Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов

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zur Seite, wobei der Zeitschrift selbst aufgrund ihres gesamtjugoslawischen Bezugs- und Resonanzraums eine wichtige Rolle zukommt. Der Umfang des Projekts zur Konstituierung einer einheitlichen jugoslawischen Literatur mit geeintem Literaturbetrieb, dem sich die Zeitschrift seit ihrer Gründung zu Beginn des letzten Kriegsjahres dezidiert widmete, wird im einleitenden programmatischen Text nüchtern umrissen: „Hier harren unser hundert praktische Aufgaben: die Frage einer einheitlichen Literatur, einer einheitlichen Sprachvariante mit einer Schrift und einer Rechtschreibung; die Frage gemeinsamer literarischer Betriebe, literarischer Gesellschaften und Zeitschriften, die Organisation unseres Buchhandels usw.“5 Die Liste der Desiderata ist freilich noch länger; in weiteren Beiträgen wird auch die Zusammenarbeit in der Wissenschaftskultur, das Zusammenwachsen des Übersetzungsbetriebs, Aufgaben der Schulbildung u.a. genannt.6

      Die größte, bereits im Februar 1918 in Angriff genommene Herausforderung des integralistischen Programms war die Initiative zur Fusion der Sprachen und Schriften. Während die Außengrenzen der postulierten Nationalliteratur aufgrund der Integrationsbemühungen seit dem 19. Jahrhundert auch vor der staatspolitischen Rekonstruktion vom Herbst 1918 keiner Diskussion mehr bedurften, war die „Invisibilisierung der Binnendifferenzen“7 im südslawischen Rahmen eine komplexe Herausforderung. Im Mittelpunkt der Debatte stand die Integration der standardsprachlichen Varianten des dominanten ‚Serbokroatischen‘, während die marginalisierten (slawischen, deutschen u.a.) Komponenten der Kultur mit der Selbstverständlichkeit der zunehmend gefestigten und 1918 auch staatspolitisch gekrönten Dominanzverhältnisse übergangen wurden. Die Initiative zur Fusion der serbokroatischen Sprachvarianten knüpfte an serbische Initiativen von 1913 und 1914 an: Die Kroaten sollten ihre ‚ijekawische‘ Sprachvariante, die Serben ihre kyrillische Schrift aufgeben. Die angestrebte Lösung, 1918/19 offenbar unterstützt von einer gewachsenen Zahl von Schriftstellern ‚aller drei Stämme‘, war also die nur noch in lateinischer Schrift geschriebene ‚ekawische‘ Variante des Serbokroatischen.8 Die programmatischen Texte und andere Beiträge im „Literarischen Süden“ machten allerdings deutlich, dass der Umsetzung des ambitionierten Projekts – auf Anhieb erkennbar an der Durchmischung der Sprachvarianten und Schriften unter den Beiträgern der Zeitschrift, vor allem an der Umstellung auf die ekawische Variante bei kroatischen Schriftstellern – klare Grenzen gezogen waren. Zum einen musste der „uniformierende Prozess der gegenseitigen Verschmelzung“9 im Falle des eindeutig differenten Slowenischen dem Prinzip einer „spontanen, gewaltlosen und somit organischen“10 Entwicklung im Sinne einer mehr oder weniger spontanen Assimilation überlassen werden.11 Zum anderen musste von der Abschaffung der kyrillischen Schrift vorerst Abstand genommen werden, war diese doch für die Serben ein „Leidensgenosse“ im Krieg und „graphisches Symbol unseres Kampfes um Selbsterhaltung“12 geworden. So konnte auch die kyrillische Schrift, neben der Wahl der ekawischen Variante, vor allem bei kroatischen Schriftstellern als Zeichen der integralistischen Gesinnung fungieren.13

      Sprache und Schrift stehen im Dienste der Nationalliteratur, des zentralen Mediums nationaler Integration auch in der Spielart des integralen Jugoslawismus. Auch in dieser Spielart kommen die charakteristischen Muster organizistischer und zirkulärer Funktionsbestimmung der Literatur zum Einsatz: Bleibt sie volks- und lebensnah, ist sie genuiner Ausdruck des nationalen Bewusstseins – zu dessen Konsolidierung und Ausbau wiederum gerade sie, die Nationalliteratur, maßgeblich beitragen soll.14 Zwischen der organizistischen Perspektive und den – gerade auf den Seiten der Zeitschrift mit besonderer Kühnheit erbrachten – Aufbauleistungen im Bereich von Sprache, Schrift, Kanonisierungsprozessen u.a. wird kein Widerspruch wahrgenommen, da in dieser Perspektive jede Aufbauleistung als Freilegung, Revitalisierung oder Ausbau nationaler Substrate in der Regie der entsprechenden Avantgarde ausgelegt wird.

      So kann auch für die Behauptung, dass „die literarische Einheit kein Phantom, sondern Tatsache ist“,15 in Ermangelung literatursoziologischer Argumente auf die literarische Avantgarde verwiesen werden: auf die jugoslawische Orientierung der literarischen „Pioniere“ und die grenzüberschreitenden Leseinteressen des „intelligenten Lesepublikums“. Literaturgeschichtsschreibung und Literaturkritik, so der Literaturhistoriker Antun Barac, hinken der Entwicklung allerdings nach, indem sie innerjugoslawische, also stammesbezogene „Unterschiede hervorheben, die winzig sind, die nichts zu bedeuten haben“, und somit den „Fortschritt verhindern“. Für die Offenlegung der jugoslawischen Einheit in Vergangenheit und Gegenwart sei die übliche Faktenhuberei denkbar ungeeignet; gefragt seien „künstlerischer Instinkt“ und „Intuition“. Antun Barac selbst lieferte in der Zeitschrift Prolegomena für ein entsprechendes literaturhistorisches Narrativ.

      4. Rückprojektion: die Integration der Vergangenheit

      Geschichte ist bekanntlich die Rekonstruktion der Vergangenheit nach Maßgabe aktueller Interessenlagen. Nichts illustriert diesen Befund besser als der Paradigmenwechsel nach historischen Umbrüchen, wie ihn „Der literarische Süden“ auch in diesem Bereich auf eindrückliche Weise dokumentiert. Während in der aktuellen Produktion der zahlreichen MitarbeiterInnen der Zeitschrift die integralistische Vision der Vergangenheit hier und da im Gewand patriotischer Gesinnungslyrik aufscheint, so wird in den programmatischen Texten die Vergangenheit insgesamt in teleologischer Perspektive als Vorgeschichte der jugoslawischen Einigung neu aufgewickelt. Mit der Kurzschaltung von Gesinnung und Wertung, d.h. mit der Erhebung der jugoslawischen Gesinnung zum Kanonisierungsprinzip, erscheint nun als „Tatsache“, „dass alle unsere besten Wissenschaftler, alle unsere besten Dichter, ob Serben, Kroaten oder Slowenen, seit den Anfängen unseres kulturellen Erwachens, begeistertste und überzeugendste Jugoslawen sind“, während umgekehrt gelten dürfe, „dass kein irgend bedeutender Kulturarbeiter im slawischen Süden Separatist gewesen“ sei.1 Literarischen Größen, deren patriotische Gesinnung mit mehr oder weniger Gewalt auf den integralistischen Rahmen gespannt werden kann, werden ganze Themenhefte gewidmet: so dem Illyristen Petar Preradović zum 100. Geburtsjubiläum und dem Modernisten Silvije Strahimir Kranjčević zum 10. Todestag.2

      Das Programm einer integralistischen Gesamtrevision der literarischen Vergangenheit lieferte der erwähnte Antun Barac (1894–1955), der sich in den kommenden Jahrzehnten einen Namen als Literaturhistoriker und Kritiker machen sollte. Am Ende seiner Karriere als führende Persönlichkeit der Zagreber Südslawistik legte Barac übrigens eine Geschichte der jugoslawischen Literatur (1954) vor, deren Anlage und internationale Rezeption die schrittweise Distanzierung vom integralistischen Paradigma im sozialistischen Jugoslawien dokumentiert.3 Am Anfang der Karriere, in der Euphorie der großen Wende von 1918/19, machte sich der frisch promovierte Slawist für eine überfällige Modernisierung der Literaturgeschichtsschreibung im Sinne einer jugoslawischen Nationalliteratur stark.4

      Den Paradigmenwechsel leitet Barac mit der Kritik an der dominanten Literaturgeschichtsschreibung ein, deren Leitprinzipien in seiner Sicht lauter Widersprüche und Unstimmigkeiten produzieren: Das territoriale Prinzip spalte die Literatur entlang historisch kontingenter Verwaltungsgrenzen; die inkonsequente Anwendung des ästhetischen Prinzips ergäbe weder eine kohärente Literaturgeschichte, noch eine Geschichte der Schriftlichkeit; und das philologische Prinzip, worunter Barac positivistische Faktenhuberei versteht, führe die analytischen Ergebnisse keiner Synthese zu. Die verfehlten Perspektiven, so Barac, nehmen ephemere Differenzen wie territoriale, religiöse oder orthographische Besonderheiten in den Blick und etablieren Korpora, hinter denen keine zusammenhängende Entwicklung zu erkennen ist.

      Die scharfsichtige Kritik an der fehlenden Kohärenz literaturgeschichtlicher Narrative wird Barac in seiner späteren Entwicklung zu unterschiedlichen, auch literatursoziologischen Kontextualisierungen der Literatur führen. Jetzt wird der übergreifende Zusammenhang noch abstrakt als „Wesen der Nation“5 bezeichnet und wird dieses in der „Volksseele“ und im „Volksleben“ erblickt,6 die nur im jugoslawischen Rahmen betrachtet eine zusammenhängende Entwicklung offenbaren. Die organizistische Perspektive lässt den gesamtjugoslawischen Beobachtungsrahmen als zwingend, jede getrennte Beobachtung hingegen als ‚Zerstückelung‘ erscheinen, denn: „Das Volk ist ein Organismus, der geboren wird, der wächst und der stirbt.“7 Entsprechend gilt: „Unsere Volksliteratur

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