Is this the end?. Georg Seeßlen

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Is this the end? - Georg Seeßlen

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darin eingelagert mag auch eine höchst unterschiedliche Art wirken, feministisch zu sein. Nicht nur weil es einen Unterschied macht, auf Privilegien zu verzichten oder sie gar nicht erst zu haben, sondern auch, weil es einen noch erheblicheren Unterschied macht, Verhältnisse als allgemein falsch oder persönlich unerträglich zu empfinden. Je mehr es indes um den Alltag und seine Ausgestaltung – also um Pop – geht, desto mehr verliert der Widerspruch von moralischem und politischem Antikapita­lismus an seiner Ausweglosigkeit. Im Kampf um die Qualität des Alltagslebens heben sich die Widersprüche zwischen den beiden Klassen, Bürgertum und Proletariat, der Mittelklasse und den blue collar workern auf, und zwar in doppeltem Sinne: Sie setzen sich auf der Ebene der Zeichen, Symbole, Narrationen und Bilder fort, und sie verbinden sich zu etwas Neuem, zu einem meta-klassenhaften Konglomerat von Information und Unterhaltung.

      Popkritik ist also immer auch die Kritik des Alltagslebens und dessen, was in es »hineinregiert«, die Interessen von Staaten und Ökonomien, die Interessen von Gruppen und Personen. Der Alltag ist nicht nur Widerschein des Politischen, der Alltag ist das Politische schlechthin. Es gibt in ihm und um ihn herum nichts Unpolitisches, wohl aber eine Unzahl von Elementen des Anti-Politischen, das heißt von Elementen, die die Verbindungen zwischen dem Alltag und der Geschichte, dem täglichen Leben und der Wirkung der Macht, unterbrechen wollen. Dreimal dürfen wir raten, wer davon profitiert, wenn die Kultur des Alltags sich von der Kultur der Entscheidungen und der Repräsentationen entfernt, und sei es, indem sie »Sprachen« entwickelt, in denen Alltag und Politik nicht mehr miteinander sprechen können. Statt also eine Möglichkeit zu entwickeln, Alltag und Geschichte miteinander kommunizieren zu lassen (das Ideal der Aufklärung in einer Industrie- und Post-Industrie­ge­sell­schaft), durch Information ebenso wie durch die Entwicklung von Projekten und Narrativen, hat sich Main­stream-Pop zu einer Sprache entwickelt, in der sich ökonomische und politische Interessen der Subjekte bemächtigen: Populäre Kultur soll ihre Adressaten auf eine Weise an ihren Alltag binden, dass sie beidem nichts mehr entgegensetzen. Pop heißt Profit, und Pop heißt Propaganda, und das Profitinteresse und den Propagandaeffekt herauszustellen, ist eine erste Aufgabe von Kritik.

      Aber nun lassen sich Profit und Propaganda immer nur so weit synchronisieren, wie es keinen Widerspruch zwischen Ökonomie und Politik gibt, das heißt in unserem Fall, dass der Kapitalismus vollkommen demokratieförmig, bzw. die Demokratie vollkommen kapitalförmig geworden wäre. Das freilich scheint genau so wenig möglich wie eine vollständige Kontrolle der Popkultur durch Markt und Zensur. Wir, die »subalternen Schichten«, das Gemisch von mehr oder weniger prekarisierten Lohnabhängigen und Alltagsmenschen, deren Klassenlage sich zunehmend nicht mehr ökonomisch, sondern kulturell bestimmt (reiche Prolls und arme »Bildungsbürger«, Milliardäre, die mit Hilfe des »Volkes« das »Establishment« stürzen wollen), wir sind immer noch ein undisziplinierter und widerspenstiger Haufen, aus dem immer wieder neben dem Hunger nach Unterhaltung auch ein Hunger nach Wahrheit aufscheint. Die ökonomische Struktur der Popkultur macht uns zu bedeutenden Mitproduzenten. So wenig sie »frei« und »demokratisch« produziert wird, so wenig kann sie uns einfach vorgesetzt werden. Man kann uns nicht zwingen, man muss uns verführen; man kann uns nicht mehr disziplinieren, man muss uns kontrollieren; man kann uns nicht ausschließlich belügen und verblöden, denn die Brüche, Widersprüche, Entblößungen und Demaskierungen lauern an allen Ecken und Enden. Gramsci forderte uns auf, eine »komplizierte, ideologische Arbeit« zu verrichten, um die Brüche und Widersprüche in der Alltagskultur, die verborgenen Wahrheiten und Enttarnungen, aber auch die verborgenen Wünsche und Hoffnungen ebenso sichtbar zu machen, wie Werbung und Propaganda.

      Die Herstellung des Alltagsverstands durch Popkultur und Warenwelt ist der Gegenstand meiner Idee von Popkritik, die weder von außen noch von oben kommt, sondern aus der Mitte von Empathie und Erschrecken, aus Nähe und intellektueller Distanz. Auch darin stimme ich mit Gramsci überein: Dieses »Intellektuelle« ist nur einerseits ein Berufsmerkmal, auf der anderen Seite ist es eine mögliche Haltung in jeder Lebenssituation, in jedem Arbeitsfeld, in jeder Kultur und Subkultur, in jeder Klassenlage. Mit den Intellektuellen verhält es sich wie mit der Kunst: Dass es berufsmäßige Künstler gibt, widerspricht nicht dem Statement, dass in jedem Menschen der Künstler als Möglichkeit steckt. Intellektuelle in diesem Sinn sind das Gegenteil von Experten, Wissenschaftlern oder Priestern, es handelt sich vielmehr um Menschen, welche die Felder der intellektuellen Auseinandersetzung zu erweitern und zu beschreiben haben. Die Intellektuellen haben nicht die Aufgabe, über den Alltagsverstand hinaus zu führen, sondern im Gegenteil, in ihn hineinzuarbeiten und, wie Gramsci das gefordert hat, eine Verbindung zu schaffen zwischen der Alltagskultur von uns gewöhnlichen Leuten und der »Hochkultur«, die angeblich oder tatsächlich sowohl Privilegien ausdrückt als auch an die Anwendung von Privilegien gebunden ist.

      Dabei gilt es, zwei Mythen zu entlarven. Der erste Mythos besagt, dass Popkultur simpel, kindlich und »volkstümlich« ist, leicht zugänglich und »leicht verdaulich« in ihrer seriellen Redundanz letztlich leer oder beliebig füllbar, tautologisch und unreflektiert. Das ist Quatsch, oder schlimmer, es ist Ideologie. Der zweite Mythos besagt, dass Hochkultur kompliziert und schwierig, prätentiös und hermetisch ist, schwer zugänglich und schwer verdaulich. Das ist genauso Quatsch und genauso ideologisch. Es ist gewiss kein Zufall, dass es in den rebellischen Zeiten, in den Zeiten einer stärkeren Präsenz von linker Kultur, zwischen Pop und Hochkultur keine unüberbrückbaren Grenzen gibt, die eine Seite nicht nur von der anderen profitiert, sondern beide Seiten von einer lustvollen Vereinigung träumen, während in den Zeiten der rechten Hegemonie taktisch und strategisch die volkstümliche gegen die elitäre Kultur ins Feld geführt werden. Die Differenz zwischen Popkultur und Hochkultur ist einerseits Ausdruck einer historischen und sozialen Entwicklung (man kann den Klassencharakter von Kultur nicht einfach leugnen, und eine Amalgamierung zum Beispiel in musikalischem Klassik-Kitsch ist das Letzte, was uns vo­ran­bringt), sie ist andererseits aber auch ein ideologisches Konstrukt. Vor allem aber entspricht sie Marketing-Interessen; beides verkauft sich besser als Abwehrzauber gegen das jeweils andere.

      Zweifellos unterscheidet sich eine Kritik des Pop-Pro­dukts von einer Kritik eines Kunstwerkes, nicht so sehr in Bezug auf die Qualität (was immer das sein mag), sondern in Bezug auf die Zeit. Sucht die Kunstkritik nach dem »Bleibenden«, dem, was Kulturen und Epochen miteinander gemeinsam haben, so spürt die Popkritik dem Gegenwärtigen nach. »Musik zur Zeit« lautet der treffende Untertitel der Zeitschrift Spex. Es geht darum, herauszufinden, was »signifikante Äußerungen zu einem bestimmten Zeitpunkt« (Ralf Hinz) sind. Das ist eine etwas abstraktere Bezeichnung des Umstands, dass man Pop immer nur aus dem Leben heraus kritisieren kann, und die Frage nach der bedeutenden Äußerung ist immer die Frage nach dem, was es mit uns zu tun hat (wer immer »wir« gerade sind). Ich kann also einen Beatles-Song mit Mitteln der Kunstkritik beschreiben (und bemerken, wie nahe er an einem Schubert-Lied ist), wie ich umgekehrt eine Botticelli-Ausstellung mit den Mitteln der Popkritik beschreiben kann (wie sehr uns solche Schönheit in den Alltag scheint oder auch nicht); Kunstkritik und Popkritik unterscheiden sich weder durch ihre Gegenstände – denn so, wie alles als Pop gesehen werden kann, kann auch alles als Kunst gesehen werden – noch durch ihre Haltung (Kunstkritik und Popkritik können beide demokratisch-kritisch oder reaktionär-mythisch sein, kann sich an linke wie rechte Diskurs-Modelle anlehnen, sie unterscheiden sich durch Absichten und Methoden. Jede Kunst enthält Pop, und etliches an Pop enthält Kunst.

      Dabei sind der chaotische, spontane, unbekümmerte und skizzenhafte Pop und die kohärente, systematische, homogene Hochkultur (um Gramscis Begriffe zu benutzen) auf­einander angewiesen, wenn es um Möglichkeiten von Wirkung und Veränderung geht; das eine ohne das andere ist kulturelles Gefängnis, Glocke, Tautologie, Entmachtung. Alles, was geschieht, ist im Übersprung zwischen Hochkultur und Pop, und umgekehrt ist nur zu leicht zu beschreiben, wem die strikte Trennung zwischen beidem nutzt. Pop (das Jetzt) und Hochkultur (das Archiv des Wissens) sind nicht als Verschmelzung, sondern im Dialog fruchtbar. Denn so wie Pop den Alltag und seinen Verstand (Verstehen und Verständnis) konstruiert, konstruiert die Hochkultur die großen Systeme, Staat, Bildung, Wissenschaft etc. Popkultur, die sich als Widerpart zur Hochkultur versteht, schneidet ihre Adressaten von den großen Systemen und ihren »Narrativen« ab; sie erzeugt ein wohliges Empfinden der Ohnmacht in der Geborgenheit, aber sie

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