Honoré de Balzac. Wolfgang Pohrt
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Rezepte, wie erfolgreiche Romane hingesudelt werden müssen, hat Balzac im »Chagrinleder« und in den »Verlorenen Illusionen« oft beschrieben, und um die pietätlose, unandächtige, neudeutsch: zynische Art, wie er vom literarischen Wirken und Schaffen, namentlich seinem eigenen, sprach, ranken sich zahlreiche Anekdoten, z.B. die folgende, von Françoise d'Eaubonne berichtet und kommentiert:
Als während eines großen Abendessens die Gäste wünschten, daß er über Kunst und Literatur spräche, erzählte Balzac des langen und breiten zur Unbehaglichkeit aller Anwesenden, welche Intrigen er spann, um sein Werk auf das beste anzubringen! Man versteht, daß die Spitzen der Gesellschaft ihn für grob und vulgär erklärten. Er getraute sich, ganz offen zu sagen, was man tut, worüber man aber niemals spricht! Selbst Flaubert ist in seiner Korrespondenz darüber erstaunt. Wie wenig Liebe zum Schönen und wie viel Liebe zum Geld denkt er. Aber so spricht ein Rentier. Zwar ein kleiner Rentier und einer, der auf fast alle menschlichen Freuden aus heroischer Liebe zur Literatur verzichtet hat, gewiß, aber eben doch ein Rentier, der es nicht nötig hat, zum Brotverdienen seine Arbeitskraft zu verkaufen.
Ganz ähnlich lautet der Bericht über eine andere wahre oder doch zumindest sehr gut erfundene Begebenheit:
Bei einem großen Essen waren alle Eingeladenen begierig, die erhabenen Betrachtungen zu vernehmen, deren er fähig wäre. Balzac erging sich lange über ... Verträge und geplante Kombinationen zur Ausbeutung seines Werkes. Nach einer Weile konnte seine Gastgeberin – eine vornehme Ausländerin – sich nicht mehr zurückhalten: »In Ihrem Land scheint mir die Literatur ebenso ein Objekt der Spekulation wie eine Kunst zu sein!« Daraufhin Balzac: »Sie ist nur noch ein Spekulationsobjekt!« Man hatte schon ähnliche Ideen von ihm vernommen, aber vielleicht hatte er seinen Gedanken noch nie so freien Lauf gegeben. Das Einzige, was er zu erwähnen vergaß, war die große Mühe, die er sich gab, und die Gewissenhaftigkeit, mit der er seinem Genie diente.
Seinem Genie – wenn es denn so etwas gab – hat Balzac zwar weniger gedient, als dass er es vielmehr ruinierte; mit außerordentlicher und im Wortsinne aufopfernder Hingabe aber hat er seine Romanmanuskripte gehätschelt. Wie später Proust, so muss Balzac damals, als es noch keine Schreibmaschinen gab, der Schrecken aller Schriftsetzer gewesen sein. Den ersten Fahnenabzug behandelte er als Rohmanuskript, und die Änderungen und Ergänzungen, die er darauf anbrachte, waren oft umfangreicher als der gedruckte Text. Mindestens vier und bis zu sieben Fahnenabzüge waren nötig, ehe Balzac seine Romantexte für den Druck freigab.
Die rund achtzig Romane, die er zwischen 1829 und 1848 verfasste, hat er also, ehe die Werke in endgültiger Fassung und in Buchform vorlagen, nicht einmal, sondern viermal geschrieben. Allein schon die physische Leistung dieser gigantischen Schreibarbeit hätte Balzac dazu berechtigt, sich in Briefen als Galeerensklaven zu bezeichnen. Für den Feuilletonschreiber, der es offenbar genoss, ein feinsinniges Publikum durch ostentativ zur Schau gestellten Geschäftssinn zu brüskieren und der einer jungen, vornehmen Verehrerin einmal schrieb: »Unter uns gesagt: ich bin nicht tiefgründig, sondern recht dick«; für diesen Unterhaltungsschriftsteller, dessen sämtliche Romane im Auszug oder als kompletter Vorabdruck in Zeitschriften und Tageszeitungen erschienen waren, bedeutete die gewissenhafte Korrektur und Ergänzung der Fahnenabzüge ökonomisch betrachtet nichts anderes als unbezahlte Mehrarbeit. Die schnulzige Formel, ein Künstler habe der Menschheit etwas geschenkt, trifft bei Balzac, der gegen Zeilenhonorar als Gratiszugabe Literatur ablieferte, ausnahmsweise die volle Wahrheit.
Balzac war käuflich, der Name, den seine Romane tragen, war es nicht. Während der zu Lebzeiten viel erfolgreichere Dumas den seinen auch unter Romane setzte, die er nie gelesen hatte, trieben selbst drückende Schulden und drohende Schuldhaft Balzac nicht dazu, mit seinem Namen eigene Werke zu zeichnen, als deren Autor der Verfasser der »Menschlichen Komödie« nicht gelten wollte. Mit seinem Ehrenkodex vereinbar war, gleichzeitig die Regierung und die Opposition mit gefälligen Artikeln zu beliefern oder, wurde der Druck der Gläubiger zu groß, sich von abenteuerlichen Spekulationsgeschäften, etwa von einer Ananaskultur nahe Paris oder der Ausbeutung sardischer Silberminen ein großes Vermögen zu erhoffen. Mit seinem Ehrenkodex vereinbar war nicht, den Namen zu verkaufen, den er sich mit seinen großen Romanen erschrieben hatte.
Im Kult des Namens, der wie eine seltene, kostbare Auszeichnung gehütet wird, erscheint das Risiko, ihn zu verlieren. Ihn nicht nur gegen die Unterhaltungsindustrie zu verteidigen, sondern dort sogar zu gewinnen, bedarf es, wie Benjamin in einer »Die Moderne« betitelten Studie über Charles Baudelaire darlegt, eines gewissen Heroismus:
Der Heros ist das wahre Subjekt der modernité. Das will besagen – um die Moderne zu leben, bedarf es einer heroischen Verfassung. Das war auch die Meinung Balzacs gewesen. Balzac und Baudelaire stehen mit ihr zur Romantik in Gegensatz. Sie verklären die Leidenschaften und die Entschlußkraft; die Romantik den Verzicht und die Hingabe.
Über Balzacs Romanfiguren schrieb Baudelaire: »Alle Seelen sind Schußwaffen, die bis an die Mündung des Laufes mit Willenskraft geladen sind.« Dieselbe Willenskraft haben Balzac wie Baudelaire bitter nötig. Beide sind nicht mehr, wie die Schriftsteller im 18. Jahrhundert, Lehrmeister und Fürsprecher eines bürgerlichen Publikums. Beide wenden sich an die Masse, ohne dort einen Adressaten zu finden, mit dem sie sich reinen Herzens und guten Gewissens solidarisieren können. Den resignativen Rückzug vom Markt und aus der Menge, den die fortan von der populären strikt getrennte ernste Literatur mit Flaubert einleitet, verweigern beide. Und da sie weder zurückweichen, noch die zeitgemäße Rolle des Schriftstellers als »Maître de Plaisir« spielen wollen, gilt für beide, was der gegen Balzac äußerst ungerechte Benjamin nur Baudelaire zugestehen wollte: »Baudelaire war ein Geheimagent – ein Agent der geheimen Unzufriedenheit seiner Klasse mit ihrer eigenen Herrschaft.«
Vielleicht, weil er in Balzac den Gleichgesinnten und Leidensgefährten, den Kollegen im Untergrund erkannte, hat Baudelaire ihn mit den folgenden Zeilen enttarnt:
Ja, er war es, er, der gewaltigste Händler- und Literatenkopf des neunzehnten Jahrhunderts; er, der das poetische Gehirn wie das Sprechzimmer eines Bankiers mit Zahlen tapeziert hat; er war es, der Mann mit dem mythologischen Bankrott, den hyperbolischen und phantasmagorischen Unternehmungen, deren Laterne er stets anzuzünden vergißt; der große Traumjäger, ohne Unterlaß auf der Suche nach dem Absoluten; er, die merkwürdigste, die wunderlichste, die interessanteste und eitelste Persönlichkeit der menschlichen Komödie, er, dieses Original, das im Leben so unerträglich wie köstlich in seinen Büchern ist, dieses dicke, von Genie und Eitelkeit strotzende Kind, das so viel Qualitäten und so viel Querköpfiges hat, daß man das eine einzuschränken zögert, aus Furcht das andere zu verlieren, und so diese unverbesserliche und unvermeidliche Ungeheuerlichkeit zu verderben.
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