Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg

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und dem sonst so befreundeten Zentrum?

      Mit ganz unbedeutenden Zugeständnissen hätte Bülow das Zentrum befriedigen können. Aber der hohen Reichsbürokratie war selbst die geringe Bindung an das Parlament, wie sie durch die Stellung des Zentrums im Reichstag sich ergab, nicht erwünscht. So benutzte Bülow die Gelegenheit, um in einer »nationalen« Frage den Kampf mit Zentrum und Sozialdemokraten aufzunehmen. Der Reichstag wurde aufgelöst. Die konservativen Gruppen, die Nationalliberalen und die Fortschrittler vereinigten sich als »Block«, um bei den Wahlen eine Mehrheit ohne das Zentrum zustande zu bringen. Bei den Wahlen 1907 behauptete sich das Zentrum. Die Sozialdemokraten dagegen verloren die Hälfte ihrer Mandate. Die Sozialdemokraten hielten zwar ihre Stimmenzahl von 1903, aber die Gegner zogen aus den politisch Indifferenten solche Verstärkungen, daß die Sozialdemokraten zirka vierzig Mandate einbüßten. Im neuen Reichstag hatten Konservative und Liberale zusammen eine sichere Mehrheit.

      Wilhelm II. und Bülow waren durch eine Verkettung günstiger Umstände zur Kartellpolitik Bismarcks von 1887 zurückgekehrt. Bülows Front war sogar noch stärker. Bismarck hatte im liberalen Lager nur die Nationalliberalen auf seiner Seite, während Bülow in seinem Block auch auf die Fortschrittler rechnen konnte. Das gesamte liberale Bürgertum hatte sich der Regierung angeschlossen, nur weil man die Berufung Dernburgs und den Bruch mit dem Zentrum für den Beginn einer neuen Periode deutscher Politik hielt. Es kam jetzt alles darauf an, diese Hoffnung des Bürgertums nicht zu enttäuschen. Aber Bülow, der kein Staatsmann, sondern nur ein geschickter Taktiker war, dachte an keine ernsthafte Umgestaltung der deutschen Verfassung. Da gab das Schicksal dem Fürsten Bülow und seinen Blockparteien noch eine beispiellose Gelegenheit, Deutschland zu reformieren.

      Das Jahr 1908 brachte die »Daily-Telegraph«-Affäre14. Wilhelm II. hatte in das genannte englische Blatt ein Interview lanciert, worin er seine Freundschaft für England beteuerte. Der Artikel enthielt, neben vielen anderen Betrachtungen, die folgenden Behauptungen des Kaisers: Die deutsche Flotte werde gar nicht gegen England, sondern gegen Japan gebaut. Als während des Burenkrieges Rußland und Frankreich an Deutschland die geheime Anregung richteten, gemeinsam gegen England vorzugehen, habe Wilhelm II. diesen Vorschlag abgelehnt und die ganze Angelegenheit in einem Brief der Königin Victoria von England mitgeteilt. Ja, als die englische Armee in Südafrika in gefährlicher Lage war, habe er, zusammen mit dem deutschen Generalstab, einen Kriegsplan ausgearbeitet, wie die Buren am besten zu schlagen seien. Der Kriegsplan wäre ebenfalls nach London gegangen und entspreche ungefähr den Operationen, mit denen später Lord Roberts die Buren besiegte. So habe er, Wilhelm II., gehandelt, und dennoch gelte er als Feind Englands.

      Bevor Wilhelm II. den Artikel an den »Daily Telegraph« abgehen ließ, schickte er den Text dem Fürsten Bülow mit dem Auftrag, den Artikel durchzusehen und nötigenfalls Änderungen vorzunehmen. Bülow hat, wie er später versicherte, im Drang der Geschäfte den Artikel nicht selbst gelesen, sondern dem Auswärtigen Amt zur Prüfung übersandt. Das Auswärtige Amt schlug einige kleine Änderungen vor, war aber sonst mit der Veröffentlichung einverstanden. In diesem Sinne berichtete Bülow an den Kaiser, und der Artikel erschien mit den Änderungen des Auswärtigen Amtes am 28. Oktober in London.

      Es war ein starkes Stück, daß das Auswärtige Amt einer derartig blamablen Veröffentlichung keinen Widerstand entgegensetzte. Das Auswärtige Amt hat nicht einmal die phantastische Geschichte von dem angeblichen Kriegsplan des Kaisers korrigiert, obwohl es nach seinen eigenen Akten dazu imstande gewesen wäre. In Wirklichkeit besaß das Auswärtige Amt eine Abschrift der Aufzeichnung, die Wilhelm II. am 4. Februar 1900 dem Prinzen von Wales, dem späteren König Eduard VII., übersandt hatte. Das waren »22 Aphorismen über den Krieg in Transvaal« aus der Feder Wilhelms II., gänzlich harmlose allgemeine Betrachtungen über die Kriegslage, aus denen der englische Generalstab nicht den mindesten Nutzen ziehen konnte. Es ist auch keine Mitarbeit des deutschen Generalstabs an den »Aphorismen« Wilhelms II. zu erweisen. Wilhelm II. hat also 1908, um seine England-Freundschaft zu beweisen, einen groben Gedächtnisfehler begangen. Der Respekt vor einem kaiserlichen Konzept war damals im Auswärtigen Amt so groß, daß die Beamten ernsthafte Änderungen nicht wagten. Oder waren sie politisch so ahnungslos, daß sie die Tragweite der Veröffentlichung nicht ermessen konnten? Daß Fürst Bülow den Artikel ungelesen weitergab, war eine Leichtfertigkeit; denn er mußte die Eigenart seines Herrn kennen. Die ganze »Daily-Telegraph«-Affäre ist ein klassisches Beispiel für die Art, wie Deutschland unter Wilhelm II. regiert wurde.

      Als das Interview veröffentlicht wurde, entstand im deutschen Volke, von den Konservativen bis zu den Sozialdemokraten, eine beispiellose Entrüstung über den Kaiser. Der Mann, der autokratisch die Außenpolitik Deutschlands machte, hatte ohne jeden Grund Japan provoziert. Er hatte allen Mächten die Neigung genommen, an Deutschland irgendeine vertrauliche Mitteilung zu richten, und er rühmte sich endlich, einem kleinen, mit Deutschland befreundeten Volk durch seinen famosen »Kriegsplan« in den Rücken gefallen zu sein. Es zog die schwerste Krise über die deutsche Monarchie herauf, die vor 1918 eingetreten ist. Die Reichstagsdebatte am 10. und 11. November brachte eine Einheitsfront gegen den Kaiser. Fürst Bülow wagte es nicht, den Kaiser zu verteidigen, sondern schloß sich dem Wunsche nach größerer Zurückhaltung des Herrschers an.

      Am 17. November hatte Bülow eine Audienz beim Kaiser. Wilhelm II. war über den Kanzler tief erbittert und menschlich mit Recht. Denn er hatte den Unglücksartikel dem Reichskanzler zur Prüfung übersandt und erst veröffentlichen lassen, als Bülow zugestimmt hatte. Damit hatte Bülow die verfassungsmäßige Verantwortung für das »Daily-Telegraph«-Interview. Ob Bülow den Text selbst gelesen hatte oder nicht, war gleichgültig. Trotzdem wagte Wilhelm II. angesichts der Volksstimmung nicht, Bülow zu entlassen. Sondern das Resultat der Unterredung zwischen Kaiser und Kanzler vom 17. November war eine Erklärung im »Reichsanzeiger«, worin Wilhelm II. versicherte, er wolle die »Stetigkeit der Politik des Reiches unter Wahrung der verfassungsmäßigen Verantwortlichkeiten sichern«. Das klang wie ein Verzicht auf das persönliche Regiment.

      Jetzt oder nie war die Möglichkeit einer Reform der Bismarckschen Verfassung. Die Außenpolitik des Reichs mußte in die Hand eines dem Reichstag verantwortlichen Reichsaußenministers gelegt und darüber hinaus ein kollegiales, dem Parlament verantwortliches Reichsministerium geschaffen werden. Wenn Bülow und sein Block geschlossen vorgingen, war alles zu erreichen: Der Kaiser war so im Gedränge wie nie einer seiner Vorgänger seit 1848. Aber ohne die Konservativen war damals eine Aktion zur Parlamentarisierung und zur Einschränkung der kaiserlichen Macht nicht möglich. Die Konservativen hätten sich aufraffen müssen, freiwillig einen Teil ihrer Machtpositionen an das Bürgertum abzugeben. Es hätte ein konservativ-liberales Reichsministerium und eine konservativ-liberale preußische Regierung entstehen müssen. Wäre so der Bülow-Block aus einer parlamentarischen, taktischen Kombination zu einer organischen Zusammenfassung der Hauptkräfte des Reichs geworden, so war noch in elfter Stunde der Grundfehler der Bismarckschen Verfassung zu korrigieren.

      Englische Konservative haben in ähnlichen Situationen so gehandelt. Die preußischen Konservativen zeigten damals dieselbe Engherzigkeit, mit der sie gegen Bismarck gekämpft hatten. Von ihren historischen Privilegien wollten sie nichts, absolut nichts aufgeben. Der Fortbestand des Bülow-Blocks erfüllte sie mit wachsendem Unbehagen. Schon war die preußische Wahlrechtsfrage wieder aufgetaucht. Jede noch so maßvolle Änderung des preußischen Wahlrechts mußte auf Kosten der Agrarkonservativen gehen. Und wer bürgte dafür, daß die Liberalen nicht immer begehrlicher wurden, wenn sie sich als unentbehrlichen Bestandteil der Regierungsmehrheit empfanden? Die natürliche Stütze der Konservativen im Kampfe gegen die »Demokratie« und für das alte Preußen war aber trotz allem die ungeschwächte Königsmacht. So haben die Konservativen die Kritik Wilhelms II. in der »Daily-Telegraph«-Angelegenheit mit der Versicherung verbunden, daß sie eine Parlamentarisierung Deutschlands nach wie vor ablehnen15.

      So verpuffte die gewaltige Volksbewegung gegen den Kaiser ergebnislos. Denn eine Umgestaltung des Bismarckschen Deutschlands auf dem Wege der Reform und Evolution war nur mit den Konservativen möglich. Lehnten die Konservativen jede Verfassungsänderung ab, so blieb nur der Weg der

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