Mörderisches aus dem Saarland. Marion Demme-Zech
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Svenja öffnet die Pforte zum keltischen Gasthaus, und die Gruppe marschiert nach oben. Regine geht als Letzte direkt neben der Fürstin die Treppe empor. Da passiert es. Sieh an, denkt sie, als die junge Führerin die vielen Stofflagen hochschlägt, um ihr Handy herauszunehmen. Unter dem Gewand wird kurz eine enge Jeans sichtbar. Nicht sehr fürstlich, urteilt Regine in Gedanken. Zweifelsohne ist Beweisstück Numero eins eingetroffen. Um Svenjas Mund zuckt es. Sie scheint verwirrt. Coconut28 ist ihr nicht bekannt, das ist unübersehbar.
Vermutlich bräuchte Svenja in diesem Moment, in dem sich die Gäste um sie sammeln und sie erwartungsvoll anblicken, eigentlich etwas Zeit für sich. Um sich kurz zu regenerieren und die Information sacken zu lassen. Doch das Leben ist kein Schlaraffenland, sagt selbst Sebastian immer zu Magnus, wenn dessen Noten nicht seinen Vorstellungen entsprechen und er mehr Leistung und Zielstrebigkeit einfordert. Es besteht die Möglichkeit, dass sich Svenja in diesem Augenblick seine klugen Worte zu Herzen nimmt. Was auch immer es ist, sie verhält sich erstaunlich professionell und findet ihre Fassung schnell wieder. Perfekt einstudiert erzählt sie von dem ehemaligen Landsitz. »Die Funde, aber auch die Ausmaße der Anlage sprechen dafür, dass die römische Familie, die in dieser Villa lebte, zu einer der reichsten der Region gehörte.« Inhaltlich ist Svenjas Vortrag vorbildhaft, nur ihrer Stimme mangelt es an Enthusiasmus. Wenn Regine sich nicht täuscht, klingt die Fürstin trotz aller Selbstbeherrschung ein wenig weinerlich. Den meisten der neugierigen Senioren fehlt, um das festzustellen, vermutlich das Feingefühl. Sie bombardieren Svenja mit allerlei Fragen, die diese eine nach der anderen geduldig beantwortet. Fast empfindet Regine so etwas wie Hochachtung vor ihrer Konkurrentin.
Trotz des Anflugs von Sympathie entscheidet Regine, dass es der falsche Tag für Mitgefühl ist, denn viel zu oft schon hatte sie sich in den vergangenen Jahren wankelmütig gezeigt. Nun gilt es für sie, den Plan bis ins letzte Detail auszuführen. Ohne Rücksichtnahme. Zur nächsten Therapiestunde würde sie nicht ergebnislos erscheinen. Das nachsichtige Lächeln der Tietze-Meiermann, das stets Bände sprach, wenn Regine von ihren Misserfolgen berichtete, kann sie nicht noch einmal ertragen. Heute ist es Zeit für einen echten Wandel!
Und genau genommen will auch Sebastian, dass sich etwas ändert. Warum sonst mäkelte er ständig an ihr herum? Wie sagt er immer? »Verdammt noch mal, Regine, du bist so festgefahren in allem, was du machst! Sei doch einfach einmal locker und ein bisschen toleranter!«
Derzeit gilt es herauszufinden, wo die Toleranzobergrenze Svenjas anzusiedeln ist. Zeit für Phase zwei, entscheidet Regine. Was kann falsch daran sein, mehr über seinen Traumprinzen oder in diesem Fall wohl eher Fürsten zu erfahren?
Die Gruppe geht die Stufen wieder hinunter. Draußen begeben sich alle auf den Weg zum Hügelgrab der Fürstin, da holt Svenja zum zweiten Mal ihr Smartphone unter dem Gewand hervor. Die neue Nachricht nimmt sie offenkundig nicht ganz so nervenstark wie die erste auf. Für ein paar Sekunden bleibt sie regungslos stehen und starrt auf das Display ihres Handys.
»Geht es Ihnen gut?«, erkundigt sich Regine mitfühlend.
»Ja, alles okay«, antwortet Svenja. Sie klingt abwesend oder vielleicht auch schockiert, Regine ist sich nicht sicher.
Die Reaktion kann sie bestens verstehen. Wenn Coconut28 mit Sebastian chattet, wird sie selbst am Monitor nicht selten schamrot. Was es für eine Vielzahl an Möglichkeiten gibt, ist Regine bisher nicht bekannt gewesen. Mit den modernen Technologien lernt man eben täglich dazu, sagt sie sich, und einem jungen Ding wie Svenja müsse der Umgang mit Neuem doch weitaus leichter fallen als ihr.
Im Moment allerdings sieht es nicht danach aus. Regine ist zwar keine Psychologin, trotzdem kommt ihr die Theorie in den Sinn, dass Svenja vermutlich so überrascht ist, weil Sebastian im Alltag immer stocksteif auftritt. Auch wenn sich manche der verwegenen Vorschläge, die ihr Ehemann Coconut28 unterbreitet, verführerisch anhören, das muss Regine gestehen, ist es kaum vorstellbar, dass es Sebastian ist, der solche ungewöhnlichen Offerten macht.
Offenbar ist diese spezielle Seite ihres Ehemannes für Svenja ebenfalls eine Überraschung. Ob sie sich mit seinen Ideen anfreunden kann, ist derzeit schwer einzuschätzen. Bewundernswert ist in jedem Fall die Selbstbeherrschung der Geliebten ihres Mannes, findet Regine. Dass der Unternehmer Johann Schiel in den 50ern beim Sand- und Kiesabbau einen menschlichen Schädel sowie einen Ring fand und spätere Funde dazu führten, dass man eine Grabkammer entdeckte, wie Svenja gerade berichtet, ist Regine völlig neu. Schon komisch, wenn man überlegt, dass ihr Mann seit vielen Jahren an diesem Ort tätig ist. Sie ist begeistert, ebenso wie die Kinder, die Svenja sofort fragen, ob sie bei den Ausgrabungen mithelfen dürfen.
Bevor es weitergeht, werden vor den rekonstruierten Hügeln eine Menge Fotos gemacht. Sogar Regine schießt ein paar zur Erinnerung, immer mit sich im Vordergrund. Selfie heißt das und laut Magnus machen das heute alle. Jeder der Anwesenden möchte auch eins mit der netten Führerin an seiner Seite. Regine reiht sich ein, denn Svenja wird ihr immer sympathischer.
Ihr bedauernswerter Zustand ist allerdings mittlerweile selbst den Senioren aufgefallen.
»Sie sind ein bisschen blass um die Nase, Fräulein Fürstin«, sagt ein älterer Herr und die anderen kichern. Das ist nicht nett, aber woher sollen die Gäste auch wissen, wie hundsmiserabel es Svenja geht, denkt Regine. Vor wenigen Minuten hat sie schließlich erfahren, dass die Liebe ihres Lebens eine gewaltige Anhäufung von Enttäuschungen ist.
»Gehen wir jetzt zum Fürstinnengrab?«, fragt die junge Frau nach der Fotoaktion reichlich strapaziert. »Ich habe es eilig, mir ist etwas Unerwartetes dazwischengekommen.«
Die Kinder jammern enttäuscht, einige klettern gerade auf die Hügel und laufen so schnell sie nur können wieder herab. Das scheint Spaß zu machen. Doch die Führerin ist nicht zum Einlenken zu bewegen. Sie will die Tour hinter sich bringen, das ist unübersehbar, und so steigert sie das Spaziertempo hin zu Marschgeschwindigkeit. Mit einem Schlag ist vom Gejammer nichts mehr zu hören.
»Und hier ist nun die begehbare Grabkammer«, verweist uns Svenja kurz darauf auf den wichtigsten Ausstellungsort im Archäologiepark. Wir stehen in der Vorhalle. »Gleich werden Sie den meisterhaft verzierten Goldschmuck und die kostbaren Beigaben wie die außergewöhnlich filigran verzierte Bronzekanne bewundern können, die man als Grabbeigabe vorfand. Das Grab stammt aus der Zeit um 370 vor Christi«, erläutert sie. »Folgen Sie mir bitte zu diesem absoluten Highlight und damit auch dem Abschluss unserer Führung.«
Highlight und Abschluss? Regine wird hellhörig. Da gibt die Führerin ihr quasi die Stichworte vor. Coconut28 meldet sich ein allerletztes Mal. Das Beste hat sie sich, wie es sich gehört, bis zum Ende aufgehoben. Die Nachricht trifft ein. Als Svenja sie liest, reißt sie entsetzt die Augen auf. So viel Emotion bekommt man nur selten zu Gesicht.
»Ähm, nun … es tut mir leid. Ein absoluter Notfall«, informiert Svenja mit hochrotem Kopf die Gruppe, die sich erwartungsvoll im Innern der Grabkammer um die Führerin versammelt hat. »Entschuldigung, aber ich muss abbrechen. Ein Ausnahmefall.«
»Aber Sie wollten uns doch noch den Flyer mit den Mitmachaktionen …«, beklagt sich eine der Mütter. Svenja hört ihr nicht zu. Stocksauer zerrt sie sich im Gehen das Gewand über den Kopf. Dabei löst sich ihre hübsche Flechtfrisur. Ein Jammer, findet Regine.
Wie all die anderen, die jetzt ratlos herumstehen, hätte sie gern noch ein bisschen mehr über die Fürstin erfahren. Sie musste jemand Besonderes gewesen sein, wenn man wegen ihr einen solchen Aufwand betrieb. Vielleicht gab es einen Mann, der sie nach ihrem Tod so sehr vermisste, dass er der Fürstin den riesigen Grabhügel bauen ließ. Wie beim Taj Mahal, wo dem Großmogul für seine verstorbene Ehefrau nichts gut genug war. Die edlen Grabbeigaben sprechen allemal für eine gefühlvolle und letztlich auch traurige Liebesgeschichte. Regine mag solche Romanzen