Der unbekannte Zille. Erich Knauf
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Der Rest ist Schweigen. Nur noch Briefe, darunter ein Gnadengesuch, das Knauf an Hitler schrieb. Der lehnte es zu seinem Geburtstag am 20. April 1944 ab. Freisler: „Der Ring seiner politischen Entwicklung hat sich geschlossen: die marxistische Grundlage ist wieder wirksam geworden! […] Weil Knauf verurteilt ist, muss er auch die Kosten tragen.“9 Knauf musste also seinen Tod bezahlen. Und da er hinterher nicht mehr dazu in der Lage war, also seine Frau Erna. Die Todesstrafe allein kostete 300 Reichsmark. Die Post erhob eine Gebühr für die Zusendung von 1,84 Reichsmark. Die Kosten der Vollstreckung, also der Ermordung Knaufs, betrugen 158,18 Reichsmark. Und für die Strafhaft vom 6. April 1944 bis zum 2. Mai 1944 musste Erich Knauf 44 Reichsmark zahlen. Das war ja noch preiswert. Die Gebühren für den Pflichtverteidiger, der ein gerechtes Verfahren vortäuschen sollte, beliefen sich auf 81,60 Reichsmark. Und die Briefmarke für die Übersendung der Kostenrechnung musste selbstverständlich auch registriert werden: 12 Reichspfennige. So musste Erna Knauf für die Ermordung ihres Mannes insgesamt 585,74 Reichsmark bezahlen. Auch die Bürokratie der Nazis war von Blut befleckt. Wir können uns solche Grausamkeiten kaum vorstellen, wir, die wir heute immer noch an das Gute glauben.
Als sich das Schicksal für Knauf anbahnte, wandte sich ein Freund von ihm, Ernst von der Decken (1894–1958), an Goebbels und bat um die Begnadigung Knaufs. Ernst von der Decken war Rittmeister a. D. Er war Feuilletonchef der BZ am Mittag und später von 1948 bis zu seinem Tod 1958 stellvertretender Chefredakteur der Hamburger Zeitung Welt am Sonntag. Er glaubte damals als Offizier an Ritterlichkeit, an die Wahrhaftigkeit eines Dr. Goebbels. Er wurde eines Besseren oder genauer, eines Schlechteren belehrt. Später gab von der Decken die Worte Knaufs beim Abschied vor Freunden wieder: „Und wenn die Kunde zu euch kommt, dass ich tot sei, glaubt es nicht! Denkt immer, plötzlich steht der alte Schelm wieder vor euch.“
Es soll außer Ernst von der Decken auch andere Menschen gegeben haben, die es wagten, sich für Knauf einzusetzen. Ilse Werner und Heinz Rühmann zum Beispiel. Aber das ist nicht verbürgt. Die Verwandtschaft hielt sich aus Angst vor Repressalien im Verborgenen. Vielleicht beruhte Erna Knaufs spätere etwas bittere Bemerkung „Ich habe keine Verwandten.“ auf dieser Erfahrung. Nach dem Tod ihres Mannes gab ihr der Intendant des Schiller-Theaters Boleslav Barlog eine Anstellung als Sekretärin. Der Regisseur Erich Engels schrieb ihr einen anteilnehmenden Brief und der Schauspieler Hans Söhnker bot ihr für alle Zeit seine Hilfe an.
Am 2. Mai 1944 erfuhr Knauf 75 Minuten vorher von seinem Tod durch das Fallbeil. Man kann sich kaum in solch eine Situation versetzen. Wir müssen von hier an Erich Knauf allein lassen. Was denkt ein Mensch in einer so kurz noch verbleibenden Zeit? Denkt er überhaupt? Und bäumt er sich noch einmal auf gegen solche Ungerechtigkeit? Was hat er denn so Schlimmes getan? Es ist in den Akten vermerkt, er habe das Urteil gefasst entgegengenommen. Er hat noch einen Brief geschrieben. Welch unwahrscheinliche Kraft hat er dazu aufbringen müssen!
„Meine über alles geliebte Erna! Gerne hätte ich Dich noch einmal gesehen. Deine Stimme gehört. Dich zum Abschied geküßt. Es soll nicht sein. Und so bleibt mir nur, Dir zu schreiben, wie dankbar ich Dir für alles bin, für alles, was Du mir gegeben hast. Es waren zwölf wundervolle Jahre an Deiner Seite. Oft schwere Jahre für uns beide. Du hast es nicht verdient, daß Du nun auch das Schwerste durchmachen mußt. Ich bitte Dich, erhalte Dich dem Leben. Du bist so lieb und gut. Werde wieder glücklich. Verschenke nur Dein großes herrliches Herz nicht so leicht. Werde recht glücklich. Ich bin bis zum letzten Augenblick gefaßt. Herzliche Grüße an alle meine Geschwister, Verwandten und Freunde. Behaltet mich in lieber Erinnerung. Bis zum letzten Herzschlag bin ich, Deinen Namen auf den Lippen, Dein Dir dankbarer, Dich im Geiste beschützender, Dein Erich.“10
Danach wurde Knauf, wie es im Amtston hieß, vorgeführt:
„Nach Feststellung der Personengleichheit des Vorgeführten mit dem Verurteilten beauftragte der Vollstreckungsleiter den Scharfrichter mit der Vollstreckung. Der Verurteilte, der ruhig und gefaßt war, ließ sich ohne Widerstreben auf das Fallbeilgerät legen, worauf der Scharfrichter die Enthauptung mit dem Fallbeilgerät ausführte und sodann meldete, daß das Urteil vollstreckt sei. Die Vollstreckung dauerte von der Vorführung bis zur Vollzugsmeldung 7 Sekunden.“11
Erna Knauf hat nie wieder geheiratet. Man kann, wenn man mit einem Menschen wie Erich Knauf zusammengelebt hat, wahrscheinlich keinen anderen, keinen besseren mehr finden. Sie lebte von ihren Freundinnen umgeben, und später, als sie die Lähmung befiel, wurde sie auch von ihnen gepflegt. Wenn ich in ihre Augen sah, konnte ich ganz da drinnen das Leid erkennen, das sich in sie zurückgezogen hatte und dort erstarrt war. Aber sie hatte eines nicht verloren: ihre Güte.
In einem Chanson Erich Knaufs stehen folgende Zeilen: „Ich käm gern noch einmal / Auf diese Welt! Sehr gern sogar! / Und zwar genau so wie ich war […]“12 Das ist es vielleicht, was wir Hoffnung nennen: Nicht an die Vergänglichkeit des Guten zu glauben.
Der Weg des Buches
Zufälle – sie sind die unsichtbaren Navigationsgeräte unseres Lebens. Als ich den Nachlass Erich Knaufs von Erna Knauf erhielt – Fotos, Briefe, Prozessakten, Gedichte, teils veröffentlicht, teils unveröffentlicht, seine Bücher und die vollständige gebundene Ausgabe der Zeitschrift Die Büchergilde von 1928 bis 1933 – entdeckte ich auch ein Manuskript mit dem Titel „Der unbekannte Zille“. Es war ein Durchschlag, das Original nicht mehr vorhanden. Aufgrund eines Schreibens Erna Knaufs vom 30. November 1947 an den Sachsenverlag in Dresden, dem sie das Manuskript anbot, vermute ich, dass Erich Knauf sein Zille-Manuskript in der Zeit von 1932 bis 1933 geschrieben haben muss.13 Durch seine Entlassung bei der Büchergilde war es Knauf nicht mehr vergönnt, das Manuskript dort zu veröffentlichen. Einzelne Wörter waren bereits durch Lichteinfluss oder den Lauf der Lagerzeit verblasst. Ich hatte Mühe, sie zu entziffern. Meistens gelang mir das nur im Zusammenhang mit dem Satz, der sie umgab. Also setzte ich mich hin, um noch rechtzeitig zu retten, was da vergilbte, und tippte das Manuskript Ende des Jahres 2013 ab.
Wenn Zufälle die unsichtbaren Navigationsgeräte unseres Lebens sind, so war der folgende Zufall wie von fern gesteuert: Michael Pflumm von der Komischen Oper Berlin, Tenor mit internationalem Ruf, entdeckte in einem Antiquariat meine Biografie über Erich Knauf und war nach dem Lesen des Buches derart berührt vom Schicksal Knaufs, dass er sich meine Kontaktdaten besorgte und mich eines Tages anrief. Er hatte in dem Buch einen Chansontext Knaufs – „Ich bin so gerne auf der Welt!“ – gefunden, den er vertonen und singen wollte. Wir unterhielten uns auf Anhieb so, als hätten wir uns schon länger gekannt. Monate später saß er aus beruflichen Gründen in einem Berliner Café mit der Frau des stellvertretenden Chefredakteurs der Zeitschrift Sinn und Form der Akademie der Künste, Dr. Gernot Krämer, zusammen. Als Dr. Krämer seine Frau abholte, kamen sie ins Gespräch und Michael Pflumm sprach bei dieser Gelegenheit von der Lektüre meines Buches. Dr. Krämer rief mich einige Zeit danach an und wollte mehr über Erich Knauf wissen. Ich erzählte ihm von dem unveröffentlichten Zille-Manuskript und meinem Rettungsversuch. Ich sandte es ihm, und er war so davon angetan, dass er sich entschloss, Ausschnitte daraus in Sinn und Form zu veröffentlichen. Ich schrieb eine Nachbemerkung dazu, und alles erschien in der Ausgabe vom Juli/August 2014.14 Dies alles wiederum las der Kunsthistoriker und Germanist Pay Matthis Karstens, welcher ein Buch „Verboten und verfälscht. Heinrich Zille im Nationalsozialismus“ (2012) geschrieben und im Vergangenheitsverlag veröffentlicht hatte. Er setzte sich mit mir in Verbindung, und so kam in einer sehr guten Zusammenarbeit