Fettnäpfchenführer Taiwan. Deike Lautenschläger
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Sophie hat ein Fettnäpfchen knapp verfehlt und zwei getroffen: Nichts sollte an den Tagen vor dem chinesischen Neujahrsfest zerbrochen werden. Das Zerbrechen von Dingen führt nach einem Aberglauben zum Zerbrechen der Familie und zum Zerfall des Reichtums. Außerdem spielen Farben eine große Rolle, und Weiß war wahrlich die schlechteste Wahl, die Sophie mit ihrer Bluse treffen konnte. Auch Mei-yin bei dem Namen jiĕjie zu rufen, war nicht ganz richtig, wenn auch nicht so schlimm. Was Sophie für einen Spitznamen gehalten hat, bedeutet auf Chinesisch »große Schwester« und ist eine Anrede innerhalb der Familie.
Was können Sie besser machen?
Wenn wirklich etwas versehentlich vor dem chinesischen Neujahrsfest zerbrochen werden sollte, kann man das Unglück noch abwenden, indem man schnell suìsuì píng’ān sagt. Das ist eine Redewendung und bedeutet »Mögen alle Jahre friedlich sein!« Dabei klingen die ersten beiden Zeichen bzw. Wörter suìsuì mit der Bedeutung »alle Jahre« genauso wie das Wort »in Stücke brechen« auf Chinesisch. Man sagt also »Mögen die Scherben Frieden bringen« und gleichzeitig wünscht man »Mögen alle Jahre friedlich sein!«. Damit hat man den Fluch des zerbrochenen Gegenstandes zum Guten gewendet. Oft muss man also nur den richtigen Zauberspruch kennen, um das Unheil abzuwenden und sich gleichzeitig aus der misslichen Lage zu befreien.
Weiß ist in Taiwan die Farbe der Geister, der Trauer und des Todes. Kommt es zu Festtagen, trägt man daher nur während einer Beerdigung oder einer Geisterbeschwörung weiß. Selbst weiße Hochzeitskleider sind erst seit Kurzem im Trend. Mit Rot liegen Sie dagegen in Taiwan immer richtig. Rot ist die Farbe des Glücks und der Freude. Besonders beliebt ist Rot zum chinesischen Neujahrsfest, denn es macht dem Monster Nián Angst, dass sich nur in der Neujahrsnacht herumtreibt und Menschen und Tiere frisst, so der Volksmund.
In einer konfuzianischen Gesellschaft wie Taiwan wird bis heute in allen Beziehungen hierarchisch gedacht, auch innerhalb der Familie. Damit die Rangordnung klar ist, kennt die chinesische Sprache zum Beispiel kein allgemeines Wort für »Bruder« oder »Schwester«, sondern sie unterscheidet zwischen gēge, »älterer Bruder«, und dìdi, »jüngerer Bruder«, jiĕjie, »ältere«, und mèimei, »jüngere Schwester«. Innerhalb der Familie werden die Mitglieder nicht beim Vornamen gerufen, sondern beim Namen ihrer Position in der Familie. Das geht so weit, dass nicht nur zwischen älter und jünger unterschieden wird, sondern auch zwischen mütterlicherseits und väterlicherseits bei Großeltern, Onkel, Tante, Cousinen etc. Diese Art der Anrede steht aber nur Familienmitgliedern zu.
Jedes Fest hat seine eigenen Dos and Don’ts. Fragen Sie am besten Ihren Gastgeber, wenn die Einladung ausgesprochen wird, was Sie beachten sollten. Das zeigt Ihr Interesse an der Kultur und bereitet Sie auf die größten Fallen vor.
說到 … APROPOS … VÖLKERWANDERUNG
Chúxī ist der letzte Tag des Jahres im Mondkalender und der Beginn des chinesischen Neujahrsfestes, auch Frühlingsfest genannt. Es ist das wichtigste Fest und mit der Wichtigkeit unseres Weihnachtsfestes zu vergleichen. Alle fahren nach Hause, um mit der Familie zusammen zu sein – oder aber nutzen die Zeit zum Reisen. Zum chinesischen Neujahr gibt es jedes Jahr eine kurzzeitige Völkerwanderung ohnegleichen. Die meisten Einwohner Taipehs oder deren Vorfahren sind in die Hauptstadt gezogen, um Arbeit zu finden. Zweimal im Jahr – zum chinesischen Neujahr und zu Qīngmíng Jié, dem chinesischen Totengedenkfest im April – kehren aber alle zu ihren Wurzeln zurück, zu ihrem lǎojiā, dem »alten Zuhause«, wie sie es nennen, das in der Mitte oder im Süden der Insel, in Städten wie Taichung, Kaohsiung und Tainan, liegt.
說到 … APROPOS … BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN – DÌDI UND JIĔJIE
Schon bei der Hochzeit wünscht man dem Brautpaar: Zǎo shēng guìzǐ! – Gebärt bald einen Sohn! Es ist oft heute noch die traditionelle Ansicht, dass die Familie nur über die männliche Linie aufrechterhalten werden kann und die Söhne für die Altersfürsorge der Eltern zuständig sind. Das alte Sprichwort zhòng nán qīng nǚ hört man heute noch oft. Es sagt, dass Söhne schwerer und damit wichtiger sind als die Töchter, die leicht; also nicht so wichtig sind. Auch wenn Taiwan ein modernes Land ist und keine Ein-Kind-Politik herrscht wie in China, werden hier oft so lange Kinder geboren, bis sich endlich ein Sohn einstellt. Deshalb gibt es in Taiwan das Phänomen »ältere Schwester – jüngerer Bruder«. Wenn das erste Kind ein Mädchen ist, dann versuchen die Eltern oft noch ein zweites Kind zu bekommen, in der Hoffnung, dass es diesmal ein Sohn wird. Aber wenn das erste Kind bereits ein Sohn ist, bleibt es oft bei einem Kind. Somit gibt es in Taiwan viele ältere Schwestern mit jüngeren Brüdern, aber kaum ältere Brüder mit jüngeren Schwestern.
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