Amour bleu. Andreas Bahlmann
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»Ich bin nicht tatterig!« dachte der Froschkönig, als er aufwachte und sich den Schlaf aus den Tränensack-Augen rieb. Laut und mit einem langgezogenen Quaken gähnte er und hoffte auf einen guten Tag.
Nur hoffte er das jeden Tag aufs Neue.
Der Froschkönig Arno Rudolf Wenz-Desolatis entstammte einem alten Froschkönig-Geschlecht von reinster adeliger Abstammung. Arno und seine adeligen Vorfahren verband seit jeher die Hoffnung, entweder zum Prinzen geküßt oder an die Wand geklatscht zu werden... mit dem gleichen Ziel, sich in einen schönen Prinzen zu verwandeln.
Der zweite Weg der Hoffnung lag bisher immer näher, denn Arno war äußerst fett, wabbelig, warzig und von abschreckender, monströser Dummheit. Er war schon einigen Prinzessinnen begegnet, doch küssen wollte ihn keine, dafür hatte er schon viele Wände gesehen.
Arno war ein wunderschöner Prinz, das dachte er – nur die Prinzessinnen waren immer die falschen, das wußte er. Die falschen Prinzessinnen und die ungezählten Wände hatten letztlich zu einer zusätzlich degenerierten Optik seines Äußeren beigetragen, die nicht nur seine Krone arg verbeult hatten. Aber mit einer Prinzessin war er sogar mal verheiratet.
Sie hieß Lieselotte Wenz.
Lieselotte war eine Kröte, die keiner haben wollte. Nach einem günstigen Moment vorteilhafter Beleuchtung hatte sie den warzigen Arno an ihren Hacken. Er sah in ihr die Einlösung all seiner Hoffnungen, und sie war für ihn seine Prinzessin.
Sie küßten sich leidenschaftlich, aber Lieselotte war keine Prinzessin.
Sie küßten sich trotzdem noch einmal... – ohne Erfolg.
Sie machten einen Probewurf, aber Lieselotte warf daneben.
Sie war keine Kröte für nur eine Nacht, und sie heirateten. Fortan übten sie jeden Tag, aber schließlich trennte sie sich wieder von ihm, allerdings ohne jemals die Wand getroffen zu haben.
So saß er da und dachte wehmütig zurück an die Zeiten voller leidenschaftlicher Würfe und Wandverfehlungen mit Lieselotte. Jeder Tag mit ihr hatte ihn, Stückchen für Stückchen, näher ans ersehnte Ziel herangebracht, aber es sollte beim schicksalhaften »fast« geblieben sein.
Arno gähnte träge quakend und hoffte auf einen guten Tag...
»Was für ein Blödsinn! … was für eine Geschichte…« schüttelte ich, über meine eigenen Gedanken breit grinsend, den Kopf. Begann etwa meine Phantasie mit mir Amok zu laufen?
Ich erhob mich vom Steg und verließ das unmittelbare Seine-Ufer, allerdings nicht, ohne noch einmal einen Blick in die braune Fluß-Brühe zu werfen. »Ich bin nicht tatterig ...,« wiederholte ich lautstark zu mir selbst. Laut genug, um verwunderte Blicke eines Pärchens auf mich zu ziehen, welches einige Schritte von mir entfernt händchenhaltend am Ufer der Seine saß.
»Ist doch wahr – oder?« rief ich zu ihnen hinüber. Ihren irritierten Blicken nach zu schließen, zweifelten die beiden Liebenden nicht nur wahrscheinlich an meinem Verstand.
Mir war’s egal. Mir war wieder so richtig elend zumute, und eines wurde mir immer mehr klar:
Das einzige Große in unserer Liebe war die Wand, gegen die Isabelle und ich ungebremst geprallt waren.
Jeder von der anderen Seite. Ich von innen und Isabelle von außen.
Es gab keine Chance auf ein Durchkommen, aber es gab auch kein Zurück mehr, um vielleicht doch noch einen anderen Weg zu suchen und zueinander zu finden.
Ihre Augen waren so schön, doch reflektierten sie nur das Licht der Sonne, auch wenn diese Erkenntnis unerträglich weh tat.
Ihr Platz ist noch warm gewesen, aber hoffnungsleer.
Die Wärme ihres Platzes würde erst mit dem Nachlassen der Schmerzen meines glühenden Verlangens nach ihrer Sinnlichkeit erkalten.
Den jüngst erlebten musikalischen Bankrott in der Kirchengemeinde wollte ich dennoch nicht so stehen lassen.
Ich brauchte ganz dringend ein seelisches und musikalisches Fallnetz und blieb in meiner Suche nach einem gedanklichen Rettungsanker beim Caveau de la Huchette hängen. Bis dorthin lag zwar ein gutes Stück Wegstrecke vor mir, aber mir war überhaupt nicht nach dem Schlund der Pariser Metro zumute, also machte ich mich zu Fuß auf ins Quartier Latin.
Mein Weg führte mich weiter am Ufer der Seine entlang. Einige Stände der »Bouquinistes« hatten zu dieser später Stunde noch geöffnet, und ich blieb ab und zu stehen, um einen Blick auf die angebotenen Bücher oder auch kleinen Plakate und Bilder zu werfen. Ich mochte diese kleinen Bücherstände, die in großen, aufklappbaren Holzkisten auf den Mauern des Seine-Ufers, im Herzen der Stadt, angebracht waren und während der Schließungszeiten mit alten, verrosteten Vorhängeschlössern gesichert wurden.
Ich verließ das Seine-Ufer und überquerte die mehrspurige Straße.
Der Caveau de la Huchette, einer der ältesten Jazzkeller Europas, ist beheimatet mitten im Quartier Latin, diesem engen, lebhaften und geschäftigen Viertel in Paris, mit seinen nie versiegenden Touristenströmen. Unzählige Bistros, Bars, Restaurants, Läden aller Art, Mini-Imbisse, Kunstgalerien und Eisdielen säumen dicht an dicht die engen Gassen. Straßenkünstler, Maler, Clowns, Musiker, Bands, Tänzer, Akrobaten, Pantomimen, lebende Statuen, betrügerische Trickspieler und fliegende Händler mit ihren Schmuggelwaren nutzen jede noch so kleine Nische, die die Straßen, Bürgersteige und Plätze freigeben.
Ich durchstreifte die Rue St. André des Arts und blieb bei zwei Stepptänzern stehen, die sich ein atemberaubendes Tanz-Duell lieferten. Sie schlugen sich abwechselnd ab und trieben gegenseitig ihre schwitzenden, drahtigen und durchtrainierten Körper zu tänzerischen Höchstleistungen an. Dicke Schweißperlen tropften in Strömen von ihren strahlenden Gesichtern, und ihr unbändiger Spaß übertrug sich schnell auf die im Kreis um sie herum anwachsende, mitklatschende und lachende Zuschauermenge.
Das Finale steppten sie synchron. Rasant und mit höchster Präzision inszenierten die beiden Stepptänzer einen atemberaubenden Showdown, der mich für einen Moment alles andere vergessen ließ. Die Zuschauer waren begeistert, und der durch die Reihen gereichte Hut füllte sich schnell.
Beschwingt durch das »taggedidagdag, taggedidagdag…« zog ich mit federnden Schritten weiter.
Überall um mich herum ertönte in Fetzen Stimmengewirr. Trotz der nächtlichen Kühle saßen viele Menschen draußen an den Tischen der Restaurants, Bars und Cafés. Ihre Unterhaltungen übertönten und durchmengten sich mit dem Verkehrslärm und der allgegenwärtigen, französischen Akkordeon-Musik, die mit ihren virtuosen Melodien aus allen Richtungen zu wehen schien.
Schließlich stand ich vor dem unscheinbar in der Straßen-Szenerie liegenden Eingang zum Caveau de la Huchette.
Ich bezahlte an der Kasse, erhielt einen Verzehr-Bon und tauchte in die Höhlenwelt des Jazz ein, in der ich zunächst so gut wie nichts sah, weil der Weg in den Club durch einen schummrig beleuchteten, tiefschwarz gestrichenen Tunnel-Korridor führte.
Außer mir