MUSIK-KONZEPTE 192-193: Sándor Veress. Группа авторов
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Der Dank des Herausgebers gilt allen beteiligten Autoren und Autorinnen, zuallererst aber Bodo Bischoff, der die Anregung zu diesem Band gegeben und ganz wesentlich zu dessen Verwirklichung gemeinsam mit Thomas Gerlich, Andreas Traub und Claudio Veress beigetragen hat. Zu danken gilt es der Paul Sacher Stiftung, namentlich Heidy Zimmermann (Kuratorin des Sándor Veress Nachlasses) und Evelyne Diendorf (Bibliothekarin) für die Herstellung und Freigabe der Abbildungen und Balász Mikusi (Széchényi-Nationalbibliothek Budapest), der zahlreiche, bislang unbekannte biografische und kompositorische Quellen zugänglich gemacht hat. Dank gebührt nicht zuletzt Thomas Schipperges für die Ausrichtung des Internationalen Sándor Veress Symposions 2017 am Musikwissenschaftlichen Institut der Universität Tübingen, auf das einige Beiträge des vorliegenden Bandes zurückgehen.
Ulrich Tadday
I Zur Biografie von Sándor Veress
Abbildung: Sándor Veress an Enid Veress-Blake, Rom, 1. Mai 1942, S. 2 (PSS, Sammlung Sándor Veress)
Die Seite ist ein repräsentatives Beispiel für das Zusammentreffen unterschiedlichster Inhaltsebenen in den großmehrheitlich sehr ausführlichen Rom-Briefen Veress’ an seine Frau in Budapest. Die Skizzen im »P. S.« sind eine liebevoll-humorige Erinnerung an die Adressatin, sich beim Schuhmachermeister unweit des Pester Brückenkopfs der Franz-Joseph-Brücke (heute: Freiheitsbrücke, Szabadság híd) nach dem Fortgang einer in Auftrag gegebenen Schuhreparatur zu erkundigen.
CLAUDIO VERESS
Auswandern – wohin, wann, wie?
Zur Vorgeschichte von Sándor Veress’ Emigration
»Es ist ein Fluch, in interessanten Zeiten zu leben.«
Hannah Arendt
Die Biografik zu Sándor Veress sieht sich mit einer komplexen Situation konfrontiert: Einerseits kann sie sich auf autorisierte Darstellungen stützen, die v. a. im letzten Lebensjahrzehnt des Komponisten, eröffnet durch ein im Umfeld seines 75. Geburtstages (1. Februar 1982) neu erwachendes ungarisches Interesse an seiner Person und seinem Werk, erschienen sind.1 Andererseits kann und muss sie von der Tatsache Gebrauch machen, dass Veress spät im Leben beschlossen hatte, seinen gesamten – nicht nur kompositorischen – Nachlass der Basler Paul Sacher Stiftung (PSS) zu Forschungszwecken zur Verfügung zu stellen. Und in diesem ausgesprochen reichhaltigen Material findet sich, wie nicht anders zu erwarten, etliches, das, nimmt man die erwähnten Selbstzeugnis-gestützten Publikationen zum Maßstab, Züge einer inoffiziellen Biografie erkennen lässt, deren Rekonstruktion durch nicht zuletzt politisch unwegsames Gelände führt. Die Herausforderung an Spätgeborene besteht darin, sich zu dieser Sachlage so objektiv, aber auch so besonnen wie möglich zu verhalten.
Aufgrund der schieren Tatsache der Emigration von Ost nach West in weltpolitisch bewegtester Zeit und der selektiven Hinweise, die Veress immerhin selbst gegeben hatte, versteht es sich fast von selbst, dass sich mit schon bald nach seinem Tod am 4. März 1992 einsetzender Quellensichtung biografische und schaffensbiografische Fragestellungen herausbildeten, die zu Re-Lektüren v. a. des Zeitraums 1939–49 führten. Der vorliegende Beitrag knüpft an diese Bemühungen an, ein möglichst differenziertes Bild des wohl kritischsten Jahrzehnts in Veress’ Biografie zu gewinnen, indem er einerseits Ergebnisse aus Recherchen resümiert, die durch neuere Akquisitionen der Budapester Nationalbibliothek (Országos Széchényi Könyvtár, OSZK) aus dem Nachlass Endre Veress’, des Bruders des Komponisten, und kürzliche Funde im Budapester Nationalarchiv (Magyar Nemzeti Levéltár, MNL) möglich wurden, andererseits Korrespondenz-Bestände der PSS Basel neu berücksichtigt, von denen man bisher nur eine vage Vorstellung hatte.2 Der Focus wird dabei auf fünf thematischen Hauptkomplexen liegen: Rom 1940/41 und 1942, Budapest 1945, London 1947, schließlich Rom 1949. Der Anspruch kann im Rahmen des hier zur Verfügung stehenden Raums selbstredend nur sehr bescheiden sein. Gewonnen wäre schon einiges, wenn die gegebenen Hinweise geeignet wären, zu vertiefenden Untersuchungen anzuregen.
I Rom 1940/41
Veress war im November 1939, knappe drei Monate nach Kriegsausbruch, aus London, wo er fast ein Jahr zusammen mit seiner Freundin und späteren Ehefrau, der aus Bombay im damaligen Britisch-Indien gebürtigen Pianistin Enid Blake, verbracht hatte und wo sich vielversprechende Verbindungen zur Musikabteilung der BBC und zum Verlagshaus Boosey & Hawkes ergeben hatten3, nach Ungarn zurückgekehrt – von außen und im Nachhinein betrachtet wider alle kalkulierende Vernunft, aber mit der Vision einer humaneren Gesellschaft vor Augen, zu deren Verwirklichung auf ungarischem Boden er seinen Beitrag leisten wollte.4 Das Projekt – gleichzeitig ein persönlicher Lebensentwurf – lässt sich mit vier Stichworten charakterisieren: Musikethnografie, Musikpädagogik, Klavier, Komposition »guter Musik«5. Dem erstgenannten Anliegen konnte er immerhin in einer staatlich geförderten Position nachleben – einer schon 1936 angetretenen Assistenzstelle unter Bartóks, später Kodálys Federführung im großen Anthologie-Projekt der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, das ab 1951 zur Edition des Corpus Musicae Popularis Hungaricae führen sollte.6 Ein existenzsicherndes Lehramt, vorzugsweise an der Liszt-Akademie, lag aber noch in weiter Ferne. Und was die Komposition guter Musik angeht, lag zwar eine respektable, wenngleich weitgehend unpublizierte Reihe von Partituren kleiner und mittlerer Besetzungsgrößen – darunter etliche unter Beteiligung des Klaviers – vor, noch nicht aber das öffentlichkeitswirksame Werk sinfonischen Anspruchs. Die Komposition der 1. Sinfonie kurz nach der Rückkehr aus England liegt in der Logik dieser Konstellation.7 Indem Veress sie als Hungarian Greetings zum 2600-Jahr-Jubiläum des japanischen Imperiums einreichte, lief er freilich Gefahr, sein erstes groß besetztes Werk der politischen Instrumentalisierung durch die aktuell dominierenden Mächte auszuliefern. Dieses Risiko scheint in seiner Einschätzung weniger schwer gewogen zu haben als der stark gefühlte – nicht zuletzt familiär kultivierte – Imperativ, von seiner Kunst auch materiell existieren zu sollen.
Ein ähnlich dimensioniertes, jedoch in ganz anderem Gattungsfeld angesiedeltes Projekt eröffnete sich Veress Ende 1940 durch seine auf das Jahr 1937 zurückgehende Freundschaft mit dem Choreografen, Tänzer und Regisseur Aurél von Milloss. Dieser hatte 1938/39 in Zusammenarbeit mit Béla Paulini und dessen Truppe Magyar Csupajáték Veress’ Kammer-Ballett A Csodafurulya (Die Wunderschalmei) in je ca. 30 Vorstellungen in Budapest und London zur Aufführung gebracht und für November 1940 weitere Aufführungen des Stücks am Teatro delle Arti zu Rom – seinem Lebensmittelpunkt seit 1937 – unter der musikalischen Leitung von Fernando Previtali aufs Programm gesetzt.8 Im Anschluss an die dritte Aufführung vom 24.11.1940, die Veress ursprünglich selbst hätte leiten sollen, zu der er aber offenbar erst im letzten Moment hatte anreisen können9, wollten