Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte. Wolfram Hanel

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Der Junge, der mit Jimi Hendrix tanzte - Wolfram  Hanel

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Kettenraucher war und grundsätzlich nicht vor zwei Uhr mittags aufstand, weil er jede Nacht in der Kneipe verbrachte. Aber wenigstens die Geschichte von Brendan Behan spart er sich, der seine Schreibmaschine gleich auf der Theke aufgebaut hatte und zwischendurch gerne auch mal ins Spülbecken kotzte.

      Die Ärztin lässt ihr Feuerzeug aufflammen. Unter ihren Augen sind dunkle Schatten, die Appaz vorher nicht bemerkt hat.

      Als es an der Tür klopft, schrecken beide hoch. Der Zivi stammelt irgendwas, dass der Alte wieder bei sich ist und unbedingt nach Hause zu seiner Frau will.

      Die Ärztin drückt ihre Kippe aus.

      »Ich muss mich kümmern«, sagt sie zu Appaz.

      »Und der Papierkram?«, fragt Appaz. »Soll ich hier warten?«

      Die Ärztin schüttelt den Kopf.

      »Schlaf dich aus. Und nimm eine Aspirin, bevor du ins Bett gehst, damit du morgen ein paar zusammenhängende Sätze aufs Papier bringst.«

      Dann ist sie auch schon zur Tür raus.

      Appaz steht einen Moment unschlüssig vor ihrem Schreibtisch, bevor er nach einem Kugelschreiber greift und seine Handynummer auf der Autogrammkarte notiert. »Ich würde mich freuen«, schreibt er dahinter, »K.«

      Der Pförtner guckt schnell weg, als Appaz aus dem Fahrstuhl kommt.

      Draußen regnet es immer noch. Am Eingang zur UBahn-Station zögert Appaz einen Moment. Dann entschließt er sich, zu Fuß zu gehen. Wahrscheinlich ist die letzte U-Bahn ohnehin längst weg, denkt er, und es ist lange her, dass du nachts alleine durch die Stadt gelaufen bist, wird mal wieder Zeit für einen ordentlichen Fußmarsch. Und deinem Kopf kann es nur gut tun, Alter.

      Als wieder irgendwo ein Hund bellt, muss er grinsen. Wenn sie sich das nächste Mal sehen, wird er Kerschkamp von dem Mann mit dem Beil in Kopf erzählen. Dagegen ist die Geschichte mit der Gummipuppe gar nichts, das wird auch Kerschkamp zugeben müssen. Von Darleen wird er ihm nichts erzählen. Oder vielleicht doch, das macht die ganze Sache vielleicht glaubwürdiger. Quatsch. Gerade das wahrscheinlich nicht. Du bist immer noch betrunken, denkt er, und guck mal, da vorne ist die Fahrschule, wo Kerschkamp und ich den Führerschein gemacht haben, aber damals haben wir noch auf einem Käfer gelernt und nicht auf einem tiefergelegten Golf mit Regensensoren und solchen Sachen! Wie lange kennt er jetzt Kerschkamp eigentlich schon? Bestimmt fast vierzig Jahre, nein, sie sind ja schon in der Volksschule zusammengewesen, das macht über vierzig Jahre, mindestens.

      So viel Zeit, denkt Appaz, aber wir sind immer noch befreundet, und das ist gut.

      Zu Anfang mochte Appaz Kerschkamp nicht besonders. Kerschkamp war groß und dick und schwitzte stark, und außerdem war Appaz sich sicher, dass Kerschkamp ihm gleich in der ersten Woche seine Buntstifte geklaut hatte. Aber als er sich endlich traute und Kerschkamp zur Rede stellte, drohte der ihm eine Tracht Prügel an und lauerte ihm dann tatsächlich am nächsten Tag vor der Schule auf, um ihn mit wüsten Schimpfworten und gezielten Schlägen und Tritten bis in die Klasse zu verfolgen. Woraufhin Karin und Trixi Kerschkamp in der Pause vor aller Augen so verdroschen, dass er Appaz schon fast wieder leid tat.

      Die Lehrerin hatte dann ausgerechnet die Idee, Ap-paz und Kerschkamp nebeneinander zu setzen, damit sie Freunde würden, wie sie hoffnungsvoll erklärte. Aber Appaz wollte gar nicht mit Kerschkamp befreundet sein. Und Kerschkamp teilte ihren gemeinsamen Tisch kurz entschlossen mit einem Kreidestrich genau in der Mitte und warnte Appaz: »Wenn du über die Linie kommst, gibt es Krieg.«

      Damit war die Sache erst mal geklärt. Sie erneuerten jeden Tag den Kreidestrich und taten im Übrigen so, als wäre der andere gar nicht da.

      Das hielten sie erstaunlich lange durch. Vor allem im Sportunterricht wandten sie alle möglichen Tricks an, um nur ja nicht in dieselbe Mannschaft zu kommen, und als Trixi sie unerwartet zusammen zu ihrem Geburtstag einlud, gingen sie beide nicht hin. Appaz und Kerschkamp waren unversöhnliche Feinde, so viel stand fest.

      Ansonsten gefiel es Appaz in der Volksschule am Rehmer Feld eigentlich recht gut. Der Rektor begrüßte morgens am Eingang jeden Einzelnen von ihnen mit Namen, in Deutscher Schrift bekam Appaz eine Eins mit Sternchen und sein im Religionsunterricht gemaltes Bild von Abraham inmitten seiner Schafherde wurde in der Pausenhalle aufgehängt, mit einem Schild daneben, auf dem in ordentlichen Großbuchstaben für jeden zu lesen stand: Kurt Appaz.

      Ihre Klassenlehrerin war eine »Hausfrauen-Lehrerin«, die aufgrund akuten Lehrermangels eingestellt worden war und jetzt die ihr anvertrauten Schüler in Lesen und Schreiben, Rechnen und Heimatkunde auf den Ernst des Lebens vorbereiten sollte - eine Aufgabe, der sie eher mit mütterlicher Indifferenz als mit Strenge nachkam. Appaz fand sie nett, vor allem wenn sie ihn wieder mal überschwänglich für das fehlerfreie Auf sagen der Gedichte von Hölty oder Hermann Löns lobte. Zu Weihnachten schenkte er ihr dann auch einen selbst gebastelten Strohstern. Und selbst die Musiklehrerin fand er nett, obwohl sie Appaz beim gemeinsamen Singen stets in die letzte Reihe stellte. Wo allerdings auch Kerschkamp jedes Mal landete. Und da in der letzten Reihe passierte es auch eines Tages, dass Appaz und Kerschkamp sich eher aus Versehen plötzlich zugrinsten und sich in der Folge dann darin zu überbieten versuchten, die Texte der meist einfachen Lieder durch Stegreifreime ein bisschen aufzuwerten. Zunächst nur leise und nur für sich, schließlich und zum nicht geringen Entsetzen der Musiklehrerin zunehmend auch so, dass die anderen in den Genuss der neuen Qualität kamen und der gemeinsame Gesang in haltlosem Gekicher endete.

      Kurze Zeit später verzichteten Appaz und Kerschkamp auf die tägliche Erneuerung des Kreidestrichs. Stattdessen legten sie jetzt den Weg von der Schule grundsätzlich zusammen zurück, wenn einer von ihnen sich morgens verspätete, konnte er sich sicher sein, dass der andere auf ihn wartete. Und schließlich verabredeten sie sich auch, um nach der Schule oder am Wochenende irgendetwas zu unternehmen.

      Kerschkamp kam aus der »Neuen Heimat«, einer Sozialbausiedlung, von der Appaz’ Eltern wussten, dass die Bewohner »aus den Ostgebieten« stammten und nach Kriegsende in den Baracken am Misburger Mühlenweg untergebracht gewesen waren, was den Umgang mit ihnen - so verstand es zumindest Appaz - nicht unbedingt wünschenswert machte. Zwar waren auch Appaz’ Eltern Flüchtlinge aus dem Osten, aber es schien da irgendeinen wesentlichen Unterschied zu geben, über den Appaz allerdings nicht weiter nachdachte.

      Im Zusammenhang mit der Neuen Heimat hörte Appaz auch zum ersten Mal das Wort »Polacken«, ohne sich darunter etwas Konkreteres vorstellen zu können als Kerschkamps Vater, der jeden Samstag in einer alten Wehrmachts-Trainingshose und schon am Vormittag mit einer Flasche Bier in der Hand ein motorgetriebenes Modellflugzeug auf der Wiese vor den Feldern zu starten versuchte. Appaz hatte dieses Geschehen zunächst immer aus sicherer Entfernung von seinem Fahrrad aus beobachtet, bis Kerschkamp ihn dann herüberwinkte und sie das Flugzeug nach jedem Fehlstart abwechselnd zu Kerschkamps Vater zurückbrachten.

      Appaz wusste, in welchem Haus Kerschkamp wohnte, doch in die Wohnung kam er nie. Wenn er klingelte, kam Kerschkamp grundsätzlich keine Minute später an die Haustür, war Kerschkamp nicht da, dann riss seine Mutter das Küchenfenster auf und schickte Appaz wieder weg. Umgekehrt war Kerschkamp häufig bei Appaz zu Hause. Appaz’ Mutter schmierte ihnen dann jedes Mal dicke Brotscheiben mit frischer Leberwurst und behandelte Kerschkamp wie jemand, der ihrer besonderen Fürsorge bedurfte. Kerschkamp schien das durchaus zu genießen, und Appaz und er verbrachten lange Nachmittage auf dem Fußboden im Flur damit, mit Appaz’ Sammlung von Siku- und Wiking-Autos zu spielen. Der Geruch nach frischgebohnerten Marley-Fliesen und Leberwurst war für Appaz eng verknüpft mit seiner Freundschaft zu Kerschkamp.

      Ihr

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