COVID-19 - Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche. Группа авторов

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COVID-19 - Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche - Группа авторов

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auf die Wissenschaftler zu hören. Dennoch hat es auch in der norditalienischen Lombardei, dem ersten Krisenherd in Europa, an Allgemeinmedizinern vor Ort gefehlt, die Krankenhäuser hätten vorwarnen können (Johnson und Ghiglione 2020). Zudem tauchen immer mehr Berichterstattungen des müden und überstrapazierten Pflegepersonals auf (Brotz 2020). Sollte beispielweise die Situation in Belgien eintreten, dass das Gesundheitssystem überfordert sein wird und nicht mehr alle Patienten aufgenommen werden können, so eine belgische Pflegerin schluchzend, muss über Leben und Tod entschieden werden (Matthaei und Wellenzohn 2020). Wie im ›richtigen‹ Krieg also. Wie soll man mit einer solchen Entscheidung leben können, fragt die Pflegerin mit Tränen in den Augen: »Je ne sais pas« – »Ich weiß es nicht«, so ihre Antwort …

      Ärzte und Pflegekräfte am Anschlag, in Isolation Alleinsterbende, Wissenschaftlern misstrauende Politiker und so weiter und so fort – ist die Welt aus den Fugen? Befinden wir uns im Chaos?

      Der Krieg gegen die Natur, so Bruno Latour in Face à Gaïa, bleibt nur dann ein Naturzustand im Hobbesschen Sinn, wenn kein Gesellschaftsvertrag mit der Natur abgeschlossen wird (Latour 2015). Mit anderen Worten: Nicht-menschliche Akteure, wie das neuartige Coronavirus, müssen einen repräsentativen Platz in unserer politischen und juristischen Landschaft erhalten – ein sogenanntes Parlament der Dinge – und zum Teil haben sie diesen Platz auch. Wenn die in der Öffentlichkeit stehenden Virologen und Immunologen à la Anthony Fauci, Christian Drosten, Hendrik Streeck, Anders Tegnell, Pflegekräfte und Ärzte, Patienten und Infizierte, sich momentan zu Wort melden, dann sprechen sie im Namen des Virus, was es angerichtet hat und wie es zukünftig wahrscheinlich handeln wird und sie informieren die Öffentlichkeit – die res publica – darüber, was Fakten und mögliche Szenarien sind. Politik, Gesellschaft und das soziale Leben an sich geraten dort in Gefahr, wo dieser Dialog zwischen Mikro- und Makrostruktur nicht mehr möglich ist, der Zugang zur öffentlichen Debatte versperrt wird und politische Entscheidungen damit nur noch einer Handvoll Akteuren überlassen wird.

      Der Kriegsveteran Karl Marlantes, der seine Erfahrungen aus dem Vietnamkrieg in What it is like to go to war festgehalten hat, plädiert für einen aufgeklärten Umgang mit dem Krieg (Marlantes 2011). Zwischen Krieg, Liebe, Sex, Frieden und Gerechtigkeit herrscht die Harmonie, die eine Vermittlerposition zwischen all diesen Aspekten einnimmt. Vielleicht hilft diese Perspektive auch in Zukunft als Vorbereitung für einen aufgeklärten Umgang im Krieg gegen die Natur. Natürliche Agenten werden im Verhältnis zu den gesellschaftlichen Mächten immer brutaler, angriffslustiger, wandlungsfähiger und gnadenloser (Gill 2020). Vielleicht sollte der Mensch darüber nachdenken, wie er seinen natürlichen Gegnern in Zukunft überlegter, besonnener und das bedeutet in der aktuellen Lage des Klimawandels wohl auch friedlicher entgegentreten kann. Ein Anfang würde darin bestehen, seine eignen Reihen so zu organisieren, dass die Kriegsführung agiler, anpassungsfähiger, weniger sklerotisch, weniger grausam und damit schließlich auch gerechter zugeht.

      Wenn wir heute glauben, im Krieg mit der Natur als ganzer zu sein, weil Corona ausgebrochen ist, dann lehrt uns James’ Essay auch, dass wir eigentlich immer schon im Krieg mit den natürlichen Agenten waren und es eben wohl auch immer sein werden. Nicht nur der Corona-Infizierte und die Pflegekraft auf der Intensivstation, sondern auch der Krebskranke und der Grundschullehrer ›kämpfen‹ und leisten Widerstand. Damit wird eigentlich jeder alltägliche Atemzug zu einem Kampf, der, so Arthur Schopenhauer, den »beständig eindringenden Tod« abwehrt (Schopenhauer 1986, S. 427). Letztlich aber, so Schopenhauer weiter, weiß jeder zur Reflexion fähige Mensch, dass der Tod über das Leben siegen wird: »[…] er spielt nur eine Weile mit seiner Beute, bevor er sie verschlingt.« (Schopenhauer 1986, S. 427) Schopenhauers Pessimismus ist kaum zu übertreffen, doch lässt sich mit Sigmund Freud, im Angesicht des lauernden Todes, der Gewalt und schlussendlich auch des Krieges, Schopenhauers Pessimismus ummünzen. Da für Freud das Leben zu ertragen die Pflicht aller Lebenden ist, schlägt er vor, das lateinische Sprichwort »Si vis pacem, para bellum – Wenn du den Frieden erhalten willst, so rüste zum Kriege« umzuändern in »Si vis vitam, para mortem – Wenn du das Leben aushalten willst, richte dich auf den Tod ein« (Freud 1974, S. 60).

      Vielleicht ist in der jetzigen Zeit eine weitere Umformulierung vonnöten: Wenn du das Virus aushalten willst, richte dich auf den Widerstand ein.

      Literatur

      Ansell C K (2011) Pragmatist Democracy. Evolutionary Learning as Public Philosophy. New York/Oxford: Oxford University Press.

      Brotz S (2020) Pflege-Leiter schlägt Alarm. »Ich habe noch nie so viele Ärzte und Pflegende weinen sehen«. SRF News, 19.12.2020. (https://www.srf.ch/news/schweiz/pflege-leiter-schlaegt-alarm-ich-habe-noch-nie-so-viele-aerzte-und-pflegende-weinen-sehen, Zugriff am 10.01.2021).

      Bundesregierung (2020) #besonderehelden. Zusammen gegen Corona. (https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/besonderehelden-1-1811518, Zugriff am 10.01. 2021).

      CNN New Day (2020a) Doctor fights back tears describing single day of heartbreaking losses. CNN, 24.11.2020 (https://edition.cnn.com/videos/health/2020/11/24/minneapolis-doctor-shirlee-xie-coronavirus-hospitalizations-intv-newday-vpx.cnn, Zugriff am 10.01.2021).

      CNN New Day (2020b) Doctor chokes up describing virus cases: this is really upsetting. CNN, 08.07.2020 (https://edition.cnn.com/videos/health/2020/07/08/doctor-chokes-up-coronavirus-covid-19-deaths-newday-vpx.cnn, Zugriff am 10.01.2021).

      CNN News (2020) Woman’s story from hospital bed brings Anderson Cooper to tears. CNN, 21.08.2020 (https://www.youtube.com/watch?v=Y6bobmaLGys, Zugriff am 10.01. 2021).

      Del Fabbro O (2020) Geleitwort: Gebt mir ein Virus und ich werde die Welt aus den Angeln heben – ein philosophischer Kommentar. In: Benoy C (Hrsg.) COVID-19 – Ein Virus nimmt Einfluss auf unsere Psyche. Einschätzungen und Maßnahmen aus psychologischer Perspektive. 1. Auflage. Stuttgart: Kohlhammer Verlag. S. 15–19.

      Freud S (1974) Zeitgemässes über Krieg und Tod (1915). In: Mitscherlich A et al. (Hrsg.) Studienausgabe Band IX, Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag.

      Gill V (2020) Coronavirus: This is not the last pandemic. BBC News, 06.06.2020 (https://www.bbc.com/news/science-environment-52775386, Zugriff am 10.01.2021).

      James W (1987) The Moral Equivalent of War. In: Kuklick B (Hrsg.) William James. Writings 1902–1910. New York: The Library of America. S. 1281–1293.

      Johnson M, Ghiglione D (2020) How coronavirus exposed Europe’s weaknesses. Italy. Financial Times, 20.10.2020 (https://www.ft.com/content/efdadd97-aef5-47f1-91de-fe02c41a470a, Zugriff am 10.01.2021).

      KCIS – Korean Culture and Information Service (2020) Korea, Wonderland? (http://www.kocis.go.kr/eng/openVideos/view.do?seq=1034779&langCode=lang002&menuName=&menucode=menu0175&menuType=Kocis_Board_Common&ctrcode=&searchType=&searc

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