Frau Jenny Treibel. Theodor Fontane

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auch die Kommerzienrätin aus dem seitwärts angrenzenden und nur durch eine Portiere62 von dem großen Empfangssaal geschiedenen Zimmer und reichte der Schwiegertochter die Backe, während ihr Sohn Otto ihr die Hand küsste.

      „Gut dass du kommst, Helene“, sagte sie mit einer glücklichen Mischung von Behaglichkeit und Ironie, worin sie, wenn sie wollte, Meisterin war. „Ich fürchtete schon, du würdest dich auch vielleicht behindert sehen.“

      „Ach. Mama, verzeih... Es war nicht bloß des Plättags halber; unsere Köchin hat zum ersten Juni gekündigt, und wenn sie kein Interesse mehr haben, so sind sie so unzuverlässig; und auf Elisabeth ist nun schon gar kein Verlass mehr. Sie ist ungeschickt bis zur Unschicklichkeit und hält die Schüsseln immer so dicht über den Schultern, besonders der Herten, als ob sie sich ausruhen wollte.“

      Die Kommerziennrätin lächelte halb versöhnt, denn sie hörte gern dergleichen.

      „...Und aufschieben“, fuhr Helene fort, „verbot sich auch. Mr. Nelson, wie du weißt, reist schon morgen Abend wieder, übrigens ein charmanter junger Mann, der euch gefallen wird. Etwas kurz und einsilbig, vielleicht weil er nicht recht weiß, ob er sich deutsch oder englisch ausdrucken soll; aber was er sagt, ist immer gut und hat ganz die Gesetztheit und Wohlerzogenheit, die die meisten Engländer haben. Und dabei immer wie aus dem Ei gepellt. Ich habe nie solche Manschetten gesehen, und es bedrückt mich geradezu, wenn ich dann sehe, womit sich mein armer Otto behelfen muss, bloß weil man die richtigen Kräfte beim besten Willen nicht haben kann. Und so sauber wie die Manschetten, so sauber ist alles an ihm, ich meine an Mr. Nelson, auch sein Kopf und sein Haar. Wahrscheinlich, dass er es mit Honeywater63 bürstet, oder vielleicht ist es auch bloß mit Hilfe von Shampooing.“

      Der so rühmlich Gekennzeichnete war der nächste, der am Gartengitter erschien und schon im Herankommen die Kommerzienratin einigermaßen in Erstaunen setzte. Diese hatte nach der Schilderung ihrer Schwiegertochter einen Ausbund von Eleganz erwartet; stattdessen kam ein Menschenkind daher, an dem, mit Ausnahme der von der jungen Frau Treibel gerühmten Manschettenspezialität, eigentlich alles die Kritik herausforderte. Den ungebürsteten Zylinder im Nacken und reisemäßig in einem gelb- und braunquadrierten Anzüge steckend, stieg er, von links nach rechts sich wiegend, die Freitreppe herauf und grüßte mit der bekannten heimatlichen Mischung von Selbstbewusstsein und Verlegenheit. Otto ging ihm entgegen, um ihn seinen Eltern vorzustellen.

      „Mr. Nelson from Liverpool64 — derselbe, lieber Papa, mit dem ich...“

      „Ah, Mr. Nelson. Sehr erfreut. Mein Sohn spricht noch oft von seinen glücklichen Tagen in Liverpool und von dem Ausfluge, den er damals mit Ihnen nach Dublin und wenn ich nicht irre, auch nach Glasgow machte. Das geht jetzt ins neunte Jahr; Sie müssen damals noch sehr jung gewesen sein.“

      „O nicht sehr jung, Mr. Treibel... about sixteen65...“

      „Nun, ich dächte doch, sechzehn…“

      „O, sechzehn, nicht sehr jung... nicht für uns.“

      Diese Versicherungen klangen umso komischer, als Mr. Nelson auch jetzt noch wie ein Junge wirkte. Zu weiteren Betrachtungen darüber war aber keine Zeit, weil eben jetzt eine Droschke zweiter Klasse vorfuhr, der ein langer, hagerer Mann in Uniform entstieg. Er schien Auseinandersetzungen mit dem Kutscher zu haben, während deren er übrigens eine beneidenswert sichere Haltung beobachtete, und nun rückte er sich zurecht und warf die Gittertür ins Schloss. Er war in Helm und Degen; aber ehe man noch der „Schilderhäuser“ auf seiner Achselklappe gewahr werden konnte, stand es für jeden mit militärischem Blick nur einigermaßen Ausgerüsteten fest, dass er seit wenigstens dreißig Jahren außer Dienst sein müsse. Denn die Grandezza66, mit der er daherkam, war mehr die Steifheit eines alten, irgendeiner ganz seltenen Sekte zugehörigen Torf- oder Salzinspektors als die gute Haltung eines Offiziers. Alles gab sich mehr oder weniger automatenhaft, und der in zwei gewirbelten Spitzen auslaufende schwarze Schnurrbart wirkte nicht nur gefärbt, was er natürlich war, sondern zugleich auch wie angeklebt. Desgleichen der Henriquatre67. Dabei lag sein Untergesicht im Schatten zweier vorspringender Backenknochen. Mit der Ruhe, die sein ganzes Wesen auszeichnete, stieg er jetzt die Freitreppe hinauf und schritt auf die Kömmerzienrätin zu.

      „Sie haben befohlen, meine Gnädigste...“

      „Hoch erfreut, Herr Leutnant...“

      Inzwischen war auch der alte Treibel herangetreten und sagte: „Lieber Vogelsang, erlauben Sie mir, das ich Sie mit den Herrschaften bekannt mache; meinen Sohn Otto kennen Sie, aber nicht seine Frau, meine liebe Schwiegertochter — Hamburgerin, wie Sie leicht erkennen werden ... Und hier“, und dabei schritt er auf Mr. Nelson zu, der sich mit dem inzwischen ebenfalls erschienenen Leopold Treibel gemütlich und ohne jede Rücksicht auf den Rest der Gesellschaft unterhielt, „und hier ein junger, lieber Freund unseres Hauses, Mr. Nelson from Liverpool.“

      Vogelsang zuckte bei dem Worte „Nelson“ zusammen und schien einen Augenblick zu glauben — denn er konnte die Furcht des Gefopptwerdens nie ganz loswerden — dass man sich einen Witz mit ihm erlaube. Die ruhigen Mienen aller aber belehrten ihn bald eines Besseren, weshalb er sich artig verbeugte und zu dem jungen Engländer sagte: „Nelson. Ein großer Name. Sehr erfreut, Mr. Nelson.“

      Dieser lachte dem alt und aufgesteift vor ihm stehenden Leutnant ziemlich ungeniert ins Gesicht, denn solche komische Person war ihm noch gar nicht vorgekommen. Dass er in seiner Art ebenso komisch wirkte, dieser Grad der Erkenntnis lag ihm fern. Vogelsang biss sich auf die Lippen und befestigte sich, unter dem Eindruck dieser Begegnung, in der lang gehegten Vorstellung von der Impertinenz englischer Nation. Im Übrigen war jetzt der Zeitpunkt da, wo das Eintreffen immer neuer Ankömmlinge von jeder anderen Betrachtung abzog und die Sonderbarkeiten eines Engländers rasch vergessen ließ.

      Einige der befreundeten Fabrikbesitzer aus der Köpenicker Straße lösten in ihren Chaisen mit niedergeschlagenem Verdeck die, wie es schien, noch immer sich besinnende Vogelsangsche Droschke rasch und beinah gewaltsam ab; dann kam Corinna samt ihrem Vetter Marcell Wedderkopp (beide zu Fuß), und schließlich fuhr Johann, der Kommerzienrat Treibelsche Kutscher, vor, und dem mit blauem Atlas ausgeschlagenen Landauer — derselbe, darin gestern die Kommerzienrätin ihren Besuch bei Corinna gemacht hatte — entstiegen zwei alte Damen, die von Johann mit ganz besonderem und beinahe überraschlichem Respekt behandelt wurden. Es erklärte sich dies aber einfach daraus, dass Treibel, gleich bei Beginn dieser ihm wichtigen und jetzt etwa um dritthalb Jahr zurückliegenden Bekanntschaft, zu seinem Kutscher gesagt hatte: „Johann, ein für alle Mal, diesen Damen gegenüber immer Hut in Hand. Das andere, du verstehst mich, ist meine Sache.“ Dadurch waren die guten Manieren Johanns außer Frage gestellt. Beiden alten Damen ging Treibe jetzt bis in die Mitte des Vorgartens entgegen, und nach lebhaften Bekomplimentierungen, an denen auch die Kommerzienrätin teilnahm, stieg man wieder die Gartentreppe hinauf und trat, von der Veranda her, in den großen Empfangssalon ein, der bis dahin, weil das schöne Wetter zum Verweilen im Freien einlud, nur von wenigen betreten worden war. Fast alle kannten sich von früheren Treibelschen Diners her; nur Vogelsang und Nelson waren Fremde, was den partiellen Vorstellungsakt erneuerte.

      „Darf ich Sie“, wandte sich Treibel an die zuletzt erschienenen alten Damen, „mit zwei Herren bekannt machen, die mir heute zum ersten Male die Ehre ihres Besuchs geben: Leutnant Vogelsang, Präsident unseres Wahlkomitees, und Mr. Nelson from Liverpool.“ Man verneigte sich gegenseitig. Dann nahm Treibel Vogelsangs Arm und flüsterte diesem, ihn einigermaßen zu orientieren, zu: „Zwei Damen vom Hofe, die korpulente: Frau Majorin von Ziegenhals; die nicht korpulente (worin Sie mir zustimmen werden): Fräulein Edwine von Bomst68.“

      „Merkwürdig“, sagte Vogelsang. „Ich würde, die Wahrheit zu gestehen...“

      „Eine

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