Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik. Arthur Rosenberg

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Entstehung und Geschichte der Weimarer Republik - Arthur Rosenberg

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Abgeordneten damals unter dem Druck einer gewaltigen historischen Tradition standen, von der sie sich nicht befreien konnten. Friedrich Engels freilich hatte der deutschen Sozialdemokratie eine stärkere Selbständigkeit zugetraut. Nach seinem Rat hätte die Partei beim Kriegsausbruch verlangen müssen, daß der Krieg mit revolutionären Mitteln geführt werde. Dazu rechnete Engels in erster Linie die allgemeine Volksbewaffnung: nicht nur die Einberufung aller ausgebildeten Männer, sondern auch die sofortige Einziehung, Bewaffnung und notdürftige Ausbildung aller übrigen Leute im wehrpflichtigen Alter. So hätte jeder Arbeiter sofort sein Gewehr in der Hand gehabt, und die Gewalt der herrschenden Aristokratie wäre von selbst auch ohne Volksaufstand verschwunden. Gestützt auf die bewaffneten Massen hätte die Sozialdemokratie nach Meinung von Engels die Kontrolle über die Innen- und Außenpolitik der Regierung erzwingen können. Eine Probe darauf, ob das Rezept von Engels durchführbar war, wurde nicht gemacht; denn der sozialdemokratische Parteivorstand von 1914 machte keinen Versuch, der kaiserlichen Regierung seinen Willen aufzuzwingen und die Kriegführung in die Hand zu nehmen. Das liberale Bürgertum blieb ebenso passiv. Selbstverständlich hätte sich der absolute Burgfrieden im Sinne des 4. August nur bei einer ganz kurzen Dauer des Krieges aufrechterhalten lassen. Als der deutsche Generalstab dem Volke den erhofften schnellen Sieg nicht brachte, mußten die politischen Kämpfe der Parteien und Klassen von neuem entbrennen.

      Das deutsche Heer von 1914 vereinigte in sich alle Eigenschaften, aus denen sich die Leistungen des deutschen Volkes auf dem Gebiet der Industrie, Technik und Organisation erklären. Die Schattenseite des Heeres war die Überspannung der militärischen Disziplin, wie sie sich aus der Herrschaft der preußischen Aristokratie ergab. Das höhere Offizierskorps umfaßte eine bedeutende Zahl von Männern, die vollkommen die umfangreiche und verwickelte militärische Wissenschaft der Gegenwart beherrschten und allen Anforderungen der Truppenführung gewachsen waren. Die entscheidende Frage war, ob auch überall die richtigen Männer auf dem richtigen Posten standen und ob die Erfahrung und Leistungsfähigkeit, die in der Armee steckten, auch wirklich ausgenutzt wurden. Die Besetzung der höchsten militärischen Kommandostellen ist niemals eine rein militärische Fachangelegenheit, sondern sie hängt von den politischen Machtverhältnissen des Staates ab. Es ist niemals möglich, auf Grund der Friedensleistungen mit unbedingter Sicherheit zu beurteilen, wie ein General sich im Kriege bewähren wird. Hier sind Irrtümer auch bei der besten und sorgfältigsten Auslese unvermeidlich. Es kommt nur darauf an, wie schnell solche Irrtümer im Kriege erkannt und korrigiert werden.

      Jede Armee hat in sich eine gewisse militärische öffentliche Meinung, die über die bekannteren Generäle urteilt. In den bürgerlichen Demokratien pflegen die verantwortlichen Staatsmänner sehr sorgfältig auf die Stimme dieser öffentlichen Meinung des Heeres zu hören und demgemäß das Armeeoberkommando zusammenzusetzen. Diese Form der Führerauslese hat sich im modernen Frankreich und England ausgezeichnet bewährt. Zur Zeit des Kriegsausbruches hatte die französische Armee den denkbar besten Führer in General Joffre. Das an die Kolonialkriege gewöhnte englische Offizierskorps hat sich erst langsam den Verhältnissen des großen europäischen Krieges angepaßt. Aber es ist nicht zu leugnen, daß zu jeder Zeit des Weltkrieges die englische Oberste Heeresleitung das Beste an Kräften vereinigte, was im britischen Offizierskorps vorhanden war.

      Nach der Bismarckschen Verfassung dagegen lag die Ernennung des Generalstabschefs ausschließlich in der Hand des Kaisers. Wenn ein Regent die feine Menschenkenntnis und das erprobte militärische Urteil Wilhelms I. hatte, kamen tatsächlich die besten Männer in die Führung. Der preußische Generalstab verdankte seine Leistungen von 1866/71 nicht einer mystischen militärischen Begabung des Preußentums, sondern der Tatsache, daß Wilhelm I. den alten General Moltke herausfand und ihm die Armeeführung übertrug. Unter Wilhelm II. war die Besetzung der militärischen Kommandostellen eine Sache des Zufalls. Bestimmend war die eigene Meinung des Kaisers, die ohne tiefere Personen- und Sachkenntnis sich oft nach Äußerlichkeiten bildete, ferner waren es die Vorschläge des Militärkabinetts, die von allen möglichen persönlichen und höfischen Einflüssen getragen waren. So kam es, daß zu Kriegsbeginn der jüngere General von Moltke als Chef des Generalstabs das deutsche Heer zu führen hatte.

      General von Moltke war ein hochgebildeter Mann mit einem für einen hohen Offizier ungewöhnlichen, weichen und empfindsamen Charakter. Er litt im Kriege unendlich unter dem Blutvergießen, das die von ihm befohlenen Schlachten verursachten. Aber sein körperlicher und Nervenzustand war 1914 so schlecht, daß Moltke schon längst hätte pensioniert werden müssen. Bei jeder anderen Verfassungsform hätte die politische Leitung den Zustand des Generalstabschefs bemerkt und ihn in schonender Weise rechtzeitig entfernt. Man kann sich nicht denken, daß in Staaten wie Frankreich, England, Amerika und Sowjetrußland ein Mann wie Moltke die Armee in den Krieg hätte führen dürfen. Wilhelm II. beachtete das alles nicht und ließ Moltke den Oberbefehl. So hat die Bismarcksche Verfassung dahin geführt, daß die deutsche Politik im August 1914 von Bethmann-Hollweg und das deutsche Heer vom jüngeren Moltke geleitet wurde.

      Für die Operationen legte General von Moltke den Schlieffenschen Plan zugrunde2. Nur eine schwache deutsche Armee wurde in Ostpreußen aufgestellt, um die Österreicher bei der Abwehr der Russen zu unterstützen. Die Hauptmasse des deutschen Heeres marschierte im Westen auf, um durch Belgien hindurch in einer gewaltigen Umfassung von Norden her die feindlichen Streitkräfte zu erdrücken. Planmäßig mußte ungefähr in sechs Wochen der entscheidende Sieg im Westen erfochten sein, damit nachher das deutsche Heer den Russen entgegentreten konnte. Zahlenmäßig waren die Kräfte an der Westfront ungefähr gleich, da die Franzosen im ersten Abschnitt des Krieges nur von 100 000 Engländern und von ein paar belgischen Divisionen unterstützt wurden. Soweit richtete sich Moltke nach den Vorschriften Schlieffens. Aber er verdarb den Plan Schlieffens von vornherein dadurch, daß er ungefähr ein Drittel des deutschen Heeres in Elsaß-Lothringen stehen ließ, wo die Truppen für die Entscheidung nichts nützen konnten. Demgemäß war der Umfassungsflügel in Belgien viel zu schwach. Im Geiste von Schlieffen hätte in Elsaß-Lothringen nur eine Mindestzahl deutscher Truppen bleiben müssen. Wären die Franzosen hier eingebrochen, ja sogar über den Rhein gelangt, um so schlimmer für sie: Die französische Rheinarmee hätte nur gefehlt, während die Entscheidungsschlacht irgendwo zwischen Lille und Paris geliefert wurde. Sie hätte umkehren müssen und wäre der siegreichen deutschen Hauptarmee in die Arme gelaufen.

      Es scheint, daß Moltke sich bei der Veränderung des Schlieffenschen Planes von politischen Erwägungen leiten ließ. Er wollte dem deutschen Lande um jeden Preis eine größere feindliche Invasion ersparen. Das Prestige von Kaiser und Armee sollte nicht darunter leiden, daß der Feind ins Land kam. So erklärt sich offenbar die militärisch verfehlte Truppenanhäufung in Elsaß-Lothringen sowie die Panikstimmung im Großen Hauptquartier, als später die Nachricht vom Russeneinfall in Ostpreußen eintraf. Diese innere Schwäche hat die französische Oberste Heeresleitung nicht gehabt. General Joffre hat sich in seinen Plänen durch die deutsche Invasion nie beirren lassen.

      Als der Aufmarsch im Westen vollendet war, kam es in Lothringen und vor Verdun zu verlustreichen Schlachten, bei denen die deutschen Armeen etwas Raum gewannen, ohne Wesentliches zu erreichen. Dagegen zeigte im Norden trotz aller Verstümmelungen der Schlieffensche Plan seine sieghafte Kraft. Die deutschen Truppen umfaßten, über Lüttich und Brüssel vorbrechend, den Nordflügel der Ententeheere. So brachte die große Schlacht bei Charleroi einen deutschen Sieg. Die Franzosen und Engländer zogen sich schleunigst nach Süden zurück, um aus der Umklammerung herauszukommen. Die Reste des belgischen Heeres gingen in die Festung Antwerpen. Waren die deutschen Armeen in Belgien so stark gewesen, wie der ursprüngliche Plan Schlieffens es erforderte, so hätte die Umfassung schon Ende August den entscheidenden Sieg bringen können. So mußte man sich mit der Verfolgung des auf Paris weichenden Feindes begnügen.

      General Joffre überblickte die Situation mit vollkommener Klarheit. Die Gefahr für die Ententeheere lag in der ständigen Umfassung ihres linken Flügels durch die Deutschen. Diese Gefahr mußte erst einmal ausgeschaltet und damit der Schlieffensche Plan vereitelt werden. Joffre nahm ohne Rücksicht auf alle Stimmungsmomente seine Truppen bis weit südlich von Paris zurück. Der deutsche rechte Umfassungsflügel war zahlenmäßig

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