Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband). Andreas Brandhorst
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Читать онлайн книгу Perry Rhodan: Pan-Thau-Ra (Sammelband) - Andreas Brandhorst страница 76
Lifkom hätte die drei Gruppen – Tote, Bewusstlose und Verletzte bei Bewusstsein – gern getrennt, allein schon der Übersicht wegen, aber dazu war er zu schwach und ungeschickt. Er stieß sich ab, um sich mit mehreren Medikits auszustatten, die sich in den Seitenfächern der Konturliegen fanden, und machte sich an die Arbeit.
Er konnte sich nicht entsinnen, sich jemals in seinem Leben so hilflos gefühlt zu haben. Die Medikits waren als Erste Hilfe bis zum Eintreffen von Spezialisten oder Medorobotern gedacht. Sie bestanden im Grunde genommen aus Verbänden zur Stillung von äußeren Blutungen und aus einer Reihe von kreislaufstabilisierenden Injektionen. In welcher Hinsicht sich diese voneinander unterschieden, wusste Lifkom nicht. Er konnte sie nur wahllos verabreichen und hoffen, dass sie bei Oxtornern wirkten.
Die Verbände benötigte er nur in einem Fall. Die äußeren Verletzungen der Oxtorner bestanden aus Knochenbrüchen. Schmerzhaft, aber nicht lebensbedrohlich und vollständig heilbar, sobald sie wieder unter Menschen waren. Die Ausnahme war Modesto. Der Kommandant war nicht direkt gegen die Zentralewand geschleudert worden, sondern gegen den Okrill, der zwischen ihm und der Wand eingeklemmt wurde. Das Tier – es schwebte als totes, blutverschmiertes Bündel hoch über Lifkom – hatte der doppelten Belastung nicht standhalten können. Im letzten Augenblick musste es sich aufgebäumt haben und hatte seine Krallen tief in Modestos Oberkörper getrieben. Der Kommandant der BANDIKOT sah aus wie ein rohes Stück Fleisch, doch sein Puls und sein Blutdruck waren stabil. Der Oxtorner war zäh, die Verbände taten ein Übriges.
Modestos Kameraden hatten weniger Glück. Ihre Verletzungen waren nicht äußerlich. Sie bluteten innerlich. Verbluteten. Sie starben einen überflüssigen, dummen Tod, wie Lifkom befand. Für sich. Niemand wollte im Augenblick davon hören, dass die Oxtorner sich ihr Schicksal selbst eingebrockt hatten – mit der übermütigen Haltung des vor Kraft strotzenden Kindes, dessen Phantasie nicht ausreichte, sich vorzustellen, dass ihm etwas zustoßen konnte.
Überall auf dem Schiff war Talina auf ein ähnliches Bild wie in der Zentrale gestoßen. Verkrümmt daliegende Bündel von Oxtornern, meist mehr tot als lebendig. Durch Wände wie durch Bahnen von Papier geschleudert, bis sie auf Hindernisse gestoßen waren, die härter als sie selbst waren: der Rumpf der BANDIKOT, die Streben des Gerüsts, das ihr zusätzliche Stabilität verlieh, oder Maschinenanlagen.
Stoppten die inneren Blutungen, erholte sich der Verletzte langsam. Hielten sie an, verfiel der Verletzte zusehends. Die hellbraune Haut verlor ihren seidigen Schimmer, dann wich die Farbe, bleichte aus, bis ein Hauch von einem Grau blieb – die Farbe des Todes.
Talina und Lifkom taten für die Verletzten, was sie konnten, was wenig mehr als der Anschein von Hilfe war. Sie schwebten durch die wracke BANDIKOT und versuchten zu trösten, in der Hand Injektionspistolen, bestückt mit den kreislaufstabilisierenden Mitteln, die Talina ebenso wenig voneinander unterscheiden konnte wie Lifkom. Die Medostation selbst war keine Hilfe. Sie war von umherfliegenden Oxtornerkörpern in Stücke zerfetzt worden. Lifkom und Talina nahmen Zuflucht in fieberhafter Phantasie. Sie redeten auf die Verletzten ein, erfanden Namen und Wirkungsweisen für die Injektionen, setzten auf den Placebo-Effekt und Wunder und die Hoffnung, dass die Injektion tatsächlich etwas bewirkte.
Und währenddessen suchten sie in den Gesichtern der Verletzten verstohlen nach der ersten Farblosigkeit, die anzeigte, dass der Tod nahte. Fanden sie sie, redeten sie sich heraus, behaupteten, ein bestimmtes Medikament sei ihnen gerade ausgegangen, und sie würden es holen gehen. So fragwürdig die Wirkung der Injektionen sein mochte, es waren zu wenige, um sie auf Verletzte zu verwenden, denen nicht zu helfen war.
Es fiel Lifkom unendlich schwer, die Sterbenden anzulügen. Schwerer noch fiel es ihm aber, wenn sie seine Lügen durchschauten. Oxtorner besaßen ein ausgeprägtes Körpergefühl. Erfüllung bedeutete für einen Oxtorner, seine physischen Möglichkeiten auszuspielen. Die Hölle, nicht mehr dazu in der Lage zu sein. Die Verletzten spürten, dass es mit ihnen zu Ende ging, und baten den Terraner um seine Waffe, um ihr Leben in Würde abzuschließen. Oder, wenn alle ihre Gliedmaßen gebrochen waren, es für sie zu tun. Lifkom brachte es nicht über sich, hätte es selbst dann nicht getan, wenn sein eigenes Leben davon abgehangen hätte. Er stob davon, die Handflächen fest gegen die Ohren gepresst, um nicht ihre bittenden Rufe hören zu müssen.
Talina, die Oxtornerin, dachte und handelte anders. Sie trug neben der Injektionspistole ein langes Messer mit sich. Sie reichte es Verletzten, die danach baten, um es sich selbst ins Herz zu stoßen. Vermochten sie es selbst nicht mehr, übernahm sie es. Der Anblick wühlte Lifkom auf. Auch wenn die Verletzten darum baten, wurde er nicht Zeuge eines vielfachen Mords? Gleichzeitig wusste er, dass die Sterbenden keine andere Aussicht hatten als die, nach qualvollen Stunden zu verenden. Und urteilte er nicht ungerecht? Sie waren Oxtorner, keine Terraner. Sie dachten, sie fühlten anders. Unbegreiflich anders. Wie sonst ließe sich erklären, dass Talina den Tod mit einer Selbstverständlichkeit spendete, als hätte sie nie etwas anderes getan, oder dass sie mit keiner Geste angezeigt hatte, dass Modestos Schicksal sie berührte, sich mit keiner Silbe nach ihm erkundigt hatte?
Seine Zweifel waren müßig, eine Kraftverschwendung. Zu welchem Schluss er kommen mochte – und Lifkom bezweifelte, dass er es jemals tun würde –, er blieb hilflos. Protestierte er, würde die Oxtornerin ihn einfach ignorieren. Lifkom blieb nur, seine Gänge fortzuführen und sich in Gedanken immer wieder den Grundsatz des Diplomatischen Korps der Liga vorzuhalten: Nicht bewerten, nicht einmischen.
Mit jeder Stunde, die verstrich, schwebte der Terraner an neuen Toten vorbei. Solchen, die ihren inneren Verletzungen erlegen waren, und solchen, die ihr Sterben abgekürzt hatten. Die Ersteren starrten ihn anklagend aus verzerrten Zügen an, die Letzteren wirkten entspannt, als wären sie nach einem erfüllten Leben friedlich entschlafen.
Schließlich waren die Toten weit in der Überzahl. Lifkom nahm sie kaum noch wahr. In seinem Kopf hallte noch immer der Grundsatz seines Standes wider, allerdings wie aus weiter Ferne. Aber das schien passend. Alles schien wie aus weiter Ferne. Er war zu erschöpft, um die Toten als mehr wahrzunehmen denn als praktische Griffe, an denen er sich durch die Korridore der BANDIKOT ziehen konnte. Längst zu erschöpft, um seine Bemühungen einzustellen, möglichst viele Leben zu retten. Um einzusehen, dass sie längst sinnlos geworden waren. Diejenigen, die leben sollten, würden es auch ohne sein Zutun tun. Diejenigen, die sterben sollten, taten es besser ohne das seine. Und schließlich war Lifkom zu erschöpft, um bei Bewusstsein zu bleiben.
Es erlosch wie eine Flamme, der der Sauerstoff ausgegangen war, und hätte an Bord der BANDIKOT nicht Schwerelosigkeit geherrscht, er hätte vielleicht als Letztes den Schmerz des Aufpralls auf dem harten Schiffsboden verspürt. So fiel Lifkom Tremter ungestört in die endlose Schwärze, die Gnade des Vergessens.
Kapitel 34
Später, als sich die erste Unruhe gelegt hatte, erhielt das Geschehen einen Namen: das Große Sterben.
Saleng-Merv und Belor-Thon waren nur zwei von vielen Millionen Zweidenkern, die an diesem Tag ihr Leben ließen. Kaum ein Trupp war von der Gegenoffensive der Flachaugen verschont geblieben. Die Bewohner des Sporenschiffs mussten lange auf diesen Tag hingearbeitet, ihre Kräfte konzentriert haben, während die Loower hochmütig, im Glauben an einen bereits errungenen Sieg, immer tiefer in die PAN-THAU-RA vorgedrungen waren.
Aber wie hatten sie es angestellt? Wie hatten die Flachaugen Millionen