Das verschenkte Kind. Andreas Mohr
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das verschenkte Kind - Andreas Mohr страница 2
Gerta und Gerhard in Strohn
Meine Mutter Margareta vor der Heirat
Meine Eltern bei ihrer Hochzeit in Strohn, Mai 1931
Links die Schwester meines Vaters mit ihren drei Kindern, mitte und rechts: meine Eltern, ich, Gerhard und Gerta
Mein »Onkel-Tanten-Haus«
Meine Mutter hat mir später oft davon erzählt und ich merkte ganz deutlich, dass sie immer noch im Zwiespalt war, wegen ihrer Zusage, mich wegzugeben. Dann ging alles sehr schnell. Kaum hatte meine Mutter zugesagt, wurde ich auch schon abgeholt. Der Bruder meiner Mutter, Onkel Josef aus Berlin, und Tante Anna, die Krankenpflegerin, packten mich morgens in einen Sportkinderwagen, deckten mich gut zu und brachten mich nach Gillenfeld. Meine Tante Anna hat mir später erzählt, es war ein Herbsttag Ende September/Oktober 1943 mit sehr viel Regen und Sturm. Ich war ganz zugepackt mit Decken. Meine Tante sagte dann auf halbem Wege: »Wir müssen mal nach dem Kleinen gucken, ob er überhaupt noch lebt.« Daran habe ich natürlich keine Erinnerung mehr. Aber an einen kurzen Moment an diesem Tag kann ich mich doch noch erinnern. Als ich in Gillenfeld ins Haus kam, konnte ich gerade so über den Tisch schauen. Ich fragte wortwörtlich: »Bekomm ich denn hier kein Butterbrot?« Dies war der erste Satz in meiner neuen Heimat und alle lachten. Von jetzt an bis zu einem späteren Zeitpunkt, von dem ich noch besonders berichte, habe ich alles nur vom Erzählen meiner Tanten und meines Onkels. Als ich dann angekommen war, schaute ich mich um, nach dem Motto: Wer ist denn alles hier in dem Haus?
Es waren drei Tanten: Anna, Maria, Katharina und zwei Onkel: Josef und Matthias. Ganz fremd waren die fünf für mich nicht. Sie waren schon mal in Strohn, wo ich als Kleinkind war, zu Besuch und ich war mit meiner Mutter auch hin und wieder in Gillenfeld bei Anlässen wie Weihnachten oder Kirchweihfest. Ich hatte mich dann immer sehr wohlgefühlt, denn wir waren als Besuch sehr willkommen und wurden gut versorgt. Dabei muss ich jetzt erwähnen, dass dieses Onkel- und Tantenhaus, wie ich es später immer wieder nannte, ein überaus gastfreundliches und zugängliches Haus war. Dies kam auch daher, dass Tante Anna Landkrankenpflegerin war und Onkel Matthias Zimmermeister, welcher zu der Zeit alle Zimmerarbeiten im Dorf und in den umliegenden Dörfern erbrachte.
Tante Anna als Krankenpflegerin war eine sehr gefragte Person und für alle Krankheiten vom Säugling bis ins hohe Alter zuständig. Es war zwar auch ein Arzt in Gillenfeld, aber da nur eine Minderheit der Leute eine Krankenversicherung hatte, kamen alle zu Tante Anna. Dies war natürlich kostenlos und die Leute konnten sich im Dialekt unterhalten und ihre Beschwerden so viel besser schildern. Tante Anna beruhigte die Menschen erst einmal. Sie fragte nach dem Allgemeinzustand, Essen und Trinken, kein Fieber. Mit guten Ratschlägen und dem Hinweis, dies und jenes Hausmittel anzuwenden, sich notfalls in der Apotheke ein rezeptfreies Mittel zu kaufen, gingen die Kranken dann wieder heim und wurden fast alle wieder gesund.
Tante Maja, Bruder Aloys, Tante Käth
Nur in ganz seltenen Fällen sagte Tante Anna: »Geh zum Arzt.« Das war dann schon dramatisch. Wenn jemand nicht zu ihr kommen konnte, machte sie natürlich Hausbesuche, auch in Nachbarorte, alles zu Fuß. Bei Pflegefällen in der Familie war sie Tag und Nacht und auch an Wochenenden und abends immer zur Stelle. Sie begleitete auch die Sterbenden in ihrer letzten Stunde, sehr zur Erleichterung der Angehörigen.
Onkel Matthias, der auch noch mein Taufpate war und den ich immer mit dem Namen »Pat«, das heißt »Taufpate« ansprach, hatte als Zimmermeister auch oft Besuch, wenn es um einen Neubau oder eine Renovierung ging. Er besprach dann die Einzelheiten des Bauvorhabens. Aus dieser Sicht betrachtet, war das Haus meiner Pflegefamilie ein Haus der offenen Tür für alle Leute und für mich als kleiner Junge, und auch später als Heranwachsender, war dies äußerst interessant und lehrreich. Inzwischen lernte ich, auf diesem Wege, viele Leute aus dem fremden Dorf kennen.
Dann war da auch noch mein Onkel Josef im Haus, er war der Älteste, nicht verheiratet, Jahrgang 1888. Er war ein überaus gutmütiger Mensch mit sehr viel Ruhe und einer Engelsgeduld. Sein Aufgabengebiet war die Versorgung der Kühe und Rinder. Die Glankühe waren zum Anspannen und Arbeiten im Feld und gleichzeitig zur Milchgewinnung. Das sogenannte »Fuhrwerken« mit den Kühen, pflügen, eggen und säen, war in der Hauptsache die Arbeit von Onkel Josef.
Eine meiner schönsten Kindheitserinnerungen war Folgendes: Abends, nach dem Abendessen, saß Onkel Josef auf der Holzbank hinter dem Tisch. Ich lag auf der Bank und hatte meinen Kopf auf dem Schoß von Onkel Josef. Er hatte die Angewohnheit, immer, wenn er irgendwo saß, mit einem Bein zu wippen. Dieses leichte Wippen und gleichzeitig sein Rauchen mit der Pfeife und sein Erzählen waren für mich das Schönste und Wohltuendste, was es zu dieser Zeit überhaupt gab. Ich war dann in einer Art Halbschlaf und hätte die ganze Nacht so zugebracht. Doch oft schon zu später Stunde, hieß es dann: »Sofort ins Bett.« Das war für mich, als wäre ich aus einem Traum erwacht.
Tante Anna war sehr resolut und bestimmend und wenn sie im Haus war, musste ich abends immer früh schlafen gehen und durfte nicht auf der Bank liegen und träumen. Onkel Josef sagte dann immer: »Nun lass das Jüngelchen doch noch ein bisschen auf der Bank.« Er war so gutmütig und gönnte mir den Spaß. Aber gegen seine Schwester Anna kam er nicht an und ich musste dann schleunigst ins Bett.
Die vierte Person im Haus war Tante Maria. Ich nannte sie von Anfang an »Maja«. Sie war für das Melken der Kühe und für den Garten zuständig und alle anderen anfallenden Arbeiten im Haus und auf dem Feld. Sie war 1889 geboren, unverheiratet und eine gute Seele. Wenn ich draußen war, mit anderen Kindern aus der Nachbarschaft, und plötzlich Hunger hatte, zum Beispiel um halb zwölf, kurz vor dem Mittagessen, wies mich Tante Anna immer ab, mit dem Hinweis: »Gleich gibt es Mittagessen.« Plötzlich kam Maja dann mit einem Butterbrot unter der Schürze versteckt zu mir und sagte: »Nun iss’ schnell, ehe es Tante Anna sieht.« Dafür bin ich ihr immer noch dankbar.
Die Jüngste von den Fünf war Tante Käth: Katharina. Sie war die Schwester von Josef, Anna und Maja. Verheiratet war sie mit Onkel Matthias, meinem Pat. Die Ehe war kinderlos und darunter hat sie schwer gelitten. Sie war für die Haltung und das Füttern der Schweine zuständig, Kälber tränken, auch Kühe melken, Garten, Feld und Wiesen. Da ja noch kein Telefon vorhanden war, wurden sehr viele Briefe und Postkarten geschrieben. Tante Käth pflegte die Korrespondenz zu allen Verwandten. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb sie jede Woche einen Brief oder eine Postkarte. Sie schrieb noch die alte deutsche Schrift, die ich nicht lesen konnte. Weil ich aber wissen wollte, was sie schrieb, las sie mir dann den Text vor. Es begann immer mit »Ihr Lieben«, »Viele Grüße aus Gillenfeld, wie geht es Euch, seid Ihr noch gesund?« Dann folgte das Aktuelle aus der Familie. Oft nannte sie auch mich mit dem Satz: »Das Jüngelchen fügt sich ganz gut, wir sind sehr froh mit ihm.« Wenn ich das hörte, wurde ich immer rot im Gesicht. Ich freute mich und war trotzdem verlegen.
Tante Käth in Gillenfeld
Wo sind Mutter und meine Geschwister?
Als Dreijähriger hat man ja später nur noch Bruchstücke in Erinnerung und vor allem die Zeitfolge ist nicht so genau einzuordnen. Laut Erzählung meiner Tanten und Onkel wollte ich an diesem ersten Tag, und Tage später, nicht schlafen und habe immer nach meiner Mutter und meinen Geschwistern, vor allem nach Schwester Gerta, gerufen und konnte nicht verstehen, warum