Menschen, die Geschichte machten. Группа авторов

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Menschen, die Geschichte machten - Группа авторов marixwissen

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Kulturen, Nationen und Epochen zeigte Simon Schama, wie Grundelemente der Landschaft für die kollektive Erinnerung beansprucht werden.

      All diese Untersuchungen kommen darin überein, dass in jeder Erinnerung konstruktive Kräfte am Werk sind, welche Direktiven und Antrieb von der Gegenwart der erinnernden Individuen und Kollektive empfangen. Die Erinnerung holt ihre Gegenstände nicht unverändert aus Speichern oder Kellern, sondern geht – teils unbewusst, teils bewusst – durchaus schöpferisch mit den ihr verbliebenen Gedächtnisspuren um. Nun war das den Historikern zwar auch früher schon bekannt, hatten sie doch von jeher ihre Mühe und Plage mit all den Verderbnissen, die eine „kreative“ Erinnerung in ihren kostbaren Quellen angerichtet hatte. Ihre Haltung war aber grundsätzlich kritisch: Wer herausfinden wollte, „wie es eigentlich gewesen“ ist, der musste seine Quellen so weit als irgend möglich von diesen Verderbnissen reinigen. Allenfalls sah er noch nach den Interessen, die sich an bewussten Manipulationen ablesen ließen: „cui bono?“, „wem nützt es?“ ist der Geschichtswissenschaft von alters her eine geläufige Frage.

      Die neueren Forschungen zur kulturellen Erinnerung beziehen die Erinnerung an diese Katastrophen ein, nehmen sie aber meist nicht als den zwingenden Ausgangspunkt aller geschichtswissenschaftlichen Reflexion. Sie setzen an bei den grundsätzlichen Gesetzmäßigkeiten und Möglichkeiten von Erinnerung. Der Mensch kann gar nicht anders, als aktiv – „konstruktiv“, auch „imaginativ“ – umzugehen mit seiner Vergangenheit wie mit seiner Gegenwart. Darin gründet seine Fähigkeit, den Andrang der Wirklichkeit nicht nur passiv zu erdulden, sondern ihm gestaltend zu begegnen. Die Drohung von Hunger, Armut, Not und Leid zwingt ihn, sich dieser Fähigkeit auch zu bedienen. Wie ihm das dann ausschlägt – in zeitweiligem Glück oder in Zerstörung und Grauen, in notdürftigem Überleben oder spürbarer Besserung der Lebensbedingungen –, das ist jeweils offen.

      Das Konzept der „Schlüsselfigur“, auf dem die Vortragsreihe MYTHEN EUROPAS aufbaut, konzentriert sich im Feld der Erinnerungsforschung auf die Entstehung erinnerungsprägender Gestalten: Welche Gegenwart hat die Menschen disponiert für eine Schlüsselfigur? Zum „Schloss“ welcher Wünsche und Bedürfnisse bietet sie den „Schlüssel“? Auf welche Sehnsüchte und Ängste gibt sie eine Antwort? Da Schlüsselfiguren, wie oben skizziert, die verschiedensten kognitiven und psychischen Anliegen bündeln, könnten sie auch Zugänge für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen eröffnen, die anderwärts nur unter Schwierigkeiten zu Material und Quellen kommen. Die Geschichte der Emotionen findet hier Ansatzpunkte; ebenso die Psychohistorie mit ihrer schwierigen Suche nach den unsteten Grenzen zwischen ‚bewusst‘ und ‚unbewusst‘ oder mit ihrer Analyse epochal typischer Verdrängungen. Figuren besitzen meist eine kaum zu beherrschende Mehrdeutigkeit. Sie wirken auf den Betrachter über mehr Kanäle, als die bewusste Vernunft übersehen kann. Und die strategische Absicht, die sie in Dienst zu nehmen versucht, wird oft genug durch höchst unerwartete Deutungspotentiale überrascht. Während die Geschichtsbücher meist von den Siegern geschrieben werden, kann in die Schlüsselfiguren auch eingehen, was die Unterlegenen umtreibt. Während unsere Geschichtsquellen meist das Weltbild der Elite dokumentieren, können Schlüsselfiguren auch Welterfahrung der ungebildeten Bevölkerungsschichten aufnehmen.

      Das Erkenntnisinteresse der Vortragsreihe ist also ein genuin historisches. Die Antworten müssen im Raum einer Geschichte der Imagination gesucht werden, in dem Literatur-, Kunst- und Religionshistorie mit der Geschichtswissenschaft ins interdisziplinäre Gespräch kommen. Von den herkömmlichen Motiv- und Stoffgeschichten der Literatur- und Kunstwissenschaftler unterscheidet sie die Frage nach der historischen Funktion; von den unter Historikern bevorzugten Verfahren die Absicht, auch die Hoffnungen, Sehnsüchte, Ängste und das Unbewusste der Menschen als historische Faktoren ernst zu nehmen. Die Überlieferungs- und die Forschungslage wird für diese Fragestellung oft nicht günstig sein; im Allgemeinen verbessern sich diese Voraussetzungen aber mit dem Fortschreiten in der Zeit. Die einzelnen Beiträge suchen sich auf jenen

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