Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola Larsen
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Wieder wächst die drohende Stille wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen empor. Sabrina möchte diese Mauer einreißen und öffnet schon die Lippen, aber Wolfhart kommt ihr zuvor.
»Es ist spät geworden, Sabrina«, sagt er ruhig. »Der Tag war sehr anstrengend für uns beide. Wir wollen zur Ruhe gehen.«
Sabrina erwidert nichts. Gehorsam leert sie ihr Glas und erhebt sich, und auch Fürst Wolfhart steht auf.
»Gute Nacht!«, wünscht er rau. »Schlafe gut, Sabrina, und träume von deinem ersten großen Erfolg, der dir ein Ansporn für deine weitere Arbeit sein soll.«
Diesmal zieht er ihre Hand nicht an seine Lippen. Stumm und trostlos steht Sabrina vor ihm.
»Gute Nacht!«, sagt sie endlich leise.
Dann schließt sich die Tür hinter ihr, und Fürst Wolfhart ist allein.
Seine dunklen Augen sind von tiefer Schwermut überschattet, als er leise zu sich selbst sagt: »Es war sehr, sehr töricht von mir zu glauben, ich könnte die Vergangenheit überwinden und vergessen, ja, sogar sterben lassen. Die Vergangenheit wird nie sterben, möchten auch Jahre darüber vergehen, sie wird eins mit uns und bleibt lebendig in unserem Herzen bis zum letzten Lebenstag.«
Traurig und mit sich selbst nicht zufrieden, verlässt auch Fürst Wolfhart das gemütliche Wohnzimmer, um sich zur Ruhe zu begeben.
*
Zweifellos ist es nur Rulles Bemühungen zu verdanken, dass das Ravenhill-Orchester überstürzt von Paris nach London aufbricht, denn Rulle gibt keine Ruhe, und er weiß auch, warum. Obwohl ursprünglich ein Aufenthalt von mehreren Tagen in Paris geplant war, erhebt Fürst Wolfhart keinen Einspruch gegen eine sofortige Abreise.
Weißgelber Nebel liegt wie ein schmutziges Laken über der Stadt an der Themse, als Fürst Wolfhart und Sabrina in Begleitung des getreuen Rulle vom Flugplatz zu ihrem Londoner Hotel fahren.
Sabrina fühlt sich elend, müde und erschöpft. Der erste Flug ihres Lebens, die langsame Fahrt durch die City und die bedrückende Atmosphäre der fremden Stadt strengen sie unsagbar an.
Im Hotel ist es warm und hell. Die Appartements, die Fürst Wolfhart bestellt hat, liegen in zwei verschiedenen Etagen, und als sich der Lift summend wieder in Bewegung setzt, nachdem Fürst Wolfhart ausgestiegen ist, hat Sabrina plötzlich das schreckliche Empfinden, unwiderruflich von dem heimlich geliebten Mann getrennt zu sein.
Nur Rulle bleibt bei ihr, bis das Gepäck kommt. Er schwärmt immerzu von London, der Stadt, die offenbar seine große Liebe ist.
Sabrina hört Rulles Geplauder nur zerstreut zu. Sie sehnt sich grenzenlos nach Wolfhart, der seit jenem ersten Konzertabend in Paris wieder kühl, unnahbar und sonderbar abweisend zu ihr ist. Es gibt keine Brücke, die zu seinem Herzen führt, denkt sie gequält, lehnt sich an das Fenster des vornehmen, im viktorianischen Stil eingerichteten Hotelzimmers und starrt trostlos in den dichten Nebel. Seit sie die Erkenntnis gewann, dass sie Fürst Wolfhart mit aller Kraft ihres reinen, starken Herzens liebt, peinigt seine abweisende, verletzend kühle Haltung sie noch verzweifelter als zuvor.
Während der kommenden Tage ist Sabrina viel allein. Sie schreibt lange heimwehkranke Briefe an Tante Tabea, übt gewissenhaft und wartet sehnsüchtig auf irgendein noch so kleines Zeichen Wolfharts, das ihr verraten könnte, dass alles wieder gut zwischen ihnen ist.
Aber nichts geschieht. Mehr denn je zieht sich Fürst Wolfhart von ihr zurück.
Wäre Rulle nicht, würde Sabrina völlig verzweifeln. Rulle ist rührend um sie bemüht. Er führt sie stundenlang durch die City, zeigt ihr die Sehenswürdigkeiten der Weltstadt und wird nicht müde, ihr alles liebevoll zu erklären und zu erläutern.
So naht der Abend des Londoner Konzertes, dem Sabrina völlig teilnahmslos entgegensieht. Sie ist seelisch einfach zu müde, zu sehnsuchtskrank und zu erschöpft, um sich wegen des Konzertes noch aufzuregen.
Selbst die Generalprobe lässt sie kalt. Sie erledigt ihren Auftritt künstlerisch gewissenhaft, aber ohne innere Teilnahme.
Das stimmt Rulle, der ebenfalls plötzlich von einer merkwürdigen inneren Nervosität gepackt worden ist, bedenklich. Besser viel Lampenfieber als gar keines, denkt er, und er würde etwas darum geben, wenn Marcus Mauris Tochter auch nur einen Bruchteil jener fiebrigen Erwartung zeigen würde, die sie vor ihrem ersten Konzert in Paris ausstrahlte.
Sabrina ist selbst verwundert darüber, dass sie keine Angst vor dem Konzert hat und sich auch gar keine Gedanken darüber macht, ob es ein Erfolg sein wird oder nicht.
Dabei ahnt sie nicht, dass Fürst Wolfhart, der die Stunden nach der Generalprobe in seinem Appartement verbringt und selbst Rulles Fürsorge abweist, ebenfalls dem am Abend stattfindenden Konzert völlig gleichgültig gegenübersteht.
*
Auch an der Kasse des Londoner Konzerthauses hängt ein Schildchen, dass der Saal ausverkauft ist, aber weder Fürst Wolfhart noch Sabrina achten darauf. Schweigend gehen sie zum Künstlerzimmer, und Rulle denkt tief bekümmert, dass es ganz bestimmt ein Unglück geben wird.
Seine Hände zittern ein wenig, als er die Stühle der Musiker zurechtrückt, die Standsicherheit der Notenständer prüft und schließlich den Flügel öffnet.
Wenn nur dieser Abend schon herum wäre, denkt er immer wieder, und gewohnheitsgemäß geht er zum Vorhang und wirft durch das Guckloch einen Blick in den Saal.
Auch hier ist die Prominenz der Londoner Gesellschaft versammelt, und Rulle erkennt einige berühmte Persönlichkeiten. Dann weiten sich plötzlich seine wasserblauen Augen, mit einem Ruck hebt er den Kopf, und seine Hände krampfen sich ängstlich ineinander.
Das ist doch einfach unmöglich, denkt er, das kann doch nicht wahr sein! Sekundenlang ist er überzeugt davon, dass ihn ein Spuk narrt, aber das Bild, das ihn so erschreckte, bleibt unverändert vor seinen Augen.
Es ist das Bild einer faszinierend schönen Frau, die gelangweilt in einer der ersten Sesselreihen sitzt. Sie trägt ein fantastisches Gewand aus kardinalroter Seide und ist niemand anders als Simone Prinzessin von Bernadette.
»Allmächtiger!«, murmelt Rulle verstört. »Jetzt haben wir die Pastete!« Und vor lauter Verzweiflung vergisst er vollkommen, nach altem Brauch dreimal auf die Rampe zu spucken.
Der kleine, gebeugte Mann ist nun erst recht von bösen Ahnungen erfüllt, als er das Podium wieder verlässt. Aber er reißt sich zusammen und ist bald darauf liebevoll um Sabrina bemüht, die im Künstlerzimmer teilnahmslos auf ihren Auftritt wartet.
»Es wird schon gut gehen«, sagt er betont zuversichtlich. »Die Engländer sind lediglich etwas zurückhaltender mit Beifall als die Franzosen. Erschrecken Sie darum also nicht, wenn der Jubel nicht so laut und stürmisch ist wie in Paris.«
»Ja«, sagt Sabrina leise und abwesend, »ja – ja …«
Sie denkt aber, dass im Grunde genommen alles gleichgültig geworden ist, denn was bedeuten ihr Erfolg und Ruhm, wenn der Mann, den sie liebt, sich nicht zu ihr bekennt?
Wenige Minuten später steht sie auf dem Konzertpodium im strahlenden Scheinwerferlicht. Sie ist bezaubernd schön, genauso schön wie in Paris, aber Rulle hat vollkommen recht: Die Engländer sind weitaus zurückhaltender und