Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house

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Franz Kafka: Sämtliche Werke - Knowledge house

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er nur bei Delamarche halbwegs geschützt war.

      „Sie haben doch am Abend die Demonstration unten gesehen? Nicht wahr? Wenn man die Verhältnisse nicht kennen würde, sollte man doch denken, dieser Kandidat, er heißt Lobter, werde doch irgendwelche Aussichten haben oder er komme doch wenigstens in Betracht, nicht?“

      „Ich verstehe von Politik nichts“, sagte Karl.

      „Das ist ein Fehler“, sagte der Student. „Aber abgesehen davon haben Sie doch Augen und Ohren. Der Mann hat doch zweifellos Freunde und Feinde gehabt, das kann Ihnen doch nicht entgangen sein. Und nun bedenken Sie, der Mann hat meiner Meinung nach nicht die geringsten Aussichten, gewählt zu werden. Ich weiß zufällig alles über ihn, es wohnt da bei uns einer, der ihn kennt. Er ist kein unfähiger Mensch und seinen politischen Ansichten und seiner politischen Vergangenheit nach wäre gerade er der passende Richter für den Bezirk. Aber kein Mensch denkt daran, daß er gewählt werden könnte, er wird so prachtvoll durchfallen, als man durchfallen kann, er wird für die Wahlkampagne seine paar Dollars hinausgeworfen haben, das wird alles sein.“

      Karl und der Student sahen einander ein Weilchen schweigend an. Der Student nickte lächelnd und drückte mit einer Hand die müden Augen.

      „Nun, werden Sie noch nicht schlafen gehen?“ fragte er dann, „ich muß ja auch wieder studieren. Sehen Sie, wieviel ich noch durchzuarbeiten habe.“ Und er blätterte ein halbes Buch rasch durch, um Karl einen Begriff von der Arbeit zu geben, die noch auf ihn wartete.

      „Dann also gute Nacht“, sagte Karl und verbeugte sich.

      „Kommen Sie doch einmal zu uns herüber“, sagte der Student, der schon wieder an seinem Tisch saß, „natürlich nur wenn Sie Lust haben. Sie werden hier immer große Gesellschaft finden. Von neun bis zehn Uhr abends habe ich auch für Sie Zeit.“

      „Sie raten mir also, bei Delamarche zu bleiben?“ fragte Karl.

      „Unbedingt“, sagte der Student und senkte schon den Kopf zu seinen Büchern. Es schien, als hätte gar nicht er das Wort gesagt; wie von einer Stimme gesprochen, die tiefer war als jene des Studenten, klang es noch in Karls Ohren nach. Langsam ging er zum Vorhang, warf noch einen Blick auf den Studenten, der jetzt ganz unbeweglich, von der großen Finsternis umgeben, in seinem Lichtschein saß, und schlüpfte ins Zimmer. Die vereinten Atemzüge der drei Schläfer empfingen ihn. Er suchte die Wand entlang das Kanapee, und als er es gefunden hatte, streckte er sich ruhig auf ihm aus, als sei es sein gewohntes Lager. Da ihm der Student, der den Delamarche und die hiesigen Verhältnisse genau kannte und überdies ein gebildeter Mann war, geraten hatte, hier zu bleiben, hatte er vorläufig keine Bedenken. So hohe Ziele wie der Student hatte er nicht, wer weiß, ob es ihm sogar zu Hause gelungen wäre, das Studium zu Ende zu führen, und wenn es zu Hause kaum möglich schien, so konnte niemand verlangen, daß er es hier im fremden Lande tue. Die Hoffnung aber, einen Posten zu finden, in dem er etwas leisten und für seine Leistungen anerkannt werden könnte, war gewiß größer, wenn er vorläufig die Dienerstelle bei Delamarche annahm und aus dieser Sicherheit heraus die günstige Gelegenheit abwartete. Es schienen sich ja in dieser Straße viele Büros mittleren und unteren Ranges zu befinden, die vielleicht im Falle des Bedarfes bei der Auswahl ihres Personals nicht gar zu wählerisch waren. Er wollte ja gern, wenn es sein mußte, Geschäftsdiener werden, aber schließlich war es ja gar nicht ausgeschlossen, daß er auch für reine Büroarbeit aufgenommen werden konnte und einstmals als Bürobeamter an seinem Schreibtisch sitzen und ohne Sorgen ein Weilchen lang aus dem offenen Fenster schauen würde wie jener Beamte, den er heute früh beim Durchmarsch durch die Höfe gesehen hatte. Beruhigend fiel ihm ein, als er die Augen schloß, daß er doch jung war und daß Delamarche ihn doch einmal freigeben würde; dieser Haushalt sah ja wirklich nicht danach aus, als sei er für die Ewigkeit gemacht. Wenn aber Karl einmal einen solchen Posten in einem Büro hätte, dann wollte er sich mit nichts anderem beschäftigen als mit seinen Büroarbeiten und nicht die Kräfte zersplittern wie der Student. Wenn es nötig sein sollte, wollte er auch die Nacht fürs Büro verwenden, was man ja im Beginn bei seiner geringen kaufmännischen Vorbildung sowieso von ihm verlangen würde. Er wollte nur an das Interesse des Geschäftes denken, dem er zu dienen hätte, und allen Arbeiten sich unterziehen, selbst solchen, die andere Bürobeamte als ihrer nicht würdig zurückweisen würden. Die guten Vorsätze drängten sich in seinem Kopf, als stehe sein künftiger Chef vor dem Kanapee und lese sie von seinem Gesicht ab.

      In solchen Gedanken schlief Karl ein und nur im ersten Halbschlaf störte ihn noch ein gewaltiges Seufzen Bruneldas, die scheinbar von schweren Träumen geplagt sich auf ihrem Lager wälzte.

      [ «« ]

      „Auf! Auf!“ rief Robinson, kaum daß Karl früh die Augen öffnete. Der Türvorhang war noch nicht weggezogen, aber man merkte an dem durch die Lücken einfallenden gleichmäßigen Sonnenlicht, wie spät am Vormittag es schon war. Robinson lief eilfertig mit besorgten Blicken hin und her, bald trug er ein Handtuch, bald einen Wasserkübel, bald Wäsche- und Kleidungsstücke und immer wenn er an Karl vorüberkam, suchte er ihn durch Kopfnicken zum Aufstehn aufzumuntern und zeigte durch Hochheben dessen was er gerade in der Hand hielt, wie er sich heute noch zum letzten mal für Karl plage, der natürlich am ersten Morgen von den Einzelheiten des Dienstes nichts verstehen konnte.

      Aber bald sah Karl, wen Robinson eigentlich bediente. In einem durch zwei Kästen vom übrigen Zimmer abgetrennten Raum, den Karl bisher noch nicht gesehen hatte, fand eine große Waschung statt. Man sah den Kopf Bruneldas, den freien Hals – das Haar war gerade ins Gesicht geschlagen – und den Ansatz ihres Nackens über den Kasten ragen und die hie und da gehobene Hand des Delamarche hielt einen weit herumspritzenden Badeschwamm, mit dem Brunelda gewaschen und gerieben wurde. Man hörte die kurzen Befehle des Delamarche die er dem Robinson erteilte, der nicht durch den jetzt verstellten eigentlichen Zugang des Raumes die Dinge reichte, sondern auf eine kleine Lücke zwischen einem Kasten und einer spanischen Wand angewiesen war, wobei er überdies bei jeder Handreichung den Arm weit ausstrecken und das Gesicht abgewendet halten mußte. „Das Handtuch! Das Handtuch“, rief Delamarche. Und kaum erschrak Robinson, der gerade unter dem Tisch etwas anderes suchte, über diesen Auftrag und zog den Kopf unter dem Tisch hervor, hieß es schon: „Wo bleibt das Wasser, zum Teufel“, und über dem Kasten erschien hochgereckt das wütende Gesicht des Delamarche. Alles was man sonst nach Karls Meinung zum Waschen und Anziehn nur einmal brauchte, wurde hier in jeder möglichen Reihenfolge viele Male verlangt und gebracht. Auf einem kleinen elektrischen Ofen stand immer ein Kübel mit Wasser zum Wärmen und immer wieder trug Robinson die schwere Last zwischen den weit auseinandergestellten Beinen zum Waschraum hin. Bei der Fülle seiner Arbeit war es zu verstehn, wenn er sich nicht immer genau an die Befehle hielt und einmal, als wieder ein Handtuch verlangt wurde einfach ein Hemd von der großen Schlafstätte in der Zimmermitte nahm und in einem großen Knäuel über die Kästen hinüberwarf.

      Aber auch Delamarche hatte schwere Arbeit und war vielleicht nur deshalb gegen Robinson so gereizt – in seiner Gereiztheit übersah er Karl glattwegs – weil er selbst Brunelda nicht zufrieden stellen konnte. „Ach“, schrie sie auf und selbst der sonst unbeteiligte Karl zuckte zusammen, „wie Du mir weh tust! Geh weg! Ich wasch mich lieber selbst, statt so zu leiden! Jetzt kann ich schon wieder den Arm nicht heben. Mir ist ganz übel wie Du mich drückst. Auf dem Rücken muß ich lauter blaue Flecke haben. Natürlich, Du wirst es mir nicht sagen. Warte, ich werde mich von Robinson anschauen lassen oder von unserem Kleinen. Nein, ich tu es ja nicht, aber sei nur ein wenig zarter. Nimm Rücksicht, Delamarche, aber das kann ich jeden Morgen wiederholen, Du nimmst und nimmst keine Rücksicht. Robinson“, rief sie dann plötzlich und schwenkte ein Spitzenhöschen über ihrem Kopf, „komm mir zur Hilfe, schau wie ich leide, diese Tortur nennt er Waschen, dieser Delamarche. Robinson, Robinson, wo bleibst Du, hast auch Du kein Herz?“ Karl machte schweigend dem Robinson ein Zeichen mit dem Finger, daß er doch hingehen möge, aber Robinson schüttelte mit gesenkten Augen überlegen den Kopf, er wußte es besser. „Was fällt Dir ein?“ sagte

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