Abgesoffen - Die Milliardenlüge. Hajo Maier

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Abgesoffen - Die Milliardenlüge - Hajo Maier

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sein möchte. Als Mann mit Plan und Idee. Er erzählt von einer schwierigen Situation, der gesetzlichen Vorgabe, Zahlungsprobleme zu melden, sobald sie erkennbar sind, damit keine Insolvenzverschleppung eintritt. Monate später wird Ebben selbst der Insolvenzverschleppung beschuldigt werden. Über rund 50 Mio. Euro, die er noch ausbezahlt hat Anfang März 2018. Obwohl P&R pleite ist.

      Ebben will positiv wirken. Ein Kapitän, der das Schiff durch schwere See lenkt. Und fantasiert sein Ziel, eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu erreichen. Eigenverwaltung – also bleibt die Geschäftsführung, er, eingesetzt, der Insolvenzverwalter sieht ihm auf die Finger, vor allem aber: Insolvenzgericht mit Insolvenzverwalter sehen eine positive Prognose zur Restrukturierung. Ein realistisches Ziel, wie Ebben wohl betont. Das klingt für die Mitarbeiter nach etwas Hoffnung. Auch wenn die Wenigsten etwas davon verstehen. Die Lage scheint beherrschbar. Der Konzern sanierbar. Ebbens Aussagen der letzten Monate, man habe hier und da nur ein Liquiditätsproblem, scheinen sich zu bewahrheiten. Greifbare, konkrete Informationen zu den Gründen, zum Hergang, zur Situation, bleibt er schuldig. Der Form halber verfügt er noch ausdrücklich an diesem Tag, dass keine Informationen an Kunden und Presse gehen, keine vertraglichen Vorgänge mehr bearbeitet werden dürfen, keine Eigentumszertifikate oder sonstige Urkunden ausgestellt werden. Kundenfragen sollen mit dem Textbaustein beantwortet werden, dass zeitnah eine offizielle Pressemeldung herausgegeben werden soll.

      Ein leitender P&R Mitarbeiter beschreibt den gesamten Vortrag Ebbens später mit Kopfschütteln: Hohle Phrasen des gelernten Vertrieblers Ebben. Seine Verkäufer-DNA. Er glaubt, dass selbst in dieser Situation eine laut formulierte Phantasie-Propaganda über positive Aussichten genüge, damit die Situation selbst sich ändern würde. Self-fullfilling prophecy.

      Wenige Tage später, direkt nach der Insolvenzmeldung der drei ersten Gesellschaften, die allein 2,943 Milliarden an Anlegervermögen verwalten, also den Löwenanteil, wird Ebben erneut vor die Belegschaft treten. Bestens gelaunt. Lauter. Selbstbewusst. Wie er beschrieben wird. Er ist wieder der Alte. Er vermeldet, dass in einer Stunde der vorläufige Insolvenzverwalter, ein Dr. Jaffé mit Team, einlaufen wird. Dazu die Unternehmensberatung PWC, dazu eine weitere Anwaltskanzlei Ashurst als Verfahrensbevollmächtigte der insolventen Gesellschaften. Ebben grinst dabei »Wird voll hier.« Um dann, wohl langsam, fast genießend, zu wiederholen:

      »Wir restrukturieren. Vielleicht in Eigenverwaltung.«

      Er meint es sicher gut. Ähnlich hat sich auch der Konzernboss Heinz Roth dem Marketingleiter gegenüber unter vier Augen geäußert. Zwischen Tür und Angel. Flurbegegnung. Er ist sonst ja eingeschlossen in seinem Büro. Seit zwei Wochen. Alles ist nur ein formaler Akt. Restrukturierung ist das Ziel. Alles wird sich geben. Es ist ja möglich, bei all den Milliardenwerten, die vorhanden sind. Denkt sein Gesprächspartner.

      Nur wenige Minuten nach Ebbens Auftritt kommt Jaffé in Grünwald an. Es wirkt eher wie ein Staatsbesuch in einer Bananenrepublik: Jaffé, der bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit seinem Chauffeur und einem mehrköpfigen Stab im Schlepptau, die Unternehmensberater von PWC mit zirka sechs Personen, der für die vorläufig insolventen Gesellschaften beauftragte Prozess-bevollmächtige Anwalt. Sie alle machen sich breit, ihnen werden Arbeitszimmer zugewiesen, Rechner verkabelt, filmreif.

      Jaffé bestellt die Mannschaft ein. Stellt sich und seine beiden bei ihm angestellten Insolvenzanwälte Dr. Schuster und Dr. Heinke vor. Die beiden wirken sehr ruhig, sympathisch, durchaus. Souverän. Jaffé, das ist inzwischen durchgedrungen, muss ein absolutes Brett als Insolvenzjurist sein: Einer der besten und bekanntesten Fachanwälte der Republik auf diesem Rechtsgebiet. Im Verlauf der nächsten Monate wird sich zeigen: Das ist er auch. Fachlich.

      Jaffé ist beides: Bewaffnet mit einem enormen Selbstbewusstsein, ein wenig großspurig, ja. Hemdsärmelig. Aber keineswegs unsympathisch. Er signalisiert jedenfalls ab der ersten Minute, wer hier künftig der Boss ist. Er erzählt kurz über seine Kanzlei, die Groß-Insolvenzen, die er bereits abgewickelt hat, darunter auch die Kirch-Gruppe, umreißt die Gesamtsituation P&R, sieht sie durchaus nicht hoffnungslos, erwähnt die ungeheuren Vermögenswerte im Unternehmen und vor allem: Er betrachtet es als Glücksfall, eine so kleine Mannschaft bei so hohen vorhandenen Vermögenswerten vorzufinden. Fünfundzwanzig Angestellte. Und signalisiert, dass man diese Mitarbeiterstärke wohl in jedem Fall weiterhin beschäftigen wird. Möglicherweise über Jahre.

      Jaffé vermittelt glaubhaft, dass trotz möglicher Fehlbeträge doch mehrere Milliarden an Vermögenswerten vorhanden sein sollten, die nun, in den Folgemonaten, genau festzustellen sind. Die Wahrheit kann er nicht kennen zu diesem Zeitpunkt. Der Gesamteindruck also, inhaltlich, auch in den Botschaften und Signalen, die Jaffé sendet, sind positiv. Die Mannschaft hat das Gefühl, dass dieser Mann alles im Griff hat. Routinen. Das Unternehmen ist nicht tot.

      Nur erneut knapp zwei Monate später wird Jaffé nach der vorläufigen ersten Vermögensfeststellung entdecken: Von 1,6 Millionen Containern, die Anleger erworben haben, existieren nur rund 600.000.

      EINE MILLION FRACHTCONTAINER, KNAPP ZWEI DRITTEL, GIBT ES NICHT.

      Eine Million Frachtcontainer – aneinandergereiht die Strecke von Hamburg nach New York. Es wird sich zeigen: Es gab sie nie. Nicht in der Schweiz. Nicht bei den Leasingpartnern. Nicht bei den Reedereien. Nicht auf Schiffen. Nicht in irgendwelchen Umschlaghäfen. Knapp zwei Drittel dieses Milliardenvermögens, mit dem Jaffé für sich und die Anleger fest gerechnet hat, ist nicht vorhanden. P&R hat seinen Anlegern eine Million Container verkauft, die niemals angeschafft worden waren. Eine Million Mal Luft gegen Milliardeneinnahmen. 5

      Diese später in den Gutachten auch offiziell bestätigte Erkenntnis ist für alle an dieser Insolvenz Beteiligten und Betroffenen niederschmetternd. Aus der Mega-Insolvenz ist der größte Anlegerbetrug der deutschen, wohl europäischen Nachkriegsgeschichte geworden.6 Die Anleger wissen davon noch nichts zu diesem Zeitpunkt. Der Konzerneigentümer Heinz Roth weiß es. Schon lange.

      Die Dimension ist in diesen Augenblicken nicht fassbar, nicht glaubhaft, für all jene, die dabei sind. Es wirkt surreal. Vor allem, wenn man später erfahren wird, dass dieses Betrugssystem seit mindestens zehn bis fünfzehn Jahren schon betrieben wird. Erfolgreich, wenn das Wort gestattet ist an dieser Stelle. Wie ein solch gigantisches Milliarden-Schneeball-System über so viele Jahre funktionieren kann, unentdeckt, ist selbst für einen wie Jaffé unvorstellbar, wie er selbst sagt. Es werden weitere Entdeckungen folgen.

      Heute, im März 2021, also knapp drei Jahre nach der Insolvenz, ist die Bilanz der Ermittlungen mehr als dürftig: Drei mutmaßlich Hauptverantwortliche mit dem Vorstandsvorsitzenden Werner Feldkamp (†5.2016), dem Vorstand Vertrieb Wolfgang Stömmer (†6.2018) und Konzerneigentümer Heinz Roth († 12.2020), sind tot. Ungeklärter Tod, Suizid, Erkrankung. Alles dabei.

      Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen noch lebende mutmaßlich Beteiligte Führungskräfte aus Deutschland und der Schweiz gestalten sich als zähe Ermittlungen, möglicherweise ergebnislos, wie der Staatsanwalt Ende 2020 gegenüber dem Spiegel (Heft 49 I 2020)7 zugeben muss.

      Das Verfahren gegen den letzten Geschäftsführer, Martin Ebben, ist im Juli 2020 eingestellt worden. Er hat angeblich zu wenig gewusst, um etwas begriffen zu haben. Sieht auch die Staatsanwaltschaft I in München so.8 Die Zivilgerichte urteilen in ersten Haftungsklagen gegenteilig.9

      Insgesamt die Justiz-Bilanz nach drei Jahren: Ein monströser Milliardenbetrug – aber keiner will es gewesen sein. Und Tote kann man nicht mehr anklagen.

       1975

       Kapitel 2

       Das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth

      

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