Die Armen. Heinrich Mann

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Die Armen - Heinrich Mann

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wir das Glück zu genießen, das Armut uns erlaubt!“

      Hier erinnerte er sich, dass ein Mädchen auf ihn wartete — sein Mädchen, wenn er wollte. Aber wollte er, und musste es diese sein? Er stieg aus der Bank ohne Eile, trat noch an den Tisch drüben, hätte sich fast daran niedergelassen, — und als er dann hinausgelangte, stand dort hinten unter der Friedhofmauer schon das Mädchen. Sie stand in ihrem braunen Tuch ein wenig gebeugt, als wartete sie seit einiger Zeit, und sah ihn erst, als er schon nahe war.

      „Thilde!“ rief er aufmunternd, worauf sie ihm ein Gesicht zeigte, das voll Gram war. Er kam aber so mutig herbei, breit, spannkräftig und fest, mit dem dunklen Schopf unter der Mütze hervor, so wohlgeraten kam er, dass sie ihm dennoch entgegenlächelte.

      „Warst du schon drinnen?“ fragte er gedämpft und wies nach der Friedhofpforte.

      Sie nickte. „Mein Kleines hat alles was es braucht. Wenn auch wir das hätten.“

      „Das sollst du nicht sagen,“ verlangte er; und zarter: „Gehen wir noch einmal hinein?“

      Da sie den Kopf schüttelte, bestand er nicht darauf. Es machte nur traurig, und hatten sie nicht beide mehr vor als hinter sich? „Komm fort!“ sagte er bestimmt, nahm ihren Arm und ging schneller. Im Schatten der Mauer, von der Büsche hingen, drängte, sie sich an ihn mit den Hüften. Sie waren breit, die Brust voll, und dazu das magere Gesicht, aus dem sie bange zu ihm aufsah.

      Am Ende der Mauer pfiff sogleich der Wind. Balrich wickelte Thilde fester ein. Erst März; kahl dämmerndes Feld; und sie stapften durch Regenlachen. Rechts zwischen dürren Bäumchen die Villen, genannt Arbeitervillen; aber fast nur noch Beamte wohnten darin. Als Arbeiter musste man sehr wohl gelitten sein. „Der Jauner wird hereinkommen, wir nicht.“

      Und wegen der Pfützen bald getrennt, bald wieder beisammen, begannen sie zu rechnen. Balrich hatte seine zwei jungen Brüder, der eine noch schulpflichtig, der andere unbezahlt. Das kleine Mädchen Thildes war keine Last mehr, sagte Balrich. Nur noch ihre Mutter, zu schwach um zu arbeiten, hing an ihr. „Wäre das nicht,“ sagte er, im Drang sie zu schützen, „du solltest gar nicht mehr arbeiten, du Ärmste, und ich für zwei.“

      Hierauf sah sie ihn an, bitter und misstrauisch, und mit einer höheren, schärferen Stimme sagte sie, dass sie nichts brauche und ihre Mutter sei ihr so wenig zur Last, wie früher das Kind. „Du möchtest wohl, auch sie läge schon draußen!“

      Da merkte Balrich, dass sie einander nicht verstanden, — und wollten einander doch lieben? Er hätte darauf bestehen sollen, dass sie zusammen an das Grab gingen. Nun argwöhnte sie, dass er ihr das Kind verdenke, vielleicht immer es ihr verdenken werde. „Das nicht,“ fühlte er. „Das wirklich nicht. Aber sie hat ihr Leben gehabt, bevor ich da war. Sie hat einen andern gekannt, und ich glaube zwei. Nun denkt sie von mir bisweilen nicht gut.“

      Sie war zwanzig, so alt wie er; und auch er hatte schon zwei Mädchen gehabt. Ihm aber war nichts zurückgeblieben, er hätte lieben können wie das erste Mal. Nur, warum denn diese, die manchmal so fremd schien, als sei sie aus einem andern Land. Durch sie hindurch erblickte er plötzlich seine Schwester Leni, unberührt, unbeschwert und vertrauend auf das Glück. Das war sein Blut, sein Land, war die gute Zukunft. Diese hier, wie müde!

      Fühlte sie denn, was er dachte? Anklagend erhob sie nochmals das Gesicht gegen ihn und sagte in einem Ton, der weh tun wollte: „Gib acht auf deine Schwester Leni! Sie ist vor dem Kind nicht sicherer als wir anderen.“

      Balrich ließ sich aber nicht wehtun. Er nahm fest ihren Arm in den seinen und sagte sanft:

      „Dein Kind war ein gutes und liebes Kind.“

      Er erlaubte ihr nicht, sich loszumachen, und am Ende gab sie nach, sank leise gegen ihn, und aus ihren geschlossenen Augen rannen Tränen. Langsam, in der Dämmerung und im Wind, erreichten sie den „Arbeiterwald“, der Bänke hatte. Umschlungen setzten sie sich auf eine feuchtkalte Bank, unter großen schwarzen Ästen ohne Blätter. Vor ihnen die Fabrik, und hinter den drei Reihen der Fabrikgebäude ging die Sonne unter, von Wolkenstreifen überzogen wie von Rauch. Sie starrten in die Röte und dachten beide, dass es gut wäre, warm zu haben. In ihrem Rücken, hinter hohen Planken, lag der „Herrschaftswald“, begann hier wild, und immer gepflegter, blumiger und geschützter gegen den Wind und gegen die bösen, sehnsüchtigen Blicke, umgab er endlich als süßer Garten die Villa Höhe, das verbotene Paradies.

      „Dort friert es keinen,“ sagte das Mädchen. Der Arbeiter sagte:

      „Dort können sie ernähren, wen sie lieben.“

      Da die Sonne fort war, der Wind kälter blies und es anfing zu regnen, standen sie auf. Thilde wollte umkehren, Balrich aber strebte der Fabrik zu. Er wisse eine Unterkunft beim Regen. Auch Thilde sah sie wohl, es waren die Waggons, die von der Fabrik zum Bahnhof fuhren. Dort hielten sie, einer mit offener Tür. Das Mädchen sträubte sich, hineinzusteigen.

      „Weil die Lumpen darin so schlecht riechen?“ fragte er. Sie antwortete:

      „Was soll mir das machen. Ich stehe mein ganzes Leben in einem Lumpensaal.“

      Und sie ließ sich hineinhelfen.

      „Es ist doch trocken hier auf den Lumpen,“ sagte er.

      „Und sogar warm,“ flüsterte sie und überließ sich seinen begehrlichen Händen.

      Da sie an seine Brust gedrängt im Dunkeln nach seinen Augen suchte, schloss er sie, allein mit seinen Gedanken. Dies war das Beste was wir hatten — und machte doch alles nur schlimmer. Die Liebe war eingesetzt, damit es mehr Proletarier gebe. „Für Heßling arbeiten wir, selbst hier, — und freilich auch für unsere Führer. Heßling und unsere Führer sind darin einig, dass wir nicht zahlreich genug sein können. Denn beide brauchen sie Menschenmaterial.“

      Das Mädchen sagte:

      „Dies haben wir doch. Dies nimmt uns keiner. Küss’ mich, du Lieber!“

      Aber sie fuhren auseinander, ein Schlag dröhnte an der Wagenwand, und in die Tür trat ein großer Umriss. Der Aufseher! Er schalt auf das Gesindel, das in den schönen Lumpen seine Schmutzereien treibe. Als Balrich hervorkam, hielt der Beamte ihn fest und suchte ihm mit seiner Taschenlampe in das Gesicht zu leuchten. Balrich stieß ihn aber zurück, zog auch Thilde heraus, und schon liefen sie. Verfolgt von Schimpfreden liefen sie durch den Regen, jeder für sich, und wussten schon nicht mehr im Dunkeln, wo ist der andere. Nahe beim Friedhof erst fanden sie sich wieder. Da sah er unter der Laterne, wie durchnässt sie war, denn beim Fliehen hatte sie ihr Tuch in den Händen des Aufsehers gelassen. Er zog sogleich seine Jacke aus und hängte sie um sie und sich. Ganz aufeinander geneigt gingen sie nun, ein Kleid, und man konnte deuten, ein Herz. Sie aber zitterte vor Kälte und er vor Zorn.

      Die Kantine war nur noch schwach erhellt, kein Laut drang heraus, vor der Tür nur erkannten sie Simon Jauner — und bei ihm, an der Mauer, zwei Schatten, die aussahen wie Herren.

      War dies nicht der Herr Oberinspektor selbst — und jener gar, o Gott! Geduckt schlichen sie vorüber, ein Kleid, ein Herz. Hinter ihnen sagte die Stimme eines Herrn:

      „So gut haben es nur solche Leute.“

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