Perry Rhodan 2823: Auf dem Ringplaneten. Leo Lukas
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Schon langweilte ihn die Veranstaltung. »Wie und womit hat denn die ganze Misere begonnen?«, setzte er nach, um das Gespräch in eine womöglich erquicklichere Richtung zu lenken. »Im Anfang war ...«
»Ach, bitte nicht wieder die Erbsündenlehre!«, quäkte ihm jemand dazwischen, ein herausragend hässliches und ungepflegtes Musterexemplar der Gattung Fauler-Geist-in-faulem-Körper. »Tausendfach widerlegt, eine historisch-geistesgeschichtliche Verirrung! Damit eine Welt existiert, ist kein Schöpfer vonnöten ...«
»Blasphemie!«, unterbrachen ihn mehrstimmige Zwischenrufer. »Du verunglimpfst den Gründervater! Zurück in die Ursuppe mit dir! Zurück in die Ursuppe!«
»Rein theoretisch und erkenntnisphilosophisch ist kein Schöpfer vonnöten, sage ich, ergo auch kein Antagonist. Sowieso Dualismus, schon gar Dialektik ...«
»Auszeit!«, schrie ein wieder anderer. »Was ich schon seit unzähligen Zyklen fordere: Beendet die Auszeit! Wer will in einem Inertialsystem leben, das in sich selbst verknotet ist, rückläufig, rekursiv? Ein System, in dem ein Tag wie der andere ist, weil immer nur derselbe Tag stattfindet, mit exakt demselben Personal?«
»Hört, hört«, sagte der Vielsiedler rechts von Zerkomsdencz süffisant. »Aufruhr? Umsturz? Mehr fällt dir nicht ein? Sind wir denn nicht«, er wischte sich über die schwarz unterlaufenen Augen und warf sich in eine dramatische Pose, »eine Wertegemeinschaft?«
Aus dem Publikum ertönte Gelächter, durchmischt mit Buhlauten.
»Ich erteile hiermit einen Ordnungsruf«, sagte der Moderator streng. »Und ich mahne bei dieser Gelegenheit Disziplin ein. Sonst kommen wir nicht weiter. Nächster Redner ist Zerkomsdencz.«
Schlechtes Stichwort. Alle plärrten sogleich durcheinander, als hinge das Schicksal der Welt von ausgerechnet ihrem Standpunkt ab.
*
Längst bereute Zerkomsdencz, dass er sich für diese Beschäftigung entschieden hatte. Als wüsste er nicht, wie frustrierend es war, dass er, er, er und er sich so wenig Neues zu sagen hatten!
Freilich, die Zeit war dazu da, totgeschlagen zu werden. Umso mehr, da sie nie verging.
Er stand auf und entfernte sich, ohne viel Aufsehen oder gar Widerspruch zu erregen. Das war die Zweite Eherne Regel: Jeder kommt und geht, wie er will.
Die, logisch daraus folgende, Dritte: Nichts muss begründet werden – da es keinen Urgrund für irgendetwas gibt.
Zerkomsdencz lümmelte im Freien, ein Müßiggänger, an eine der Säulen gelehnt, alle Arme und Beine verschränkt. Hinter den Hügelketten versank die Sonne. Die immer gleiche Dunkelphase am Ende des Tages, immerzu desselben Tages, brach an.
Laternen flammten auf und wurden sogleich von Mückenschwärmen umschwirrt. Exakt dafür hatte Zerkomsdencz sie in den Lebensraum integriert; einen anderen Zweck erfüllten sie nicht.
Gerade hatte er sich damit abfinden wollen, dass ihm ein kurzes Schläfchen in einem der vielen eigenen, kuscheligen Betten zumindest nicht schaden würde, da erreichte ihn ... ja, was?
Eigentlich war die Mehremitage nach außen hin abgeschottet. Darin lag schließlich der Witz, der Clou des gesamten Konstrukts.
Inklusion bedingte Exklusion, wie Frieden Stillstand bedingte. Von allen, für alle. Zufriedenheit, die niemals von anderem, auswärtigem Gedankengut gestört wurde. Ewige Ruhe, Müßiggang, verwoben in sich selbst. Schmorend im eigenen Saft, der durch keinerlei andere Komponenten verwässert wurde, nicht einmal auf atomarer Ebene.
Und doch. Etwas war durchgekommen.
Ein Signal? Nein: das Echo eines Begleitgeräusches der Spiegelung des Widerhalls eines Fragments der sekundären, wenn nicht tertiären Nebenerscheinungen eines Signals. Ahnung einer Ahnung. Extrem unwahrscheinliche, unbotmäßige Botschaft.
Was besagte sie? Was konnte Zerkomsdencz daraus ableiten, was hineininterpretieren, das für ihn von Substanz und Belang war?
Lange dachte er darüber nach. Viele naheliegende Deutungen verwarf er. Dann fokussierte er sich auf die unwahrscheinlichste, weil verlockendste.
Das Signal musste sehr stark gewesen sein und sehr originell. Sonst hätten auch die Splitter den Wasserwall nicht durchdringen können. Jemand oder etwas war erschienen, der oder das zuvor noch nie da gewesen war.
Unverhofft. Aus schwarzem Himmel.
Prophet oder Scharlatan, Heilsbringer oder Zerstörer – egal. Diese Wesenheit war auf den Plan getreten, getrieben von einem rührend unschuldigen Willen zur Veränderung. Gespeist von einer mitschwingenden, naiven Berufung, die ihn oder sie oder es umhüllte wie eine weithin leuchtende Aura.
Ein Blitz in der Finsternis der unendlichen Nacht. Ein Aufschrei im ewigen Schweigen, ein jäher Farbklecks, der die Monochromie hintertrieb ... Zerkomsdencz bedachte, was dies für ihn bedeutete, und kam zum Schluss: sehr viel. Einen Weckruf, mindestens.
Auf einmal empfand er sich als einen Schläfer, der aus einem unendlich langen Traum erwachte. Sein Schlummer hatte einen Sinn gehabt: ihn zu stärken, vorzubereiten auf den Tag und die Stunde.
Auf diesen Tag und diese Stunde. Zerkomsdencz wurde klar, dass er unverzüglich danach greifen musste, eingreifen, ja angreifen, so schnell wie möglich.
Sogleich streckte er seine Fühler aus. Er begab sich in eines der hyperphysikalischen Labore. Dort erweckte er zusätzliche Lauscher, ungeachtet dessen, dass er sie auf die Schnelle nur mangelhaft auszurüsten und zu programmieren imstande war.
Er versuchte sogar, Boten im Außerhalb zu aktivieren – obwohl dies nicht nur verboten, sondern eigentlich schlicht unmöglich war. Aber probieren musste er es.
Die Frage, die ihn mehr quälte, lautete: Hatte bloß er den verirrten Impuls empfangen? Oder dachten, planten, agierten alle anderen Vielsiedler in diesem Moment ebenso?
Zerkomsdencz fürchtete seine potenziellen Feinde, da er sie kannte.
Er kannte sie mindestens ebenso gut wie sich selbst.
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