Franz Kafka: Sämtliche Werke. Knowledge house

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Franz Kafka: Sämtliche Werke - Knowledge house

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an dem Tuch zu zupfen. Was mußte Brunelda leiden! Aus Rücksicht auf sie wollte sich Karl in keinen Streit mit dem Mann einlassen und fuhr in das nächste offene Tor ein, als sei dies sein Ziel gewesen. „Hier bin ich zuhause“, sagte er, „Dank für die Begleitung.“ Der Mann blieb erstaunt vor dem Tor stehn und sah Karl nach, der ruhig darangieng wenn es sein mußte den ganzen ersten Hof zu durchqueren. Der Mann konnte nicht mehr zweifeln, aber um seiner Bosheit ein letztes Mal zu genügen, ließ er seinen Wagen stehn, lief Karl auf den Fußspitzen nach und riß so stark an dem Tuch, daß er Bruneldas Gesicht fast entblößt hätte. „Damit Deine Äpfel Luft bekommen“, sagte er und lief zurück. Auch das nahm Karl noch hin, da es ihn endgültig von dem Mann befreite. Er führte dann den Wagen in einen Hofwinkel, wo einige große leere Kisten standen in deren Schutz er unter dem Tuch Brunelda einige beruhigende Worte sagen wollte. Aber er mußte lange auf sie einreden, denn sie war ganz in Tränen und flehte ihn allen Ernstes an, hier hinter den Kisten den ganzen Tag zu bleiben und erst in der Nacht weiterzufahren. Vielleicht hätte er allein sie gar nicht davon überzeugen können, wie verfehlt das gewesen wäre, als aber jemand am andern Ende des Kistenhaufens eine leere Kiste unter ungeheuerem im leeren Hof wiederhallenden Lärm zu Boden warf, erschrak sie so, daß sie ohne ein Wort mehr zu wagen, das Tuch über sich zog und wahrscheinlich glückselig war, als Karl kurz entschlossen sofort zu fahren begann.

      Die Straßen wurden jetzt zwar immer belebter, aber die Aufmerksamkeit, die der Wagen erregte, war nicht so groß wie Karl befürchtet hatte. Vielleicht wäre es überhaupt klüger gewesen, eine andere Zeit für den Transport zu wählen. Wenn eine solche Fahrt wieder nötig werden sollte, wollte sich Karl getrauen sie in der Mittagstunde auszuführen. Ohne schwerer belästigt worden zu sein, bog er endlich in die schmale dunkle Gasse ein, in der das Unternehmen Nr. 25 sich befand. Vor der Tür stand der schielende Verwalter mit der Uhr in der Hand. „Bist Du immer so unpünktlich?“ fragte er. „Es gab verschiedene Hindernisse“, sagte Karl. „Die gibt es bekanntlich immer“, sagte der Verwalter. „Hier im Haus gelten sie aber nicht. Merk Dir das!“ Auf solche Reden hörte Karl kaum mehr hin, jeder nützte seine Macht aus und beschimpfte den Niedrigen. War man einmal daran gewöhnt, klang es nicht anders als das regelmäßige Uhrenschlagen. Wohl aber erschreckte ihn, als er jetzt den Wagen in den Flur schob, der Schmutz, der hier herrschte und den er allerdings erwartet hatte. Es war, wenn man näher zusah, kein faßbarer Schmutz. Der Steinboden des Flurs war fast rein gekehrt, die Malerei der Wände nicht alt, die künstlichen Palmen nur wenig verstaubt, und doch war alles fettig und abstoßend, es war, als wäre von allem ein schlechter Gebrauch gemacht worden und als wäre keine Reinlichkeit mehr imstande, das wieder gut zu machen. Karl dachte gern, wenn er irgendwohin kam, darüber nach, was hier verbessert werden könne und welche Freude es sein müßte, sofort einzugreifen, ohne Rücksicht auf die vielleicht endlose Arbeit die es verursachen würde. Hier aber wußte er nicht, was zu tun wäre. Langsam nahm er das Tuch von Brunelda ab. „Willkommen Fräulein“, sagte der Verwalter geziert, es war kein Zweifel, daß Brunelda einen guten Eindruck auf ihn machte. Sobald Brunelda dies merkte, verstand sie das, wie Karl befriedigt sah, gleich auszunützen. Alle Angst der letzten Stunden verschwand. Sie

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      [ «« ]

      Karl sah an einer Straßenecke ein Plakat mit folgender Aufschrift: „Auf dem Rennplatz in Clayton wird heute von sechs Uhr früh bis Mitternacht Personal für das Teater in Oklahama aufgenommen! Das große Teater von Oklahama ruft Euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will melde sich! Wir sind das Teater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Wer sich für uns entschieden hat, den beglückwünschen wir gleich hier! Aber beeilt Euch, damit Ihr bis Mitternacht vorgelassen werdet! Um zwölf wird alles geschlossen und nicht mehr geöffnet! Verflucht sei wer uns nicht glaubt! Auf nach Clayton!“

      Es standen zwar viele Leute vor dem Plakat, aber es schien nicht viel Beifall zu finden. Es gab soviel Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr. Und dieses Plakat war noch unwahrscheinlicher als Plakate sonst zu sein pflegen. Vor allem aber hatte es einen großen Fehler, es stand kein Wort von der Bezahlung darin. Wäre sie auch nur ein wenig erwähnenswert gewesen, das Plakat hätte sie gewiß genannt; es hätte das Verlockendste nicht vergessen. Künstlerwerden wollte niemand, wohl aber wollte jeder für seine Arbeit bezahlt werden.

      Für Karl stand aber doch in dem Plakat eine große Verlockung. „Jeder war willkommen“, hieß es. Jeder, also auch Karl. Alles was er bisher getan hatte, war vergessen, niemand wollte ihm daraus einen Vorwurf machen. Er durfte sich zu einer Arbeit melden, die keine Schande war, zu der man vielmehr öffentlich einladen konnte! Und ebenso öffentlich wurde das Versprechen gegeben, daß man auch ihn annehmen würde. Er verlangte nichts besseres, er wollte endlich den Anfang einer anständigen Laufbahn finden und hier zeigte er sich vielleicht. Mochte alles Großsprecherische, was auf dem Plakate stand, eine Lüge sein, mochte das große Teater von Oklahama ein kleiner Wandercirkus sein, es wollte Leute aufnehmen, das war genügend. Karl las das Plakat nicht zum zweitenmale, suchte aber noch einmal den Satz: „Jeder ist willkommen“ hervor.

      Zuerst dachte er daran zufuß nach Clayton zu gehn, aber das wären drei Stunden angestrengten Marsches gewesen, und er wäre dann möglicherweise gerade zurechtgekommen, um zu erfahren, daß man schon alle verfügbaren Stellen besetzt hätte. Nach dem Plakat war allerdings die Zahl der Aufzunehmenden unbegrenzt, aber so waren immer alle derartigen Stellenangebote abgefaßt. Karl sah ein, daß er entweder auf die Stelle verzichten oder fahren mußte. Er überrechnete sein Geld, es hätte ohne diese Fahrt für acht Tage gereicht, er schob die kleinen Münzen auf der flachen Hand hin und her. Ein Herr der ihn beobachtet hatte, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: „Viel Glück zur Fahrt nach Clayton.“ Karl nickte stumm und rechnete weiter. Aber er entschloß sich bald, teilte das für die Fahrt notwendige Geld ab und lief zur Untergrundbahn.

      Als er in Clayton ausstieg, hörte er gleich den Lärm vieler Trompeten. Es war ein wirrer Lärm, die Trompeten waren nicht gegeneinander abgestimmt, es wurde rücksichtslos geblasen. Aber das störte Karl nicht, es bestätigte ihm vielmehr daß das Teater von Oklahama ein großes Unternehmen war. Aber als er aus dem Stationsgebäude trat und die ganze Anlage vor sich überblickte, sah er, daß alles noch größer war, als er nur irgendwie hatte denken können, und er begriff nicht wie ein Unternehmen nur zu dem Zweck um Personal zu erhalten derartige Aufwendungen machen konnte. Vor dem Eingang zum Rennplatz war ein langes niedriges Podium aufgebaut, auf dem hunderte Frauen als Engel gekleidet in weißen Tüchern mit großen Flügeln am Rücken auf langen goldglänzenden Trompeten bliesen. Sie waren aber nicht unmittelbar auf dem Podium, sondern jede stand auf einem Postament, das aber nicht zu sehen war, denn die langen wehenden Tücher der Engelkleidung hüllten es vollständig ein. Da nun die Postamente sehr hoch, wohl bis zwei Meter hoch waren, sahen die Gestalten der Frauen riesenhaft aus, nur ihre kleinen Köpfe störten ein wenig den Eindruck der Größe, auch ihr gelöstes Haar hieng zu kurz und fast lächerlich zwischen den großen Flügeln und an den Seiten hinab. Damit keine Einförmigkeit entstehe, hatte man Postamente in der verschiedensten Größe verwendet, es gab ganz niedrige Frauen, nicht weit über Lebensgröße, aber neben ihnen schwangen sich andere Frauen in solche Höhe hinauf, daß man sie beim leichtesten Windstoß in Gefahr glaubte. Und nun bliesen alle diese Frauen.

      Es gab nicht viele Zuhörer. Klein im Vergleich zu den großen Gestalten giengen etwa zehn Burschen vor dem Podium hin und her und blickten zu den Frauen hinauf. Sie zeigten einander diese oder jene, sie schienen aber nicht die Absicht zu haben einzutreten und sich aufnehmen zu lassen. Nur ein einziger älterer Mann war zu sehn, er stand ein wenig abseits. Er hatte gleich auch seine Frau und ein Kind im Kinderwagen mitgebracht. Die Frau hielt mit der einen Hand den Wagen, mit der andern stützte sie sich auf die Schulter des Mannes. Sie bewunderten zwar das Schauspiel, aber man erkannte doch, daß sie enttäuscht waren. Sie hatten wohl auch erwartet eine Arbeitsgelegenheit zu finden, dieses Trompetenblasen aber beirrte sie.

      Karl war in der gleichen Lage.

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