Menschen, die Geschichte machten. Группа авторов

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Menschen, die Geschichte machten - Группа авторов marixwissen

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umfasst er auch poetische Neuschöpfungen wie Faust, Don Juan, Robinson Crusoe oder Dr. Jekyll & Mr. Hyde. Dazu tritt die neue Aneignung älterer mythopoetischer Figuren, wie sie um 1800 Prometheus, um 1900 Salome oder im 20. Jahrhundert Ödipus widerfahren ist, und der auffällige Wechsel in der imaginativen Erscheinung: bis ins 12. Jahrhundert wurde Christus bildlich vor allem als Richter und König vorgestellt; danach trat die Darstellung als Leidensmann am Kreuz in den Vordergrund.

      Dass Schlüsselfiguren zu einer bestimmten Zeit die Imagination einer sehr großen Zahl von Individuen intensiv beschäftigt, ja – im Sinne Aby Warburgs – besessen haben, zeigt, dass sie in besonderem Maße Hoffnungen, Wünsche, Ängste oder Konflikte dieser Menschen bündeln. Daher will die Vortragsreihe MYTHEN EUROPAS an ihnen das Wechselspiel der Kräfte herausarbeiten, das im Raum der Imagination am Werke ist: Welche Hoffnungen, Wünsche, Ängste und Konflikte haben Menschen in eine bestimmte Figur projiziert und an ihrer Geschichte durchgearbeitet? Warum gewinnt gerade diese Figur zu dieser Zeit solch dringliche Aktualität? Welche Strategien der Idealisierung, Identifikation, Projektion, Kompensation, Abwehr provozierte, befriedigte oder kanalisierte sie in den Menschen?

      UMFELD DER FORSCHUNG

      In den zwanziger Jahren begann der Psychologe Frederic Bartlett daran zu zweifeln, dass die Erinnerung ihre Gegenstände so aus dem Gedächtnis greifen könne, wie man des Abends einen guten Wein aus dem Keller holt. Seine Experimente ließen eher auf eine aktiv rekonstruierende Tätigkeit schließen: im aktuellen Vorgang des Erinnerns werden Erinnerungsreste neu zusammengesetzt und dabei unvermerkt dem gegenwärtigen Stand von Wissen, Ansichten und Bedürfnissen angepasst. Ebenfalls auf die Regentschaft der Gegenwart über die Vergangenheit stieß der Soziologe Maurice Halbwachs: in ungeahntem Ausmaß hängt jede individuelle „Rekonstruktion der Vergangenheit“ von dem kollektiven Gedächtnis ab, dem das erinnernde Individuum gerade angehört. Der Kunsthistoriker Aby Warburg entwarf die Geschichte der kulturellen Erinnerungen als ein gefahrenreiches Drama: von Epoche zu Epoche erneuert sich der Kampf zwischen magischem Bann und rationaler Distanz, zwischen Selbstverlust und Stabilisierung des Selbst.

      Einen anderen Zugang zum kulturellen Gedächtnis eröffnete Pierre Nora mit seinem Konzept der „Lieux de memoire“, der „Erinnerungsorte“. Den Begriff entlehnte er einer Technik, mit der die antike Rhetorik das Auswendiglernen einer Rede erleichterte: Der memorierende Redner geht im Geiste durch einen ihm wohl bekannten Raum und „befestigt“ jede Etappe seines Textes an einer bestimmten Stelle; während er die Rede dann hält, schreitet er insgeheim diese „Erinnerungsorte“ wieder ab. Entsprechend sammelt Nora Gegenstände des französischen Kollektivgedächtnisses, an welche die nationale Erinnerung immer wieder zurückkehrt oder französisches Selbstgefühl sich unwillkürlich bindet – von der Krönungskathedrale in Reims bis zur Gestalt Napoleons, von der Encyclopedie der Aufklärer bis zum Pariser Café –, und fügt sie so zum „Haus“ der französischen Erinnerung zusammen. Etienne Francois und Hagen Schulze haben dieses Konzept soeben auch an der deutschen Geschichte erprobt. Wird von „Orten“ dabei in übertragenem Sinne gesprochen, so hatte Maurice Halbwachs sich bereits 1941 realen Orten zugewandt: den heiligen Stätten Palästinas. An diesen scheinbar uralt-dauerhaften Orten entdeckt der Historiker über die Jahrhunderte einen Wandel der Bedeutungen,

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