Türzwerge schlägt man nicht. Ralf Sotscheck
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BÜFFEL HABEN KEINE FLÜGEL
Es war eine jener Buchvorstellungen, zu denen man gehen muss, weil man jemanden kennt, der den Autor kennt. Bei solchen Anlässen werden meist billige Weine und »finger food« gereicht. Letzteres besteht aus Würstchen, Hühnerflügeln, Zwiebelringen und anderen fettigen Häppchen. Danach soll man dann das neue Buch in die speckige Hand nehmen und zur Kasse tragen. Genauso gut könnte man auf einer Vernissage Farbbeutel verteilen.
Noirín war gegen ihren Willen von ihrer Freundin Yvonne, die große Stücke auf den Nachwuchsschriftsteller hielt, in die Dubliner Buchhandlung geschleppt worden und hatte entsprechend schlechte Laune. Die besserte sich nicht, als ihr eine Frau vom Partyservice ein Tablett unter die Nase hielt und sie fragte, ob sie einen »Buffalo Wing« möchte. »Büffel haben keine Flügel«, blaffte Noirín die überraschte Kellnerin an. Vielleicht kämen die Hühner ja aus Buffalo, mutmaßte sie, doch Noirín ließ das nicht gelten: »Die Tiere sollen aus Buffalo im Staat New York importiert worden sein? Das glauben sie doch selbst nicht.« Sie wisse auch nicht, warum die Flügel so heißen, meinte die Kellnerin genervt, sie serviere ja nur. Ob sie jetzt gehen dürfe? Noirín ließ sie ziehen, und um weitere Diskussionen mit anderen Gästen zu vermeiden, pries die Kellnerin ihre Ware nur noch als »Wings« an.
Yvonne hatte inzwischen mit ihrem Smartphone nach »Buffalo Wings« gegoogelt und erklärte Noirín, dass die Flügel nach der scharfen Soße benannt worden seien, in der sie gebraten wurden. »Und die stammt tatsächlich aus Buffalo. Das Gericht wurde 1964 von einer Teressa Bellissimo in der Anchor Bar erfunden. Du solltest dich bei der Kellnerin entschuldigen.«
Noirín ging jedoch zur Bar, um sich ein Glas MiWadi zu holen. Das ist ein irisches Fruchtsaftgetränk, das mit dem Werbespruch »It's not your Wadi, it's MiWadi« berühmt geworden ist. Noirín wollte den Rest aus der einzigen Flasche in ihr Glas kippen, als eine ältere Blondine meinte, MiWadi habe ja viel weniger Kalorien als Limonade. Ihr Mann dürfe gar keine Brause mehr trinken, er sei sehr krank, fügte sie hinzu. Ob Noirín vielleicht für ihn beten würde? Das wolle sie gerne tun, antwortete Noirín. »Jetzt!« befahl die Blondine. Noirín ist zwar Atheistin, aber weil ihr die Frau leidtat, faltete sie ihre Hände und sagte das Vaterunser auf. Die übrigen Gäste hatten inzwischen das Interesse an dem Nachwuchsschriftsteller verloren und beobachteten stattdessen Noirín, die eine Fruchtsaftflasche anbetete. Unterdessen aber griff sich die Blondine eben diese Flasche und schenkte sich den Rest ein.
Das war zu viel für Noirín. Sie nahm sich ein paar Buffalo Wings, tatschte danach die Bücher des Nachwuchsschriftstellers an und warnte ihre Freundin Yvonne, dass sie ihr ein Dutzend Büffelflügel in den Hintern schieben werde, falls sie ihr gegenüber noch einmal das Wort »Buchvorstellung« erwähnte. Das hörte die Kellnerin, und sie rief Noirín höhnisch zu: »Ich dachte, Büffel haben keine Flügel!«
ENGLISCHE LÖFFELDIÄT
Engländer mischen sich gerne in Dinge ein, von denen sie nichts verstehen. In kulinarische Fragen zum Beispiel. So hat Professor Charles Spence von der Universität Oxford herausgefunden, dass Joghurt »teurer und cremiger« schmecke, wenn man es mit einem silbernen Löffel isst. Ein Kupferlöffel ist auch nicht schlecht, er lässt Süßes süßer und Salziges salziger schmecken. Gold ist in dieser Hinsicht dagegen ein Versager, es verbessert den Geschmack überhaupt nicht. Wenn man aber Plastiklöffel benutzen muss, sollte man wenigstens darauf achten, dass er sehr leicht sei, meint der Professor. Das lasse Joghurt wertvoller erscheinen, als wenn man es mit einem schweren Plastiklöffel isst.
Die Form spielt dabei auch eine Rolle: Die Holzstückchen, die man in diesen modernen Kaffeeketten als Löffelersatz zum Umrühren bekommt, ruinieren selbst Edelgetränke. Vor allem aber muss man auf die Farbe des Löffels achten. Will man, dass Joghurt süßer schmeckt, muss man einen Löffel benutzen, der dieselbe Farbe wie die Früchte im Joghurt hat. Ein Himbeerjoghurt mit einem blauen Löffel zu essen, wäre demnach töricht. Ein schwarzer Löffel geht gar nicht. Aber warum soll ein Joghurt überhaupt süß und cremig schmecken? Von Natur aus ist es eher herb.
Möglicherweise haben die Betreiber des Gardening Express ihre Gurken mit einem grünen Löffel gegessen, so dass sie süßer schmeckten. Jedenfalls klassifizieren sie Gurken als Obst, ebenso wie Oliven, Auberginen, Butternusskürbisse, Zucchini und Pfeffer. Alles, was Samen habe, sei Obst, meint der Gründer der Webseite, Chris Bonnett. Nach dieser Definition fällt er selbst in diese Kategorie. Der Gardening Express beklagt, dass nur eine kleine Minderheit der Engländer den Unterschied zwischen Obst und Gemüse kenne. Aber sie kennen ja auch nicht den Unterschied zwischen Bier und Hühnerpisse. Vielleicht könnten die Gelehrten aus Oxford untersuchen, ob das warme englische Dünnbier besser aus Silberkübeln schmeckt.
Spences Team von Wissenschaftlern arbeitet jetzt mit Heston Blumenthal zusammen, der in seinem Restaurant »The Fat Duck« neue Löffeldesigns ausprobieren möchte, um »die Erfahrungen der speisenden Gäste zu verbessern«. Spence und seine Co-Autoren schreiben in ihrem Bericht: »Die Ergebnisse kann man benutzen, um Essgewohnheiten zu verändern – zum Beispiel die Größe der Portion oder die Salzmenge.« Löffel als Diätprogramm, warum nicht?
In der englischen Psychiatrie kommen sie schon länger zum Einsatz. Wie bestimmt man, ob ein Patient in eine Anstalt eingeliefert werden soll, wollte ein Besucher vom Direktor wissen. »Wir füllen eine Badewanne mit Wasser und geben dem Patienten einen Löffel, eine Tasse und einen Eimer zur Auswahl, um die Badewanne zu leeren«, antwortete er. Der Besucher kapierte: »Ein psychisch Gesunder würde natürlich den Eimer nehmen, weil er größer als der Löffel und die Tasse ist.« Der Direktor schüttelte den Kopf: »Ein Gesunder würde den Stöpsel herausziehen. Möchten sie ein Bett am Fenster?«
CUSTARD, CHICKEN NUGGETS UND EIN PAAR HAARE
Schulspeisung – welch grässliches Wort. Es klingt nach Turnhallenschweiß, Blechnäpfen, Gummifleisch und leimiger Sauce. Ich weiß das, denn zu meiner Studentenzeit habe ich ein Jahr an einer Belfaster Schule als Deutsch-Assistent gearbeitet und kam mehrmals in der Woche in den Genuss dieser Speisung. Um wegen meines kärglichen Gehalts die Kosten für die warme Mahlzeit zu sparen, meldete ich mich freiwillig zur Essensaufsicht, denn als Lohn durfte man kostenlos mit den Schülern essen. Die aßen jedoch kaum, sondern funktionierten die elastischen Fleischbällchen zu Wurfgeschossen um, die wie Pingpongbälle durch die Halle hüpften, bis einer auf dem Tisch des Schuldirektors landete, was der meiner mangelhaften Aufsicht zuschrieb und den Schülern den Nachtisch strich. Das ertrugen sie mit Freude.
Zum Nachtisch gab es nämlich jeden Tag »Custard«, eine aus Pulver hergestellte Vanillesauce. Die klebrige Masse wurde über alles geschüttet: Kuchen, Eiscreme, Apfelsinen. Zu jener Zeit schlug der Finanzberater der US-Regierung von Ronald Reagan vor, Ketchup als Gemüse zu deklarieren, um die ohnehin niedrigen Anforderungen an die Schulmahlzeiten billiger erfüllen zu können. An meiner Schule galt »Custard« als Gemüse.
Eigentlich sollte die Schulspeisung seitdem verbessert werden. Der Fernsehkoch Jamie Oliver hatte vor ein paar Jahren eine Kampagne gegen Fastfood ins Leben gerufen, worauf die Regierung zusätzliche 280 Millionen Pfund für die Mahlzeiten locker machte. Sogleich organisierte sich eine Gegenbewegung von Eltern, die mehr Fastfood forderten, weil das schließlich zur britischen Grundnahrung gehöre. Es kam zu einem breiten Broccoli-Boykott.
Viel hat sich seit meiner Zeit an der Belfaster Schule offenbar nicht geändert. Die schottische Schülerin Martha