Fettnäpfchenführer Korea. Jan-Rolf Janowski
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»Du hast zwar eigentlich nicht mal eine Wartenummer, sollst aber kurz hinter die Absperrung gehen, zum Computer der Dame. Dann loggst du dich schnell auf ihrem Computer ein, gehst in dein Mailfach, und dann machen wir ein Screenshot vom dem Login-Bildschirm. Das gilt dann erst einmal als Studienbescheinigung. Den Rest schickst du dann per Fax nach.«
»Brauchen die kein Original? Ich kann das ja dann mitnehmen, wenn ich die Aufenthaltsgenehmigung abhole, oder?«
»Ist schon in Ordnung. Es wird wohl das letzte Mal sein, dass du diese Behörde von innen gesehen hast: Die Registrierungskarte wird dir per Post zugeschickt. Sollte in drei bis vier Tagen da sein. Ich hab einfach mal meine Adresse angegeben. Und beim nächsten Mal melden wir unser Kommen vorher elektronisch an, dann bekommen wir einen Timeslot und müssen uns nicht so reindrängeln.«
DIE EINTRITTSKARTE ZU ALLEM
Wer ein Konto eröffnen oder sich länger als 90 Tage in Korea aufhalten möchte, braucht eine waegugindeungnokjeung, eine Ausländerregistrierungskarte. Diese kleine Scheckkarte, auch unter ihrem englischen Namen alien registration card bekannt, trägt ein Foto und eine besondere Nummer, deren erste sechs Ziffern das Geburtsdatum darstellen und deren letzte sieben den Zugangscode zum koreanischen Leben vervollständigen. Schon die Registrierung auf vielen Internetseiten macht die Nummer erforderlich, ebenso wird sie bei praktisch jedem Vertragsschluss verlangt. Das System, das ebenso für die Inländer gilt, dort jedoch einfach Bürgerregistrierung heißt, steht heftig in der Kritik. Insbesondere, weil man durch einfaches Hacken der Nummer Zugang zu allen wichtigen Daten einer Person bekommt. Die Gefahr des gläsernen Bürgers ist auch in Korea mehr und mehr Thema.
Julia ist ganz baff. Deshalb gilt Deutschland also im Ausland als bürokratisch. Völlig undenkbar, dass sich in Deutschland ein Beamter in die Karten beziehungsweise seinen eigenen Computer schauen lassen würde, um einem Ausländer in der Ausländerbehörde zu helfen. Jetzt merkt auch sie, wie unbedacht ihr Kommentar gegenüber Sewon war; sie wird hier ja quasi auf Rosen gebettet! Doch bevor sie überhaupt ihr Glück richtig fassen kann, hat Sewon sie schon bei der Hand gefasst: »Los, los, jetzt gleich zur Bank und zum Immobilienbüro. Mit der vorläufigen Bestätigung können wir schon mal loslegen.«
Bei der Bank der nächste Schreck: Es ist 16:34 Uhr, die Bank hat seit 16:30 Uhr zu. Unter dem bereits halb geschlossenen Gitter lässt der Wachmann Julia und Sewon noch in die Filiale. Dort meckert niemand, dass sie zu spät seien. Stattdessen werden Julia noch ein Gerstentee und ein paar Bonbons angeboten. Sie hat den Pappbecher mit Tee noch gar nicht ausgetrunken, da hat sie schon ihre Kontoeröffnungsbestätigung in der Hand.
»Warum machen eigentlich Banken so früh zu, wenn der Rest des Landes im 24-Stunden-Betrieb ist?«, fragt Julia jetzt, da alles geregelt ist.
»Gute Frage. Habe ich mir noch nie gestellt. Du erweiterst heute richtig meinen Horizont.«
Weiter geht es, zurück zum Immobilienmakler. Der ist gerade nicht da, aber die Tür steht offen. Also setzen sich beide auf die Couch und warten. Sewon geht zum Heißwasserspender hinter dem Schreibtisch des Maklers und macht sich einen Instant-Kaffee. Dann nimmt er sich vom Schreibtisch noch einen Zettel und etwas zu schreiben und notiert die Eckdaten, die sie für die Wohnungssuche brauchen.
»Sollten wir nicht zumindest warten, bis er wiederkommt, bevor wir es uns hier so gemütlich machen?«, fragt Julia vorsichtig, als sie Sewons Machenschaften beobachtet. »Ach, Quatsch. Das ist schon in Ordnung. Hier in Korea jedenfalls«, antwortet Sewon beiläufig. Julia hat die Spitze verstanden.
Wenige Minuten später kommt der Makler tatsächlich wieder reingeschlurft. Ohne große Umschweife kommt Sewon zum Punkt und gibt Julias Vorstellungen von einer Wohnung wieder. Daraufhin zischt der Makler nur einmal kurz einen konzentrierten Luftstrahl zwischen den Zähnen hervor, was auf Koreanisch so viel heißt wie »Was hat diese dahergelaufene Westlerin eigentlich für Vorstellungen von der aktuellen Lage am Seouler Immobilienmarkt?«.
Schon nach einigen kurzen Besichtigungen in der Umgebung, die Julia zeigen, in welcher Liga man mit ihren finanziellen Möglichkeiten spielt, hat sie sich von ihren Wunschvorstellungen verabschiedet. Man einigt sich schließlich auf eine kleine Einzimmerwohnung, immerhin ganz in Uninähe und erst vor zwei Jahren gebaut.
»Das ist wichtig«, sagt Sewon, »das verstehst du, wenn du dir ältere Wohnungen anschaust. Koreaner pflegen ihre Schuhkartonwohnungen nicht sonderlich, musst du wissen. Das liegt unter anderem daran, dass es keine Endabnahme gibt. Besenreine Übergabe ist so ein Konzept, das habe ich erst in Deutschland gelernt.«
Julia ist inzwischen sowieso alles egal, Hauptsache, vier Wände für sich. Je kleiner die Wohnung, desto mehr spart sie bei der Einrichtung. Am Ende bezahlt sie für 20 Quadratmeter gut 350 Euro im Monat – und das bei einer Kaution von fast 2.000 Euro. Aigu!
»Sei froh«, sagt Sewon, »viele Koreaner müssen bis zur Ehe bei ihren Eltern wohnen, weil die Mieten so hoch sind. Oder sie ziehen in ein winziges hasukjib oder gosiwon an der Uni und fristen da ihr Dasein.«
»In ein was?«
»Ein hasukjip ist so was wie ein privates Wohnheim, meist in einem großen Einfamilienhaus. Eine Frau kümmert sich um den Haushalt und vermietet freie Zimmer an Studenten. Dort gibt es Essen und die Wäsche wird gewaschen, aber man ist auf Gedeih und Verderb vom Wohlwollen der Vermieterin abhängig und hat so gut wie keine Privatsphäre.«
»Na dann wohl doch lieber das Zweite.«
»Ein gosiwon? Wir nennen das oft auch einfach Wohnsarg, denn größer sind die Zimmer dort kaum. Es ist so eng, dass man nicht mal seinen Koffer drin unterbekommt. Die ganz modernen haben wenigstens ein eigenes Klo, aber es gibt auch noch welche, da ist so wenig Platz, dass man das Bett als Schreibtischstuhl nimmt. Und ein Fenster kostet auch extra. Ich glaub, ich muss dir nicht sagen, wie es da mit Privatsphäre aussieht: Man kann zwar abschließen, aber dann wird es oft so heiß, dass man kaum atmen kann. Im Endeffekt stehen doch überall die Türen auf und man bekommt buchstäblich jeden Furz des anderen mit.«
In diesem Moment ist Julia nicht nur sprachlos, sondern beschließt zudem, sich über ihre 20 Quadratmeter ehrlich und ernsthaft zu freuen und das Geld, das sie ausgegeben hat, nicht als rausgeschmissen zu betrachten, sondern als Investition in ihr Wohlergehen oder »welbing«, wie der Koreaner als Modewort sagt. Scherzhaft sagt sie noch zu Sewon, dass sie sich ja einen Untermieter in ihr Zimmer nehmen könnte, um Miete zu sparen. Doch diesen Versuch eines Witzes versteht selbst Sewon mit seiner Deutschlanderfahrung nicht.
JUNGES WOHNEN 1: WOLLUM
Einzimmerwohnungen heißen auf Koreanisch wollum, was die koreanische Aussprache von one room ist. Genau das ist es dann auch: Nur das Bad ist abgetrennt, die Küchenzeile steht meist auch noch in diesem einen Raum. Wohnen hat für junge Menschen allgemein einen ganz anderen Stellenwert in Korea als in Deutschland. Erst später, wenn man eine Familie gründet, zieht man in ein großes Apartment. Vorher spart man so viel wie möglich am Wohnen, um die hohe Kaution beziehungsweise den Kaufpreis für ein gutes Apartment zusammenzubekommen. Denn für junge Koreaner spielt sich das Leben ohnehin meist draußen ab.
Gwaenchana! – Passabel!
Es sieht zunächst aus, als wären Sewon und Julia recht unbedacht und ungeplant vorgegangen, aber viel mehr Planung ist gar nicht drin: Wer was verlangt und wer was unbedingt für etwas haben möchte, das ist zwar gesetzlich festgelegt, aber ebenso