebzig. Er hat jetzt die Augen geschlossen, seine Knie zittern unkontrolliert, er knetet die leberfleckigen Hände im Schoß.
Mach mir jetzt bloß nicht schlapp, denkt Appaz, und meint eigentlich eher sich selbst als den Alten. In der Pförtnerloge klingelt das Telefon.
Eine Ärztin kommt vom Fahrstuhl her durch die Halle. Die blonden Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, statt des üblichen weißen Mantels trägt sie ein blaues Kittelhemd.
Appaz geht ihr entgegen.
»Ich bin die Neurochirurgin hier im Haus. Der Pförtner hat irgendwas gesagt, dass Sie nicht in die Notaufnahme …«
Appaz weist mit dem Kopf hinter sich.
Mit ein paar schnellen Schritten eilt die Ärztin an ihm vorbei. Als sie sich zu dem Mann mit dem Beil im Kopf bückt, sieht Appaz, wie sie hart schluckt. Aber ihre Augen versuchen, den Blick des Mannes auf sich zu ziehen, mit ihren Händen stoppt sie einen Moment das nervöse Auf und Ab seiner Knie. Ihre Hände sind überraschend groß und kräftig.
»Wir setzen Sie jetzt ganz vorsichtig in den Rollstuhl da drüben und dann …«
»Wieso wir?«, hakt Appaz sofort ein. »Ich …«
Die Ärztin wirft ihm einen schnellen Blick zu.
»Ich brauche Ihre Hilfe. Es ist niemand weiter da.«
Schulterzuckend holt Appaz den Rollstuhl. Das linke Vorderrad ist blockiert und zieht quietschend einen schwarzen Gummistreifen über den Fußboden.
Sie fassen den Mann mit dem Beil im Kopf unter den Achseln und hieven ihn auf den Sitz des Rollstuhls.
»Wer von Ihnen hat eigentlich diese unglaubliche Fahne?«, fragt die Ärztin.
»Ich, aber … also ich war den ganzen Abend in der Kneipe und dann, als ich zur U-Bahn wollte, da stand er da und … Aber ich gehe jetzt auch, ich muss los.«
»Nein.« Wieder der schnelle Blick. Die Augen der Ärztin sind von einem leuchtenden Blau, das kein Ausweichen zulässt »Ich brauche Sie noch.«
»Ich bin müde«, setzt Appaz noch mal an. Er blickt auf seine Uhr. »Es ist nach eins, und … ich bin betrunken.