Zwischen den Rassen. Heinrich Mann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Zwischen den Rassen - Heinrich Mann страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Zwischen den Rassen - Heinrich Mann

Скачать книгу

im Schlafzimmer die schwarze Anna.

      Nein, Anna wusste es nicht, und ihr glaubte Lola. Anna sah sich, mit kleinem tierischen Kopfrücken, im Zimmer um, wie in einem Käfig; Lolas Augen folgten ihr; — und dann betrachteten die beiden einander ratlos.

      Aber die neue Großmutter war so heiter! Man konnte nicht an ihrer Hand durchs Haus laufen: in den Saal, wo die Äpfel lagen, auf den Boden, woher sie bunte Kleider und alte, seltsame Puppen holte, — ohne dass irgendetwas Lustiges vorfiel. Der zweite Onkel brachte seinerseits viel Leben mit; — und dann war es ziemlich spaßhaft, mit Anna auszugehen, unter die hiesigen Kinder, die scheinbar noch nie eine Schwarze erblickt hatten. Da ward man angesehen! Manchmal zwar liefen einem zu viele nach und machten sich lästig: da half nur, dass man ihnen Bonbons hinwarf, um zu entkommen, während sie sich rauften . . . Ferner war unter den freundlichen Menschen, die Lola kennen lernte, ein schwarzgekleideter Herr mit weißem Bart, der eines Tages in Großmamas Zimmer saß und Lola etwas fragte. Pai bedeutete ihr, es handle sich darum, ob sie zum protestantischen Glauben übertreten wolle; er rate ihr dazu. Sie sagte ja, bekam von dem alten Herrn einige glatte bunte Bildchen und ward am Abend in den Zirkus geführt . . . So viel hatte man erlebt, dass gewiss schon ein Jahr herum war.

      „Nicht wahr, ein Jahr sind wir bald hier?“ fragte sie eines Abends. Pai erwiderte:

      „Was denkst du. Sechs Wochen erst.“

      „Erst? Aber es ist doch schon wieder Winter?“

      „Nein, Kind, so ist hier der Sommer.“

      Sie hätte sich gern einmal wieder nach der Heimreise erkundigt; aber Pai schien nicht aufgelegt; er hatte die schon lange nicht mehr gesehene Falte zwischen den Augen. Auch die Andern sprachen heute viel weniger. Sogar Großmama lächelte nur halb. Lola ging bedrückt zu Bett.

      In der Nacht träumte ihr etwas Trauriges: sie sah einen Neger — welchen, wusste sie nicht, aber es war einer, den sie gern hatte — von einem Aufseher grausam prügeln, hörte sein Winseln, brach selbst in Weinen aus und lief, es dem Großvater zu klagen: weinte und lief. Da erwachte sie, noch immer schluchzend, — und auch das andere Schluchzen ging weiter. Die schwarze Anna kauerte, über das Bett gebeugt, und jammerte erstickt:

      „Kleine Herrin, ich muss fort. Schon morgen reisen der Herr und Anna mit dem Dampfschiff fort, zurück in unser Land; die kleine Herrin aber bleibt hier.“

      Und da Lola, auffahrend, in Geschrei ausbrach:

      „Ganz leise! Anna darf nichts sagen: der Herr hat es verboten. Anna sollte ohne Abschied weggehen: sie kann doch nicht!“

      „Du sollst nicht weggehen! Hörst du, du tust es nicht! Ich befehle es dir!“

      Des Kindes Stimme brach sich vor Zorn.

      „Pai lässt mich nicht hier zurück; das sind alles Lügen.“

      Die Amme wiederholte nur, eintönig klagend:

      „Ganz leise! Anna muss fort.“

      Und in ihrem Gemurmel ging der Zorn der Kleinen allmählich unter. Sie ließ sich auf Annas Schulter fallen, gebrochen, mit Schluchzen und Bitten.

      „Geh nicht fort!“

      „Anna muss gehen.“

      „Wenn du fortgehst, dann —“

      Der Schmerz schüttelte das Kind. Es presste sein Gesicht auf die nackte schwarze Schulter; — und mit dem öligen Geruch dieser Haut, an der es einst die ersten Atemzüge getan hatte, erhob sich die dunkle Flut seiner frühesten Erinnerungen und überschwemmte es. Lola sah, in einem aufgeregten Gedränge von Bildern, zuerst einen Palmenwald, dann viele grimassierende Negergestalten, die ihr namenlos schön erschienen, um Fleischtöpfe hocken, in die sie oft ihre Händchen getaucht hatte; sah ein Stück schäumenden, heftig blauen Meeres und die buschigen Wedel des Zuckerrohrs davor; sah Nene, den Bach und die Kurubus . . .

      „Wenn du fortgehst,“ wimmerte sie, „dann —“

      Es entstand ein Wogen großer Blumen hinter ihren an Annas Schulter gedrückten Lidern; und tief in den Blumen hing die Hängematte mit der schönen Mai, die ihr zunickte und langsam und wie von einer nicht mehr Anwesenden das Gesicht wegwandte.

      „Wenn du fortgehst, dann ist . . . alles aus!“

      Am Morgen trat Pai ins Zimmer und sagte:

      „Meine kleine Lola, Pai muss nun auf kurze Zeit zurückreisen, und bis er wiederkommt, lässt er dich hier.“

      Da das Kind nur den Kopf senkte:

      „Es wäre für dich nicht gut, schon wieder so weit zu reisen.“

      Lola schlug die Augen auf und sagte hell, wie eine verzweifelte Schelmerei:

      „Pai, nimm mich mit?“

      „Meine kleine Tochter ist vernünftig, nicht wahr,“ erwiderte Pai, ohne Frage im Ton; und Lolas kleines gespieltes Lächeln brach ab. Pai nahm sie bei der Hand und führte sie zur Stadt, über einen Marktplatz und in ein altes Haus, an dessen gläserner Flurtür die Glocke lange klapperte.

      „Hier wohnt,“ sagte Pai, „eine gute Dame, die sich meiner Lola annehmen will, solange Pai nicht da ist.“

      Der Flur war weit; auf seinen Steinfliesen gingen Arm in Arm, zu zweien oder in langen Reihen, viele Mädchen umher. Andere hüpften zwischen den Flügeln einer Tür, in der buntes Glas war, in den Garten hinab. Es waren große und kleine; aber die kleinste, sah Lola gleich, war sie selbst. Sie sah es aus dem Zimmer, worin Pai mit ihr wartete. Es hatte weiße Tapeten mit goldenen Blumen darauf, eine goldene Stutzuhr, sehr hohe Fenster mit den Bäumen des Gartens dahinter; und Lola wandte sich, beklommen seufzend, von einem Gegenstand zum andern. Gleich war’s nun so weit: Pai war fort. Noch hielt er sie doch an der Hand: und war schon fast fort! O, o, was für eine drängende Menge von Dingen hätte sie ihm zu sagen gehabt; er musste doch einsehen. Mit zuckender Lippe brachte sie hervor:

      „Pai, sieh, was für ein komischer Mann ist auf der Uhr.“

      Und fieberhaft dachte sie: „Das war’s doch nicht, was ich wollte.“

      Hatte Pai wirklich gar kein Erbarmen? Sie lugte zu ihm auf, mit unverstelltem Jammer. Pai sah gradaus; er hatte den Mund fest geschlossen, die Falte zwischen den Augen; — und zum ersten Male fühlte Lola, dass er ein strenges Gesicht mache, weil er traurig sei; dass er sich streng stelle, weil er sie lieb habe. Es ward ihr ganz warm und glücklich; sie drückte Pais Hand; Pai sah hinab, ihr in die Augen: da aber ward es draußen bei den Mädchen viel stiller, und eine kleine Dame im schwarzen Kleid lief eilig an dem gelben Treppengeländer entlang. Schon war sie unten, und nun kam sie auf das offene Zimmer zu. Gab es denn keine Rettung? Pai tat nichts? Die kleine Dame trug die eine ihrer schmalen Schultern höher als die andere, sie hielt die Arme gekrümmt zu den Seiten ihres zerknitterten Trauerkleides, und ihr blasses, langes Gesicht bekam vom Lächeln eine krause Nase: Lola sah das alles mit schreckensvoller Genauigkeit. Ihr war wie in einem Traum, worin man davonlaufen möchte und sich nicht regen kann. Da fühlte sie schon die dünnen langen Finger der Dame kühl um ihre Hand. Was sagte nun die Dame? Ratlos wandte Lola sich nach Pai um.

      „Fräulein Erneste begrüßt dich,“ erklärte Pai, „und verspricht dir, sie wolle dich lieb haben und dich

Скачать книгу