Amour bleu. Andreas Bahlmann
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Andreas Bahlmann
Amour bleu
Roman
FUEGO
- Über dieses Buch -
Gottfried lebt Anfang der 1980er Jahre in Paris. Nach der Trennung von seiner großen Liebe versucht er, dem Liebeskummer zu entfliehen, indem er sich in seinem 2CV, einer Dyane, auf den Weg macht, ohne Ziel durch Frankreich. Doch der Schmerz des Verlustes begleitet ihn und wird nur momentweise durch die Musik aus dem Kassettenrekorder getröstet. Gottfried begegnet unterwegs den verschiedensten, oft bizarren Menschen, und da er offen und neugierig ist, erzählen sie ihm ihre Geschichte. Er reist von der Normandie nach Biarritz und trifft im Waschsalon eines Campingplatzes auf seine neue, große Liebe, Madeleine. Aber Gottfried ist schon einmal geflohen, aus Deutschland, vor seinem gewalttätigen, betrunkenen Vater. Die Erinnerung daran, dass er niemandem Vertrauen schenken darf, quält ihn. Er reist weiter zum Mittelmeer und wieder nach Norden. Die Menschen, denen er begegnet, zeigen ihm, wie sie mit ihrem Unglück umgehen und wie sie sich auf das Glück einer großen Liebe einlassen.
Andreas Bahlmanns Reise-Roman durch Frankreich ist witzig, schrill, traurig und anrührend und wird mit multiplen Rock- und Pop-Klängen untermalt.
***
Liebe ist eine Sache der Duldung und riecht unangenehm.
Tränen sind kein Ausdruck des Leidens, sondern eine Waffe des Mitleids.
Für Umarmungen in meiner Kindheit reicht die Erinnerung nicht aus.
Stattdessen war ich viel alleine und mein Herz pulsierte unbarmherzig gegen die Einsamkeit an, aber auch gegen den Tod, der mich jederzeit ereilen konnte.
Der Herzschlag beruhigt und hält die chronische Todesangst am Leben.
Der Tod soll wie Schlaf sein, nur länger und noch dunkler, schwarz halt und lautlos, vollkommene Stille.
Man muß jederzeit darauf vorbereitet sein, mit einer reinen Seele.
Also empfiehlt es sich doch besser, das Einschlafen zu vermeiden.
Übrig blieben der Spott und die Unfähigkeit zu lieben.
Die Wut auf Tränen.
Die Heimatlosigkeit und die Suche nach irgendeiner Zugehörigkeit, aber auch die Mitleidlosigkeit mit dem Selbstmitleid.
Übrig blieb die kalte Gefühlsdecke der höhnischen Erpressung nach der Umarmung.
Vertrauen macht dich nur erpressbar, und die Eltern sind Verbündete des Fegefeuers.
»Es ist nur zu Deinem Besten!« lallte die urvertraute Stimme aus dem eisigen Nichts der Erinnerung, während ich gegen den Brechreiz ankämpfte, den der besoffene Gestank seiner Worte in mir erzeugte, bevor ich verprügelt wurde, um mich für das Leben abzuhärten. Manchmal zerbrach der Kleiderbügel an der Härte des Lebens, das angeborene Urvertrauen am splitternden Holz.
Später meine Liebe.
Sie war gegangen.
Der Platz neben mir war leer.
Ich war entsetzt, vielleicht auch verzweifelt, aber nicht überrascht.
Ich hatte es so sehr gewollt, auch versuchen wollen.
Und ich war wieder allein, mein Leben kannte sich damit gut aus.
Da war ich sicher vor dem Vertrauen zu anderen.
Und auch frei von dem Vertrauen der anderen.
Aber ich hatte Liebeskummer, und es schmerzte unendlich.
Ich schaute aus dem Fenster.
Mein zerrissenes Herz, meine rotgeweinten Augen, lautlos versiegende Tränen, die sich in salzigen Flussbetten durch mein rotfleckiges, erschöpftes Gesicht fraßen.
Tränen wie brennender Regen erzeugten Feuerqualen, so heiß, daß sie mich vor Kälte erfrieren ließen, ...weil unsere Liebe zerbrochen war.
Sie hatte ihren Kopf nach vorne gebeugt, ihre langen, dunklen Locken hingen herab, teilten sich an ihrem Hals und legten ihren schönen Nacken frei. Ich wollte ihn küssen, tat es aber nicht, weil ich es einfach nicht konnte.
Ich tat und konnte vieles nicht, auch wenn ich es mir sehr wünschte, aber früher oder später wird es dann doch wieder gegen dich gedreht und brutal in deine Seele zurück gestochen. Also blieb ich stumm sitzen.
Sie schüttelte kurz und heftig ihre Haare und schaute mich aus großen, mit Tränen gefüllten Augen an. Aus ihrem sanften Gesicht schrie eine tiefe Traurigkeit. Es schnürte mir die Kehle und mein Herz zu und fesselte mich, zu keiner Bewegung fähig, auf meinem Platz. Ich begann, an ihren Gefühlen und meinen Gefühlen qualvoll zu ersticken. Sie wischte sich mit ihrem grazilen Zeigefinger unter ihrer Nase entlang und schluchzte schniefend.
Wie sehr wünschte ich mir, die salzigen Perlen ihrer von Tränen benetzten Augen mit meinen Lippen aufzunehmen, sie zu trösten oder sie wenigstens zu umarmen.
Aber ich konnte es nicht.
Es ging einfach nicht.
»Es ist nur zu Deinem Besten!« lallte es höhnisch aus dem eisigen Nichts.
Ich wollte Isabelle, aber wieso konnte ich ihre Liebe und ihre Umarmungen manchmal nur ertragen?
Wie ein Tiger in seinem zu kleinen Käfig lief ich vor den Gitterstäben meiner Seele auf und ab. Mein Herz stolperte beim verzweifelten und doch vergeblichen Versuch, mit heftigen, sich selbst überschlagenden Pulsschlägen meine Liebe zu ihr hinaus zu pumpen.
Die Gitterstäbe standen zu fest und hielten dicht, so sehr ihre Augen auch flehten.
Jeder ihrer Wimpernschläge schnürte das Vakuum enger um meine nach Luft ringende Liebe.
Alles tat weh, viel mehr als alles.
Dann war sie schluchzend aufgestanden und wortlos gegangen.
Sie ließ nicht nur mich zurück, sie ließ einfach alles zurück.
Und ich war sitzen geblieben.
Stumm schrie ich immer wieder ihren Namen heraus, aber sie würde mir nicht mehr antworten.
Sie würde es nicht mehr wollen, es war vorbei.
Isabelle war fort.
Ihr Platz fühlte sich immer noch warm an, und meine Tränen konnten diese Liebe nicht zum Erkalten bringen.
Früher hatte ich nie geweint. Jetzt wollte ich so sehr, dass sie noch vor mir sitzen würde, auf dem grünen Samtkissen am Boden, zart lächelnd aus ihren großen Augen schauend, mit behutsamer Zärtlichkeit und verspielt eine Haarsträhne um ihre Finger wickelnd, um sie dann aus ihrem Gesicht zu streichen.
Ich liebte Isabelle. Ich hätte es ihr sagen und zeigen müssen! Aber darf man einem Menschen, den man liebt, auch gleichzeitig