Reisen und Entdeckungen im südlichen Afrika. David Livingstone
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DAVID LIVINGSTONE – LEBEN UND WERK
Nur eine schmucklose Platte im Boden der Westminster-Abtei in London kennzeichnet das Grab des Afrikaforschers David Livingstone. Und doch hat Großbritannien ihm damit höchste Ehren erwiesen; denn er ruht hier im Pantheon des Britischen Reiches an der Seite seiner Könige. Eine solche Auszeichnung wurde – bis auf Kolumbus – keinem anderen Entdecker zuteil. Livingstone hat sie verdient. Wenn er als der bedeutendste Afrikaforscher und als einer der größten Entdecker überhaupt bezeichnet wird, so sind solche Superlative durchaus berechtigt. Merkwürdigerweise sind seine Leistungen aber keineswegs allgemein bekannt, erreichten seine Reisewerke bei Weitem nicht die Auflagen und den Popularitätsgrad anderer Klassiker der Entdeckungsliteratur und erinnert sich ein breites Publikum heute an seinen Namen nur noch im Zusammenhang mit der sogenannten Errettung durch Henry Morton Stanley.
Dabei ist nicht nur die wissenschaftliche Leistung des Forschers höchst beachtenswert, sondern auch sein Lebensweg von der frühesten Jugend bis zu seinem einsamen Tod in Zentralafrika. Es ist ein Weg von seltener Geradlinigkeit und ohne Kompromisse, der von einem armseligen Haushalt in Schottland bis zur letzten Ruhestätte in der Westminster-Abtei führt.
Livingstone wurde am 29. März 1813 in Blantyre in der Nähe von Glasgow in Schottland geboren. Er stammte aus einer alten Bauernfamilie, doch hatte schon der Großvater seinen kleinen Besitz verkauft und sich in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen Arbeit in einer der damals gerade aufblühenden Baumwollspinnereien gesucht. Der Vater verdiente sein Geld als Teekrämer, die Mutter musste mehr schlecht als recht die Kinder versorgen. Kein Wunder also, dass David schon mit zehn Jahren in die Fabrik geschickt wurde, um durch seinen kleinen Verdienst zur Verminderung der familiären Sorgen beizutragen. Livingstone berichtete in der Einleitung zu seinem nachfolgend abgedruckten ersten großen Reisewerk selbst über diese harten Jahre. Seine Erinnerungen sind dabei etwa vergleichbar mit den Autobiografien Heinrich Schliemanns oder Maxim Gorkis. Lesehunger und Lernbegier des Jungen beeindruckten tief.
Mit einem Teil des ersten Wochenverdienstes kaufte er sich ein Lehrbuch der lateinischen Sprache. Am Abend nach der Arbeit besuchte er von acht bis zehn Uhr eine Feierabendschule, die von den Fabrikbesitzern eingerichtet worden war. Dann studierte er daheim bis Mitternacht weiter, und oft riss ihm, wie er erzählt, die Mutter das Buch aus den Händen, weil er um sechs Uhr früh wieder mit der Arbeit beginnen musste. Nebenbei verschlang er in seiner Lesewut alle Bücher, die er nur auftreiben konnte, vor allem naturwissenschaftliche Werke und Reiseliteratur. Weniger interessierten ihn theologische Werke und religiöse Erbauungsbücher, sehr zum Missfallen des Vaters, der seine Ansicht von der Notwendigkeit solcher Lektüre sogar mit dem Stock durchzusetzen suchte. Dann aber fielen ihm Thomas Dicks »Philosophie der Religion« und »Philosophie eines künftigen Lebens« in die Hände, und diese Werke eröffneten ihm die Erkenntnis, dass sich Religion und Wissenschaft durchaus vereinen ließen und nicht im Gegensatz zueinander stehen mussten, wie er bisher angenommen hatte.
Nach ihrer Lektüre reifte in dem Mann der Plan, als Missionar nach China zu gehen. Es war kennzeichnend für Livingstones praktische Auffassung, dass er zugleich beschloss, sich eine solide medizinische Ausbildung zu verschaffen, um für den erstrebten Beruf besser geeignet zu sein. So kaufte er sich einige ältere medizinische Werke und setzte mit ihnen zuerst einmal sein Selbststudium fort. Er war inzwischen vom Ansetzer zur Spinnmaschine aufgerückt, an der er zwar angestrengter arbeiten musste, dafür aber besser entlohnt wurde. »Die mühsame Arbeit des Baumwollspinnens, zu welcher ich in meinem 19. Lebensjahr befördert wurde, war ausnehmend streng für einen hageren Jüngling von schwächlichem Körperbau«, erklärte er selbst. Während er seine Maschine bediente, legte er die Bücher auf ihr zurecht, um nebenbei lesen zu können.
Der bessere Lohn ermöglichte es ihm, im Sommer genügend für den Unterhalt der Familie zu verdienen und im Winter an der Universität Glasgow Vorlesungen über Medizin und Theologie zu besuchen. Er hoffte, sein Ziel ohne fremde Unterstützung erreichen zu können, schloss sich aber auf Empfehlung einiger Freunde schließlich einer Missionsgesellschaft in London an. »Sie sendet weder die bischöfliche noch die presbyterianische Kirche noch die der Independenten, sondern das Evangelium Christi zu den Heiden.« Auch diese Entscheidung war kennzeichnend für Livingstone, der sich in religiösen Fragen weitgehende Unabhängigkeit bewahren wollte. Wir begegnen dieser mit Toleranz gepaarten Einstellung immer wieder in seinen Büchern. Selten nur fallen kritische Worte über eine christliche Religionsgemeinschaft oder über Andersgläubige, und wenn, dann dürfen wir sicher sein, dass sie einem berechtigten, wohlüberlegten Urteil entspringen.
Die Missionsgesellschaft unterstützte den jungen Mann, der in Glasgow seine medizinischen Studien mit einer Arbeit über die Anwendung des Stethoskops abschloss. Sein Plan, nach China zu gehen, scheiterte allerdings an den politischen Verhältnissen; denn der sogenannte Opiumkrieg verhinderte jede missionarische Tätigkeit. Dafür lernte er aber Robert Moffat (1795–1883) kennen, der im Auftrag der »Missionary Society« schon 1816 nach Südafrika gegangen war und 1820 bei den Betschuanen in Kuruman eine Missionsstation gegründet hatte. Er galt als einer der besten Kenner Südafrikas und der dortigen Verhältnisse und lenkte Livingstones Aufmerksamkeit auf das noch weitgehend unerschlossene Gebiet. Dieser nahm die Anregung dankbar auf, vertiefte noch ein Jahr seine theologische Ausbildung und schiffte sich 1840 nach Afrika ein.
Die folgenden Jahre verbrachte er zuerst als Missionar und Arzt auf der Station Moffats, der selbst noch bis 1843 in England weilte. Seine wenige freie Zeit verwandte er auf naturwissenschaftliche Studien und das Erlernen der Eingeborenendialekte. Kleinere Reisen in die Gegend nördlich von Kuruman überzeugten ihn, dass sich dort ein neues, günstiges Betätigungsfeld bot, und so gründete er eine erste eigene Station in Mabotsa. 1844 heiratete er Mary Moffat, eine Tochter des Missionars, die mit ihm zusammen 1845 weiter nördlich nach Tschowane zog, wo sich Livingstone bei dem Bahuena-Häuptling Setschele niederließ. Eine schwere Dürreperiode zwang ihn aber, die Station 1847 nach Kolobeng im westlichen Betschuanenland zu verlegen.
Sein Bericht über die Arbeit in Kolobeng gibt zugleich einen erschütternden Einblick in die Mentalität der in dieser Gegend lebenden verwilderten Buren, die nicht mit den Bewohnern des Kaplandes gleichgesetzt werden dürfen. Für sie waren die Eingeborenen nur Wild, das man jagen konnte. Sie gingen auf Sklavenfang aus und wollten natürlich jede missionarische Tätigkeit in ihren »Jagdgründen« verhindern. Livingstone erzählt von ihrem Überfall auf seine Station. Er klagt dabei nicht an, betrauert nur den Verlust seiner Bücher, die von den Horden zerrissen worden war. Doch er erkannte, dass er vorerst nicht länger in Kolobeng bleiben konnte, und entschloss sich deshalb im Juni 1849, zu Beginn der für Reisen in Südafrika günstigen Jahreszeit, eine größere Entdeckungsreise durch die Kalahari zu unternehmen und den Ngami-See zu suchen, von dessen Vorhandensein er durch Jäger und Eingeborene Kenntnis erhalten hatte. Die Kosten für das Unternehmen trugen überwiegend die beiden englischen Elefantenjäger Oswell und Murray, die ihn begleiteten.
Livingstone nahm auch seine Familie mit auf die Reise. Für ihn hatten diese wie auch alle folgenden Expeditionen von vornherein friedlichen Charakter. In den Eingeborenen sah er Freunde und Brüder, was ihn jedoch nicht hinderte, nötigenfalls auch sehr energisch aufzutreten. Gewalt verabscheute er, und deshalb kam es auf seinen Reisen auch nur selten zu Zusammenstößen, die sich durchwegs bereinigen ließen. So kann es auch kaum größere Gegensätze geben als ihn und Henry Morton Stanley. Livingstone suchte die Begegnung, war sich bei allen Reisen seiner eigentlichen missionarischen Aufgabe voll bewusst. Stanley dagegen suchte häufig genug Konfrontation und setzte seinen Willen mit Gewalt durch. Niemand wird dessen Leistungen schmälern wollen, seine entdeckungsgeschichtlichen Werke faszinieren auch heute noch, aber sie bleiben letzten Endes typische Zeugnisse eines sogenannten Willensmenschen, wobei er vielfach das Geschehen bewusst dramatisierte, während Livingstone nur sehr zurückhaltend berichtet und wissenschaftliche und historische Details geschickt in die Darstellung einbaut.