Der unbekannte Zille. Erich Knauf

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Der unbekannte Zille - Erich Knauf

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aus der öffentlichen Diskussion verschwinden wollte, an etwas Brauchbares: an einen Innenmarkt ohne dutzenderlei Zollschranken, ohne Kirchturmsinteressen, alle Türen offen und alle Taler in rollender Bewegung, und dann an den Anlauf zu imperialistischer Politik, zu friedlicher und – bei dem Gott, der Eisen wachsen ließ! – auch kriegerischer Eroberung der Weltmärkte. Die Märzrevolution, so verunglückt sie auch sein mochte, bedeutete für das Großbürgertum den Beginn einer sehr einträglichen Blut- und Eisenpolitik, die zwei Jahrzehnte später, nach einem Vorstoß auf Paris, im Spiegelsaal zu Versailles ihren Glorienschein empfing, weitere fünfzig Jahre später, nach einer verunglückten Wiederholung dieses Vorstoßes, am selben Ort freilich ihre Konkurserklärung unterschreiben mußte.

      Für den Kleinbürger und den Arbeiter hatte der Ausgang der Märzrevolution eine bedrohliche Wendung genommen. Die neuen Herren waren keine angekränkelten und ihrer selbst nicht mehr sicheren Despoten, denen die Angst vor dem Schicksal ihrer königlichen Kollegen jenseits des Rheins im Nacken saß. Die bürgerliche Oberschicht kannte ihre Bundesgenossen vom März 1848 viel zu gut, um noch Bange vor ihnen haben zu können. Und jetzt räumte sie, trefflich von einer wieder ermutigten königlichen Regierung unterstützt, mit allem auf, was auch nur nach Demokratie und anderen freiheitlichen Verzierungen aussah.

      Die schnell emporschießende Industrie proletarisierte den Kleinbürger, entvölkerte das platte Land und machte aus den Landbewohnern entwurzelte Insassen von Mietskasernen größer und größer werdender Städte. Das moderne Proletariat wurde geschaffen und mit ihm sein Abfall, der „fünfte Stand“, der „Abschaum der Gesellschaft“, das Lumpenproletariat der Gosse, der Kellerwohnungen und Dachböden und Spelunken.

      Die bürgerliche Behaglichkeit, die Franz Krüger im Vertrauen auf den ewigen Fortbestand solcher satten und zufriedenen Zustände mit ruhiger Sicherheit und Breite auf seinen Gemälden dargestellt hatte, wurde bald von den Dissonanzen immer schärfer werdender Klassenunterschiede überschrien. Mit der biederen familiären Auffassung aller Dinge des öffentlichen Lebens wurde aufgeräumt. Für die Pflege einer langsam gewachsenen bürgerlichen Kultur war jetzt keine Zeit. Die oberen Zehntausend, die eine Weltmacht als Rahmen beanspruchten, konnten sich nicht mehr mit dem Stadtbild von Berlin als Hintergrund zufrieden geben. Die gute alte Zeit wurde ins Museum abgeschoben.

      Ein Maler wie Theodor Hosemann, der nach Krüger in Berlin von sich reden machte, interessierte die neue Bourgeoisie wenig. Sie überließ ihn dem Volke, dessen politisches Format mit dieser Kleinkunst übereinstimmte. Die bürgerliche Malerei, kaum in Erscheinung getreten, hörte bereits Mitte des vorigen Jahrhunderts wieder auf, ein bestimmter und eindeutiger Begriff zu sein. Zwischen regierender Bourgeoisie und regiertem Bürgertum erweiterte sich schnell ein tiefer Riß, der auch die künstlerischen Äußerungen dieser Klasse spaltete. Und das war nicht nur in Deutschland so. Zu fast derselben Zeit wurden Daumier und Gavarni in Paris vor die Frage gestellt, ob sie sich für den Boulevard oder für die schmutzige Straße im Quartier der kleinen Leute entscheiden wollten. Daumier ging in das Heerlager der sozialen Revolution und bewahrte damit seine Kunst vor der Verflachung; er wurde der größte Pamphletist seiner Zeit. Gavarni hatte nicht diese Kraft der Entscheidung. Er pendelte zwischen den Klassen hin und her. So kam es, daß Daumier ein großes Kapitel im Buch der Geschichte mit ganzseitigen und von der Wucht großer Gedanken erfüllten Zeichnungen illustrierte, während die geistvolle und ironische Eleganz eines Gavarni nur zu Vignetten und Randzeichnungen eines Anhanges über Launen und Moden dieses Zeitalters langt.

      Theodor Hosemann ist sehr oft mit Gavarni verglichen worden. Er hat zweifellos sehr viel von ihm gelernt, die Auffassung und auch die zeichnerische Manier. Gemeinsam hatte er mit ihm die Vorliebe für die Welt des „kleinen Mannes“, für die Typen der Straße, für das Milieu der unteren Schichten. Die Freude am sarkastischen Witz dieser Leute, an ihrem unbesiegbaren Humor, der ihnen hilft, das schwere Dasein leichter zu nehmen, das Vergnügen an diesen Eigenschaften ist die Grundlage der Kunst eines Gavarni und eines Hosemann. Beide dachten freilich nie daran, es ihrem Zeitgenossen Daumier gleichzutun und ihre Empfindungen zur sozialen Anklage zu steigern.

      Hosemanns Bedeutung entspricht dem historischen Maß des deutschen Kleinbürgertums. Seine zierlichen Zeichnungen mit ihren possierlichen Figürchen und spaßigen Situationen blieben auch dann noch in ihren engen Grenzen, wenn sie Illustrationen zu politischen Satiren sein sollten.

      Es ist die Schicksalsverbundenheit eines Theodor Hosemann mit seiner Zeit, die seinen Zeichnungen das größere Format versagt. Das Kleinbürgertum war an die Wand gequetscht, eine Schicht ohne eigenen Willen, ein Pufferstaat zwischen den neuen Großmächten Kapital und Arbeit. Konnte auf diesem Terrain eine ausdrucksvolle Kunst wachsen?

      Das Schaffen Hosemanns ist nur deshalb bedeutsam, weil die Kunst eines anderen aus ihm die entscheidende Anregung bekam. Der alte Hosemann war Lehrer des jungen Zille.

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