Sophienlust Staffel 15 – Familienroman. Susanne Svanberg
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»Hast du nicht erwähnt, dass jemand ständig oben an der Koppel ist?«
Ärgerlich winkte Alexander ab. »Ja. Ich habe Anweisung gegeben, dass die Pferde keine Sekunde aus den Augen gelassen werden. Aber unser Mann wurde ans Telefon gerufen. Er war nur wenige Minuten weg, und schon war’s passiert.«
»War es ein fingierter Anruf?«
»Das ist anzunehmen. Irgendjemand wollte eine Auskunft über Pferdezucht. Ich habe sofort veranlasst, dass die Tiere für die nächsten Tage in ihren Boxen bleiben. Doch ich bin fast überzeugt, dass der Kerl auch hier einen Weg finden wird, weitere Tiere zu entführen. Ein ganz gerissener Gauner muss das sein.«
Alexander schüttelte ärgerlich den Kopf. Dass die ersten Diebstähle so reibungslos geklappt hatten, das konnte er noch verstehen. Doch die Sache mit Kranisch hätte nicht passieren dürfen. Man konnte sich eben auf niemand mehr verlassen. In den nächsten Tagen würde er sich selbst auf die Lauer legen müssen.
Erst jetzt fiel Alexander auf, wie nachdenklich seine Frau geworden war. »Mach dir keine Sorgen, Denise«, bat er.
»Da war etwas mit Anja«, berichtete Denise in zunehmender Erregung. »Sie kam völlig verstört, mit zerrissenen Kleidern und zerschundenen Armen und Beinen nach Hause. Sie lief auf mich zu, schmiegte sich in meine Arme und weinte und weinte. Ich konnte mir das alles nicht erklären, zumal wir Nachforschungen angestellt haben, die ergebnislos blieben. Niemand konnte herausfinden, weshalb das Kind so erregt war. Es muss mehrmals gestürzt sein, als es vor jemandem flüchtete. Leider kann uns Anja selbst keinen Hinweis geben, aber jetzt …«
Alexander von Schoenecker hatte atemlos zugehört. »Du meinst, du hältst es für möglich, dass Anja den Dieb gesehen hat?«
»Es wäre denkbar. Anja war in einer schlimmen Verfassung. Mir kam es vor, als sei sie eingeschüchtert worden. Auf eine schlimme, grausame Art. Da sie nicht reden kann, ist das für sie eine Katastrophe. Ich glaube, sie fürchtet sich schrecklich.« Denises Hände zitterten leicht.
Beruhigend strich Alexander über ihre schlanken Finger. »Wir müssen Anja fragen«, schlug er vor. »Wenn wir es geschickt anstellen, braucht sie ja nur mit dem Kopf zu nicken oder durch Kopfschütteln ein Nein anzudeuten. Vielleicht sollte ich sie nach Wildmoos aufs Revier mitnehmen. Sie würde den Kerl vielleicht wiedererkennen. Ja, ganz bestimmt. Denn wenn er sie eingeschüchtert hat, muss sie ihn ja aus unmittelbarer Nähe gesehen haben. Sie wird ihn wiedererkennen.«
Angst und Sorge spiegelten sich in Denises ausdrucksvollen dunklen Augen. »Nein, Alexander, erinnere Anja bitte nicht an dieses schlimme Erlebnis. Frau Dr. Frey hat ihr ein Beruhigungsmittel gegeben. Sie ist eben dabei, über dieses grausame Erlebnis wegzukommen. Unsere Fragen würden ihr alles ins Gedächtnis zurückrufen, würden Angst und Aufregung in ihr erneut aufflackern lassen.«
»Aber sie könnte uns wertvolle Hinweise geben«, sagte Alexander eindringlich. »Immerhin wäre es möglich, dass unsere Pferde noch irgendwo in der Nähe sind und wir das Versteck durch Anjas Hilfe aufstöbern. Wir würden die Tiere zurückbekommen. Morgen kann es unter Umständen bereits zu spät sein.«
»Das Kind könnte schweren Schaden nehmen, wenn wir durch Fragen etwas berühren, was es seelisch nicht verarbeiten kann, weil es dazu unsere Hilfe bräuchte. Wir können Anja aber nicht helfen. Wir sind machtlos, weil wir keine Ahnung haben, was Anja eigentlich zugestoßen ist.«
»Man müsste einen Psychiater beauftragen, Anja so behutsam auszufragen, dass sie keinen Schaden nehmen kann.«
Denise lächelte wehmütig. »Was weiß ein Psychiater davon, was dieses arme kleine Mädchen durchgemacht hat? Anja hat den Schock noch lange nicht überwunden. Trotzdem hat man sie heute maßlos verängstigt. Ich bin richtig unglücklich darüber, dass es ausgerechnet hier in Sophienlust geschehen ist. Hier, wo alle Erwachsenen die Kinder von Herzen gernhaben.«
»Du hast recht, Denise. Wenn sich jemand in Anjas Situation hineinversetzen kann, dann bist du es. Niemand hat so viel Mitgefühl und so viel Verständnis wie du.« Alexander lächelte stolz. »Und wenn du es für richtig hältst, dass wir Anja nicht fragen, dann bin ich selbstverständlich damit einverstanden. Das Wohl der Kinder geht vor finanziellen Belangen. Auch wenn unsere Pferde noch so kostbar sind, Anja ist wichtiger, viel wichtiger.«
Denise von Schoenecker atmete erleichtert auf. »Ich bin froh, dass du so denkst, Alexander. Und ich bin dir von Herzen dankbar dafür.« Sie küsste ihren Mann liebevoll auf den Mund.
*
Eilig ging Hans Strasser zu seinem Wagen. Er öffnete, galant wie immer, für Marina die Tür und stieg dann selbst ein. »Warum warst du so hässlich zu der Kleinen?«, fragte er empört. Nur mühsam konnte er sich beherrschen.
»Ich weiß gar nicht, was du willst.« Marina tat ganz harmlos. Sie strich ihre Kleidung glatt und wartete darauf, dass er den Wagen startete.
Doch Hans Strasser dachte gar nicht daran. Er drehte sich so, dass er Marina in die Augen sehen konnte, und sagte: »Du weißt es sehr genau. Du hast dich unmöglich benommen, obwohl uns Frau Rennert zuvor mitgeteilt hat, dass Anja auf keinen Fall aufgeregt werden darf. Weißt du denn nicht, was du mit deinen herzlosen Reden anrichten kannst? Hast du denn gar kein Gewissen, Marina? Willst du schuldig werden am Unglück eines elternlosen Kindes?«
»Ach«, fauchte Marina ungeduldig. »Du übertreibst alles, was mit Anja zusammenhängt, maßlos. Das Kind ist doch nicht aus Glas. Es tut ihm gar nichts, wenn es endlich einmal die Wahrheit erfährt. Du bist ja doch zu feige, sie auszusprechen.«
Strassers Wut steigerte sich. »Kinder sind zwar nicht aus Glas, aber gefühlvolle, empfindsame kleine Menschen, die sehr leicht zu verletzen sind. Und was die Wahrheit betrifft, so kennst du sie offensichtlich noch immer nicht. Ich habe Anja gern – auch wenn du das nicht wahrhaben willst. Ich habe sie so lieb wie ein eigenes Kind. Das ist die Wahrheit.«
»Merkst du nicht, dass du dich lächerlich machst?« Marina lachte spöttisch. »Eine solche Auffassung passt vielleicht zu einer Großmutter, aber doch nicht zu einem Mann.«
»Das ist deine Auffassung. Im Übrigen interessiert sie mich nicht. Ich selbst kann es nicht als Schande empfinden, mitleidig zu sein.«
»Sie wird dich aber interessieren müssen«, zwitscherte Marina unbekümmert. »Schließlich werde ich deine Frau, nicht Anja.«
Hans Strasser holte tief Luft. Jetzt war der Augenblick da, dass endgültig reiner Tisch gemacht werden musste. Solange Marina ihn nur beschimpft hatte, war er nachsichtig gewesen. Jetzt aber gingen ihre Angriffe auf das unschuldige Kind über. Und das durfte er auf gar keinen Fall zulassen.
»Ich kann nicht mit einem Menschen zusammenleben, der so herzlos gegenüber einem Kind sein kann. Es war vielleicht früher einmal die Rede davon, dass wir beide heiraten. Aber jetzt denke ich anders darüber. Bitte, sei mir nicht böse, Marina. Wir können ja Freunde bleiben, wenn du magst.«
»Wenn ich dich recht verstanden habe, willst du dich von mir trennen.« Marina fuhr herum wie eine Schlange, die im Begriff ist, sich