Amour bleu. Andreas Bahlmann
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Das Geschenk der Liebe, eine wohltuende Ausnahme angesichts der rastlos hastenden und eilenden Passanten-Gemeinde.
Einige übertrieben es mit der Terminhetze und rempelten rücksichtslos einen auf seinen Handstock gestützten vorsichtig dahintappenden Greis an. Andere verfehlten im Sprint gegen die Zeit nur um Haaresbreite eine mit schweren Tragetaschen bepackte, gebeugt gehende alte Frau, die dadurch fast zu Fall kam.
Die alten Leute hatten unendlich viel Zeit und Würde in ihren Bewegungen und erschienen wie lebende Mahnmale wider die Hetze des geschäftigen Lebens.
»Was für ein irrsinniger Wahnsinn«, dachte ich beim Betrachten dieser Szenerie auf dem Trottoir vor mir.
Im selben Moment sprang unvermittelt mein Tischnachbar auf. Dabei schleuderte sein Stuhl in die Sitzgruppe hinter ihm. Das allein wäre nicht so schlimm gewesen, wenn nicht in diesem Augenblick eine Pelzmantel-Frau mit überladener Figur und üppig aufgetragenem Make-up und Wimperntusche ein etwas zu großes Stück Torte auf der zu kleinen Kuchengabel balanciert hätte, um damit ihren apricotfarbenen Pudel zu füttern.
Der schwungvoll umkippende Stuhl versetzte der Frau einen Stoß, sie erschrak und das Stück Torte krönte den mit rosa Schleifchen versehenen Fellschopf des Pudels mit einer klebrig-süßen Krone aus Zucker und Sahne.
Die Frau kreischte auf, und für einen Augenblick verstummte fast alles im Bistro. Der Schrei erschreckte meinen aufgesprungenen Tischnachbarn, er drehte sich mit wirbelndem Mantel um.
Natürlich befand sich daraufhin mit Schlagsahne verzierter Kaffee auf dem zart violetten Kostümrock der Dame mit Pudel. Mit vor Entsetzen entgleisten Gesichtszügen und hysterisch nach Luft japsend fuhr die Dame hoch, und der Pudel purzelte zu Boden. Laut knisternd und funkensprühend unterstrich der synthetische Kostümstoff jede ihrer Bewegungen. Im selben Moment war die sahnige Torten-Krone als Beute in der apricotfarbenen Hundeschnauze verschwunden.
Mit tief gesenktem Blick und verlegen um Worte ringend entschuldigte sich mein Tisch-Geselle bei der fassungslosen Frau für sein Malheur. Mit hilflos ungelenken Bewegungen versuchte er, die Sahne- und Kaffee-Flecken wegzuwischen. Der Reinigungserfolg war nicht einmal mäßig, dafür waren die Flecken jetzt großflächig verteilt.
Mit einem wutschnaubenden »Weg hier!« wischte die Pelzmantelfrau den mit Lappen und Handtuch herbeigeeilten Kellner zur Seite.
Mein Tischnachbar unterbrach abrupt seine entschuldigenden Gesten. Mit ungläubigem Blick starrte er die Dame an:
»… Nati …, Du? … Du bist es tatsächlich! … Daß wir uns so wiedertreffen würden …«
Weiter kam er nicht, zu gewaltig schüttelte ihn eine Lachsalve. Mehr zu sagen war aber auch gar nicht möglich, denn Pelzmantel und rosa Dutt wurden bereits von der bekleckerten Dame mit kurztaktigen Schritten zum Ausgang gestöckelt.
Der zuvor ungehalten weggewischte Kellner schickte sich an, mit der unbeglichenen Rechnung in der hocherhobenen Hand hinterher zu eilen, aber meine Tischbekanntschaft signalisierte, die offenen Kosten von Pudel mit Dame zu begleichen.
Die Situation hatte sich wieder beruhigt, und das zwischenzeitliche Raunen der Gespräche erreichte bald wieder die gewohnt lebhafte Lautstärke. Mein Tischnachbar hob den umgestoßenen Stuhl auf und setzte sich mit grinsenden Gesichtszügen wieder an den Tisch.
Ich sagte nichts, sondern schaute ihn nur fragend an.
Nach einer Weile begann er, anfangs zögerlich, zu erzählen:
»… meine Ex-Frau, … Renate, … sie wollte immer, dass ich sie Nati rufe, weil es so süß und reizend nach kleinem, zierlichen Mädchen klingt. Mich nannte sie ›Schandi‹ …«
»Schandi?« unterbrach ich meinen gerade in Redefluss gekommenen Tisch-Partner.
»Na, weil … oh Pardon, wie unhöflich von mir …, gestatten Sie, dass ich mich Ihnen vorstelle. Mein Name ist Chandon, ich heiße Chandon Marôt, « entgegnete er und streckte mir über den Tisch seine Hand entgegen. Ich ergriff sie und stellte mich ebenfalls vor:
»Ich heiße Gottfried Joseph. Sehr erfreut, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Chandon zog die Stirn ein wenig kraus und überlegte: »Gottfried …, ich kenne den Namen …, in Frankreich heißt es Geoffroi ...«
»Geoffroi,« dachte ich, »… ja, das klingt auch nicht schlecht, es klingt sogar richtig gut …«.
Chandons Händedruck war freundlich, fest und warm.
»Wir sagen Du?« fragte ich ihn.
»Aber ja, selbstverständlich ...,« antwortete er lächelnd.
Chandon erzählte mir seine Geschichte mit Renate.
Er hatte sich, einige Jahre vor unserer Begegnung im Les Colonnes wegen seelischer Grausamkeit von ihr scheiden lassen, und ausgerechnet der apricotfarbene Pudel habe ihm »buchstäblich sein Leben zurückgegeben«.
Renate flirtete und tüterte ständig mit diesem bis zur Dekadenz verwöhnten Pudel herum, dass es nicht mehr zu ertragen war. Aber nicht nur deswegen hatte sich Chandon immer wieder gefragt, wie er eigentlich und überhaupt in diese Ehe hineingeraten konnte.
Mehrere für Chandon ungünstige Faktoren bildeten im Zusammenhang eine knüppelharte Konstellation:
Renates Vater war ein roher, bulliger, noch dazu großer und humorloser Mann. Als Chandon vor dem Standesbeamten stand, spürte er, wie der gefährlich warme Atem seines künftigen Schwiegervaters stoßweise in seinem Nacken und Hemdkragen kondensierte.
Die Lage hinter Chandon war damit also geklärt. Die Beantwortung der Frage des Standesbeamten vor ihm jedoch noch nicht, bis Renate ihren spitzen Stöckelschuh-Absatz auf seinem Fuß fixierte. Sie bohrte gnadenlos, mit einer unbarmherzigen Druck- und Zielfestigkeit. Ihr Gewicht war nicht ohne, ihr Schuh noch dazu aus knallrotem Knautschlack.
Chandon beugte sich, vom physischen und optischen Druck traumatisiert.
»Es ist wirklich schwer vorstellbar, nicht wahr?« schob Chandon ein, als er meinen immer stärker zweifelnden Gesichtsausdruck registrierte. »Irgendwie kam ich aus dieser ganzen Nummer nicht mehr heraus ...,« beteuerte er.
Dann schaute er mich mit eindringlichem Blick an:
»Das war alles wie ein lähmender Albtraum, das kannst Du mir wirklich glauben. Es war ein verdammter Albtraum...«
Der Standesbeamte hatte ihm also die eine, alles entscheidende Frage gestellt und schaute ihn fragend und mit bohrenden Blicken an.
»Ja …«, preßte der gemarterte Bräutigam mit letzter Kraft heraus.
Der Druck auf seinem Fuß verpuffte schlagartig, der heiße Atem in seinem Nacken kühlte ab, und Chandon fiel erleichtert in sich zusammen.
Anschließend rammte Renate ihm bei der nachfolgenden Ringzeremonie mit robuster Zärtlichkeit den Ring bis zum Handflächen-Anschlag auf den Finger.
»Ich dachte einen Moment wirklich, meine Hand wäre bis zum Handgelenk aufgerissen«, erinnerte sich Chandon an die Tortur.
Unwillkürlich