Honoré de Balzac. Wolfgang Pohrt
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Die hohe Dotierung des Feuilletons verbunden mit seinem großen Absatz verhalf den Schriftstellern, die es belieferten, zu einem großen Namen im Publikum. Es lag für den Einzelnen nicht fern, seinen Ruf und seine Mittel kombiniert einzusetzen: Die politische Karriere erschloß sich ihm fast von selbst. Damit ergaben sich neue Formen der Korruption, und sie waren folgenreicher als der Mißbrauch bekannter Autorennamen. War der politische Ehrgeiz des Literaten einmal erwacht, so lag es für das Regime nahe, ihm den rechten Weg zu weisen. 1846 bot Salvandy, der Kolonialminister, Alexandre Dumas an, auf Regierungskosten – das Unternehmen war mit 10.000 Francs bedacht – eine Reise nach Tunis zu unternehmen, um die Kolonien zu propagieren. Die Expedition mißriet, verschlang viel Geld und endete mit einer Kleinen Anfrage in der Kammer. Glücklicher war Sue, der aufgrund des Erfolges seiner »Mystères de Paris« nicht nur die Abonnentenzahl des »Constitutionnel« von 3600 auf 20.000 brachte, sondern 1850 mit 130.000 Stimmen der Arbeiter zum Deputierten gewählt wurde.
Mit dem Erwerb von Ruhm und öffentlicher Anerkennung zunächst, die dann als Sprungbrett für den Vorstoß zur Macht benutzt werden können, sind die Erwartungen umrissen, die damals ein Schriftsteller mit einer erfolgreichen Karriere verbinden durfte. Das Feuilleton – im Jahre 1800 von Abbé de Geoffroy am »Journal de L'Empire«, dem späteren »Journal des Débats«, eingeführt und schon damals bezahlte Reklame – war die Lotterie, wo man durch den Einsatz allein seines Kopfes und seiner Feder Ruhm, Macht und Reichtum gewinnen konnte. Und mehr als seinen Kopf und seine Feder einsetzen konnte Balzac nicht, da er aus mittelmäßigen Verhältnissen stammte – er wurde 1799 als Sohn eines Beamten in der Provinz geboren. Er hätte also Advokatenschreiber bleiben, seine Jurastudien abschließen und später vielleicht Notar werden können, ein ebenso ehrenwertes wie namenloses Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft. Ein glanzloses Leben von bloß lokaler Bedeutung anzustreben aber wäre ein Rückfall gewesen hinter die politische und ökonomische Entwicklung, denn mit der Integration aller Regionen Frankreichs zur Grande Nation, mit dem Niederreißen aller Standesbarrieren und der Abschaffung formeller Geburtsprivilegien hatte die große Revolution nicht nur die Arena oder die Bühne neu abgesteckt, auf welcher der ehrgeizige Einzelne sich bewähren musste, sondern gleichzeitig alle Zugangsbeschränkungen aufgehoben. Im Prinzip oder der Möglichkeit nach war fortan jeder die reichste und mächtigste Berühmtheit Frankreichs, und bezeichnend für Balzac wie viele seiner Romanhelden ist, dass sie diese revolutionäre Neuerung beinahe als moralische Verpflichtung betrachten, als Verpflichtung dazu, nicht bescheiden zu sein oder, wie dies auf Deutsch so prägnant scheußlich heißt, daheim zu bleiben und sich redlich zu nähren. Mit zwanzig Jahren gab Balzac daher seine Kanzleilaufbahn auf und beschloss, zum Schrecken seiner Familie, Schriftsteller zu werden. In den nächsten fünf Jahren schrieb er nach Auskunft seiner Schwester, die die Abschriften besorgte, etwa vierzig Romane. Ungefähr ein Dutzend davon hat er publiziert, alle unter Pseudonym. Auch als er sie viel später aus rein finanziellen Gründen wieder herausgab, hat er sie nicht mit seinem Namen gezeichnet.
Nach fünfjähriger Schreibarbeit zieht Balzac – er ist gerade 26 Jahre alt – Bilanz: Er selbst hatte nichts an seinen Romanen verdient, verdient hatten daran nur die Verleger. Im Gegensatz zu seinen larmoyanten Nachfolgern ist er konsequent: Wer siegen, also Niederlagen zufügen will, darf sich auch über erlittene Niederlagen nicht beklagen. Statt über die Ausbeutung der Geistesschaffenden durch den schnöden Kommerz zu lamentieren, gründet Balzac einen Verlag, mit welchem er keine literarischen Ambitionen verbindet, sondern woran er nur verdienen will. Keine Risiken, also keine unbekannten Talente und keine zeitgenössische Literatur, lautet seine Geschäftspolitik, sondern Klassiker in billigen, einbändigen Ausgaben, die allerdings, weil sie zu klein und eng gedruckt waren, kaum gekauft wurden. Als Unternehmer geht Balzac statt literarischer lieber unmittelbar ökonomische Risiken ein und muss dabei die Erfahrung machen, dass der bloße Wille noch keinen Profit schafft. Er beschließt, seinen kränkelnden Verlag durch Expansion zu sanieren, kauft zusätzlich eine Druckerei und gründet ein Jahr später eine Kommanditgesellschaft, um auch noch eine Schriftgießerei zu erwerben. Ein weiteres Jahr später ist Balzac bankrott. Statt des erhofften Vermögens hat ihm sein kleiner Konzern 47.000 Francs Schulden eingebracht, und es bleibt ihm nichts übrig als zurückzukehren zum alten, finanziell erfolgreicheren Beruf, also wieder selbst zu schreiben. 1829 erscheint unter dem Titel »Die Königstreuen« der erste Roman, den Balzac mit seinem Namen zeichnet und den er später in die »Menschliche Komödie« übernehmen wird. Im Jahre 1831 fügt er eigenmächtig seinem Namen die Adelspartikel bei und nennt sich fortan Honoré de Balzac.
Neben dem riesigen Romanwerk selbst produziert er zahllose Artikel für die Presse. Unter eigenem Namen schreibt er für eine legitimistische Zeitung, unter Pseudonym für die Linksopposition, und unter einem weiteren Pseudonym veröffentlicht er selbst verfasste Rezensionen eigener Werke. Die rührige und mit allen Wassern gewaschene Promotion-Agentur Balzac ist dabei als Existenzbedingung für den gleichnamigen Romancier zu betrachten, denn nur dem Einfluss, den Balzac als Journalist im Feuilleton hatte, ist jener Erfolg zu danken, der ihn zum »Zwangsarbeiter des Ruhms«, wie er sich selber nannte, machte. Nur von einem »Zwangsarbeiter des Ruhms« oder – wie Balzac in den »Verlorenen Illusionen« schreibt – »Märtyrer des Erfolgs« aber, nicht etwa von einer dichterischen Begabung oder einem literarischen Naturtalent konnte das kolossale Werk geschaffen werden, bei dessen Niederschrift Balzac in den folgenden achtzehn Jahren seine Gesundheit ruinierte und seine Kräfte vollkommen verschliss.
Voraussetzung der nachträglich, erst 1841 vorgenommenen Gruppierung aller mit Namen gezeichneten Romane zum Gesamtwerk, zur »Menschlichen Komödie«; Voraussetzung auch des schon früher eingeführten Prinzips der Verknüpfung aller Romane durch ständig wiederkehrende Personen war die Serie. Die Romanserie aber, deren enzyklopädischen Anspruch Balzac später durch ihre Gliederung in philosophische Studien, Sittenstudien, Szenen aus dem Privatleben, Szenen aus der Provinz usw. unterstreicht, ist zunächst keine innerästhetische oder innerliterarische Angelegenheit, sondern sie ist von den Erfolgszwängen des Marktes diktiert. Den Autor als Warenzeichen und seine Romane als Markenartikel vorausgesetzt, kann das eigentliche Geschäft erst nach Veröffentlichung des Meisterwerks beginnen, dann, wenn der Name bekannt genug ist, um den Absatz der folgenden, mit ihm gezeichneten Arbeiten zu garantieren.
Der Autor stellt für den Verleger ein Investitionsobjekt dar, welches nur auf lange Frist gerechnet Gewinn abwerfen kann. Selbst wenn das Debüt eines unbekannten Schriftstellers gelingt, sind die Kosten, die angefallen waren, um den Autor bekannt zu machen und das Buch zu lancieren, kaum gedeckt. Erst an den folgenden Titeln kann der Verleger verdienen, erst die Serie vermag den Spekulationsgewinn zu erwirtschaften, der dem hohen Risiko entspricht, welches der Verleger eingegangen war. Üblich war es daher, Verträge nicht über einen, sondern gleich über mehrere Romane abzuschließen, das singuläre, eine großartige Werk, das Meisterstück, woran der Dichter ein Leben lang herummurkst, wurde unverkäuflich.
So produzierten in Frankreich die Schriftsteller unter dem Formgesetz der industriellen Massenproduktion schon zu einer Zeit, als in der gewerblichen Güterproduktion die Fabrik noch kaum eine Rolle spielte. Zum Beweis dafür, dass eine Belehrung nicht zwangsläufig auch langweilig sein muss, hat Balzac selbst diese Zusammenhänge in den »Verlorenen Illusionen« viel eindringlicher, farbiger und packender beschrieben, als dies hier geschah.
Die Serie, die fortan das Produktionsprinzip von Literatur sein wird, begann damals schon auch das Formgesetz der Produkte selber zu werden: Der Autor soll nicht nur Romane am laufenden Meter liefern, sondern am laufenden Meter solche von gleicher Art und Qualität. Brecht, der selber nach Kriminalromanen süchtig war, hat die Erwartungen glossiert, die der Leser an den literarischen Markenartikel richtet: »Wenn Sie einen Kriminalroman aufschneiden, dann wissen Sie genau, was Sie wollen. Eine Überraschung verbitten Sie sich.«
Die äußere Existenz des Feuilletonromans als literarischer Markenartikel von standardisierter und möglichst reproduzierbarer Qualität führt zur Typisierung und Schematisierung der Charaktere und Handlungen schon, bevor der Held Phil Marlowe heißt und stets