Die Armen. Heinrich Mann
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Die Schwester des Arbeiters Balrich bekam droben von Dinkl, ihrem Mann, eine Ohrfeige, die bis her schallte, und sie selbst hieb die Kinder. Als alle genug geschrien und die Nachbarn genug gelacht hatten, machte sie sich plärrend an das Nachtgebet. Karl Balrich dachte noch immer: „Auf das Geld kommt es an.“ Da zog links drunten der Herbesdörfer, seine Harmonika lang aus, und Balrich merkte es nun, dass er mit dem Denken nicht vorwärts kam. Schwer war es, von dem wirklichen Gang der Welt, ihren Zusammenhängen und Gesetzen etwas Deutliches zu erfahren. Die Redner in den Versammlungen redeten von weit her; um sie anders zu verstehen als bloß mit unserem Hassgefühl, mussten wir uns bis dahin durchschlagen, wo sie zumeist von Geburt schon standen. Und wie jetzt noch zu so viel Bildung kommen?
Die Herren im Studierzimmer murrten: „Den Bau der elektrischen Bahn nach Gausenfeld hat er hintertrieben. Er scheut den Verkehr der Welt mit seinem Jammertal, er wünscht keine Einblicke und ist gegen einen häufig wiederholten Besuch seiner Leute in der Stadt, bei ihren Genossen, auf den Versammlungen. Am Sonntag will er sie in seine Kantine zwingen. Wie in einem Ghetto sollen sie sich fortpflanzen und nichts von allem was sie sind und leisten, ihm verlorengehen. Die Folgen ermesse man! Was mich betrifft, ist es mir bekannt, dass die Gausenfelder Körperverletzungen um viele Prozent unsere sonstigen übersteigen. Niemand wundere sich, wenn ich, Klinkorum, eines Morgens in einer Blutlache aufgefunden werde! Wäre ich nicht der Ordnungsmann, der ich bin, ich wüsste die Stelle zu finden, wo die Öffentlichkeit sich packen ließe.“ — Ja, die murrenden Gebildeten warfen bei einer neuen Flasche Wein sogar die Frage auf, ob ein Mann von mittlerem Einkommen, aber einer gewissen geistigen Höhe, mit seinem Glück und Dasein denn wirklich gebunden sei an den Bestand der jetzigen Dinge. Als die Flasche leer war, sahen sie das Schlimmste voraus, eine Katastrophe, ein Weltenende. „Ich sehe es,“ rief Klinkorum, vom Geist berührt. „Ich sehe, dass einer aufstehen wird und mich rächen!“ — wobei er sich fester in die Ecke setzte.
Der Arbeiter sagte, drüben im Hofzimmer, seinen beiden jungen Brüdern gute Nacht; und bevor er sein Fenster schloss, stand er dann im Wind, quer über die breite Stirn liefen ihm die zusammengewachsenen Brauen, er machte Fäuste, stemmte die Schultern hinauf, als höbe er eine Last, — und dachte mühselig weiter, tastete sich im Dunkeln ein Stück an seinem Schicksal hin, wie es denn aussehe, wohin es denn verlaufe mit den anderen in der Welt. Ihm schien es dunkel und windig, wie das öde Feld, auf das er hinaussah und das endete mit dem Friedhof. Zwischen sich und dem Friedhof fand er nichts als Ungerechtigkeit und Hass.
Beim Abschied lenkten die Studierten ein. Die reichen Leute hatten natürlich ihre unermessliche soziale Nützlichkeit. Und nach außen verbürgten sie unser Ansehen, unsere Schlagkraft, die Erweiterung unserer Grenzen. Übrigens waren nicht alle reichen Leute wie Heßling, — und selbst Heßling, war seine Tüchtigkeit denn zu verachten? Im Gegenteil zog ganz Netzig Nutzen aus ihr. Die wenigen Gausenfelder Aktien, die er damals bei seiner großen Operation, als er Generaldirektor wurde, in fremden Händen gelassen hatte, waren seltene Kostbarkeiten geworden, sie vererbten sich vom Vater auf den Sohn. Jeder der drei Herren vermutete von den anderen, dass sie welche hätten, und da sie es nicht gestanden, gestand auch er es nicht. Beim Abschied fragte jeder, mit unbeteiligtem Gehaben: „Wie stehen sie denn jetzt?“
Der Hass! fühlte der Arbeiter Balrich. Mit ihm gehst du schlafen und stehst wieder auf mit ihm. Vor sechs, den Rockkragen hinauf und los, den fröstelnden grauen Weg nach der Fabrik, zu Hunderten schweigend und trabend, Trab hinter sich, vor sich, in sich, Trab wie Maschinenlauf. Alle verschrieben der Ungerechtigkeit, alle unter dem unablässigen Druck des Hasses, gewohnt wie schlechte Luft und Lärm von Maschinen. Und dabei, welcher war der ärgere Feind? Heßling, für den man sich krumm rackerte, oder dieser Simon Jauner, der es auch tat, — aber seit heute stand er bei der Papiermaschine am Platze Balrichs, unten, wo die fertigen Bogen ankamen und wo man von der Tür her Luft hatte. Den besten Platz hergeben müssen, an einen, der früher einmal etwas gehabt hatte mit der Frau des Maschinenmeisters Polster! Noch dazu war sie die Schwester seines Schwagers Dinkl. Balrich schwitzte den ganzen Morgen mehr von Wut als von der Hitze. Als aber der Inspektor vorüberkam und ihn fragte wieso, biss er die Zähne zusammen. Das war unsere Sache und nichts für die Herren oben! Der Inspektor freilich wusste Bescheid, denn mit der Frau des Maschinenmeisters hatte er jetzt selbst etwas. Daher meldete er sich auch bei dem Herrn Oberinspektor, und beide gingen, als es Mittag läutete, sogar zum Generaldirektor hinein. Dann ward der Maschinenmeister hineingerufen und kam sogleich wieder herausgeflogen, der dicke Hahnrei, rot bis auf die Glatze. Und dann hatte Balrich seinen Platz zurück, Heßling war gerecht gewesen.
Darüber sprachen alle auf dem Weg zum Essen. Kam ein Beamter vorbei, sagten manche recht laut, Heßling sei gerecht gewesen, — auch Jauner sagte es, denn so war er. Balrich, an den sich viele von ihnen heranmachten heute, dachte den ganzen Tag über die Sache nach, denn Heßling war gerecht gewesen, und das ging nicht. Erst am Abend, vor seinem Fenster, hatte er es. Gewiss hatte auch Heßling von den Liebesgeschichten der Polster etwas erfahren und ihm lag nur an der Ordnung, seinem eigenen Vorteil. Umso schlimmer, dann konnte er gerecht sein, weil es sein Vorteil war, und die Reichen wurden reicher sogar durch ihre Tugend. … So stand es, dachte er gleich am Morgen wieder, denn es war Sonntag. Da begann aber schon, droben in der Ferne, das Gebetplärren seiner Schwester Malli, und kaum, dass es aus war, ein großes Gekeif.
Diesmal hörte er auch Leni, seine jüngere Schwester, mitschreien, weshalb er schnell hinging um nachzusehen. Es gab einen ganzen Kübel voll Dreck. Malli wollte Dinkl ertappt haben bei Leni hinter dem Bretterverschlag; und hinweg über ihren großen Bauch, woran drei Kinder sich festhielten, schrie sie ihm zu, er solle sich nichts einbilden, er sei nicht der einzige, — indes Leni aufheulte und Dinkl aus Verlegenheit seine komischen Gesichter schnitt.
„Schäm’ dich!“ sagte Balrich zu der verheirateten Schwester. „Ich weiß ganz genau, dass das wieder nur ein Schwindel von dir ist.“ Und er zog Leni an seine Schulter. Denn obwohl er gar nichts wusste, war es unmöglich, dass sie so etwas tat. Er hatte sie lieb. Er hatte sie so viel lieber als Malli, dass er ein schlechtes Gewissen fühlte und nichts mehr sagen mochte. Leni durfte noch hübsch, leicht und sauber sein, Malli, die ärmste, ward es nie wieder. „Und ich, wenn ich erst verheiratet bin, werde aussehen wie Dinkl.“ Malli hatte früher nicht gelogen. Jetzt ward nach dem Aufstehen gebetet, und dann sofort eine Klatschgeschichte, die das ganze Haus durcheinander brachte. Alle hier waren gute Leute, und handelten infolge ihrer Armut als seien sie böse Leute, — indes Reiche, die nicht gut waren, sogar gerecht sein durften.
Schön, jetzt trat die Polster auf und behauptete, Dinkls hätten ihr Milch gestohlen. Neuer Krach, neue Tränen, und durch die Aufregung kamen bei Malli die Wehen. Die Polster half ihr sofort wie eine wahre Schwester, zog sie aus, bettete sie, versprach ihrem Bruder Dinkl sein Essen und nahm die drei Kinder mit sich. Sie selbst hatte keine, darum konnten Polsters sich zwei schöne Zimmer halten. In dem einen standen Plüschmöbel, Blattpflanzen und ein Phonograph, es kam wohl auch von den Freundschaften der Frau. Aber wenn man das hätte genau nehmen wollen! Dinkl hatte noch die besondere Freude, dass das Familienereignis auf den Sonntag fiel und Malli voraussichtlich nicht mehr als zwei Arbeitstage verlor. Nachmittags, gerade als Balrich wieder nachfragte, kam hoher Besuch, Frau Generaldirektor Heßling und ihre Schwägerin Buck. In der Tür blieben sie stehen, sie machten Gesichter, als ob es ihnen an die