Befreite Schöpfung. Leonardo Boff
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– Das Narmada-Bewässerungsprojekt, das zurzeit in Indien realisiert wird, beinhaltet den Bau von dreißig großen, 135 mittleren und dreitausend kleinen Dämmen, mit denen das Wasser des Narmada und seiner Zuflüsse nutzbar gemacht werden soll. Insgesamt geht man davon aus, dass durch das Projekt mehr als eine Million Menschen von ihrem Land vertrieben werden und dass 350.000 Hektar Wald zerstört werden, was zu einer Vernichtung empfindlicher Pflanzenarten und einer Massentötung von wild lebenden Tieren führt. Viele der Betroffenen sind Adivasi (indigene Bewohner), die das Land verlieren werden, das sie bereits seit Jahrtausenden bewohnen.
– Überall auf der Welt hat die Einführung von Hybrid-Saatgut im Zuge der „grünen Revolution“ zu kurzfristigen Steigerungen der landwirtschaftlichen Produktivität geführt, doch zu einem hohen Preis. Die neuen Sorten brauchen viel (und teuren) Kunstdünger und Pestizide, welche dem Wasser, dem Boden und der Gesundheit der Landarbeiter schaden. Viele der Sorten brauchen mehr Wasser, was eine extensive Bewässerung erforderlich macht (und genau das führt zu den riesigen Dammprojekten wie in Narmada). Die meisten der neuen Hochertragssorten werden als Monokulturen angepflanzt und verdrängen die traditionellen Mischkulturen. Die Landwirtschaft wird so anfälliger für Dürren, Schädlingsbefall und Krankheiten. (Dankelman/Davidson 1988) In jüngerer Zeit hat die Einführung von gentechnisch veränderten Feldfrüchten wie etwa herbizidresistenten Sojabohnen in Südamerika zu einer weiteren Konzentration des Reichtums bei den Großgrundbesitzern geführt und gleichzeitig die Vertreibung von kleineren Produzenten sowie die Zerstörung komplexer Ökosysteme gefördert.
– Die einst produktive Bauerngemeinde von Singrauli in Indien ist zu einem ökologischen Katastrophengebiet geworden, als ein Dutzend Kohletagebauten und eine Reihe von Kohlekraftwerken in der Gegend errichtet wurden. Die Kontamination des Bodens, der Luft und des Wassers hat zu einer epidemischen Ausbreitung von Tuberkulose, Hautirritationen und anderen Erkrankungen geführt. Siebentausend Menschen, von denen viele früher Bauern waren, arbeiten nun in den Minen. Patricia Adams bemerkt, dass die indische Presse Singrauli mit den „ersten Kreisen von Dantes Hölle“ verglichen hätten (1991).
– In Lesotho, Südafrika, realisiert die Regierung zusammen mit der Weltbank das Highland-Wasserprojekt, im Zuge dessen fünf größere Dämme, 200 Kilometer Tunnel und ein Wasserkraftwerk gebaut werden. Aufgrund der Flutung des Mohal-Dammes wurden 27.000 Siedler von ihren Farmen vertrieben. Ihnen wurde Hilfe bei der Ansiedlung in der Stadt versprochen, doch die meisten von ihnen haben niemals eine Entschädigung erhalten.
– Die größte Goldmine Südamerikas, Yanacocha, wurde in der Nähe von Cajamarca im peruanischen Hochland erschlossen. Für einen kleinen Teil der Bevölkerung bedeutete dies neuen Reichtum, doch die meisten wurden durch steigende Bodenpreise und steigende Preise für andere unverzichtbare Produkte geschädigt. Verbrechen und Prostitution nehmen ebenfalls zu. Zyanid ist ins Grundwasser eingedrungen und hat viele lokale Wasserquellen vergiftet. Mehrere Ströme zeigen bereits Anzeichen der Vergiftung. Darüber hinaus kontaminierte eine Quecksilberlache aus einem Lastwagen im Jahr 2002 einen vierzig Kilometer langen Straßenabschnitt, was zu Vergiftungen von fast tausend Anwohnern führte.
– Die Maquila-Freihandelszone an der Grenze zwischen Mexiko und den USA wurde geschaffen, um die wirtschaftliche Entwicklung Mexikos anzukurbeln. Arbeiter(-innen) (es sind meist Frauen) sind hier zu niedrigen Löhnen beschäftigt und einer großen Bandbreite von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Inzwischen ist das Grenzgebiet voller Umweltgifte, und schwere Schädigungen der Neugeborenen sind an der Tagesordnung.
All diese „Entwicklungsprojekte“ schaffen Wachstum nach dem Maßstab des BIP. Doch sie haben zu keiner besseren Lebensqualität der Bevölkerungsmehrheit geführt. Alle zerstören sie die natürlichen Ökosysteme und untergraben die Fähigkeit der Erde, Leben zu beherbergen. Dennoch beharren die meisten Wirtschaftsfachleute und „Entwicklungsexperten“ weiterhin darauf, dass der Weg zum Fortschritt über diese Art von Fehlentwicklung führe. Warum nur?
Die Zerstörung der Subsistenz
Ein Schlüsselproblem besteht darin, dass Entwicklung im westlichen Sinne, unter Rückgriff auf den irreführenden Indikator BIP, traditionelle Subsistenzwirtschaften nicht entsprechend wertschätzen kann. Das sind Wirtschaften, die auf die Produktion für den unmittelbaren, lokalen Konsum ausgerichtet sind. So wie die Bewohner von Ladakh vor einigen Jahrzehnten können sich die Menschen innerhalb einer Subsistenzwirtschaft einer recht hohen Lebensqualität erfreuen und Zeit für die Familie und kulturelle Aktivitäten haben, ohne dass viel Geld im Umlauf ist. Durch die verzerrende Brille der modernen Wirtschaft betrachtet, wird dieser Mangel an Bargeld-Transaktion als Armut gedeutet, als ein „Problem“, gegenüber dem man „Abhilfe“ schaffen muss.
Doch die indische Ökofeministin Vandana Shiva bemerkt: „Die kulturell bestimmte Wertung des Subsistenzdaseins als Armut gibt auch keine Auskunft über ein tatsächlich vorhandenes niedriges Niveau physischer Lebensqualität.“ (Shiva 1989 a, 22)14 Lokal erzeugte, unverarbeitete Lebensmittel, die ohne Chemikalien produziert wurden, sind fast immer gesünder als die Nahrung im Westen. Kleidung und Häuser, die aus natürlichen Materialien hergestellt wurden, sind oftmals dem lokalen Klima besser angepasst und fast immer eher erschwinglich. Shiva merkt an: „Und als kulturell befangenes Projekt zerstört diese Entwicklung ganzheitliche und tragfähige Lebensstile und löst so konkret erfahrbare, materielle Armut aus. Mit anderen Worten: Dieses Projekt lässt Elend entstehen, indem es die Voraussetzungen für das Leben selbst negiert und alle verfügbaren Ressourcen für die Warenproduktion abzieht.“ (Shiva 1989 a, 22). „Die Waren nehmen zu, doch die Natur ist verkümmert. Die Armutskrise des Südens kommt von der zunehmenden Knappheit von Wasser, Lebensmittel, Futter und Brennstoff, wie sie mit der wachsenden Fehlentwicklung und ökologischen Zerstörung eihergeht.“ (Shiva 1989 b, 5)
Die von den Befürwortern der Entwicklung verschriebene „Heilkur“ besteht also in Megaprojekten, in Feldfrüchten für den Export, in der Verstärkung der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. All diese Maßnahmen vermehren den Geldfluss, doch sie berauben die Armen auch ihrer Lebensmöglichkeit. Frauen sind oft die am stärksten Betroffenen eines solchen Wandels. „Diese Armutskrise trifft die Frauen am härtesten, erstens, weil sie unter den Armen die Ärmsten sind, und dann weil sie von Natur aus die Hauptstützen der Gesellschaft sind.“ (Shiva 1989 b, 5)
So werden zum Beispiel Subsistenzbauern, oftmals Frauen, häufig von der kommerziellen Landwirtschaft verdrängt und verlassen ihre Familien ohne irgendein Einkommen. Dies beschleunigt oft den Prozess der Urbanisierung, da die Familien, die aus ihrer traditionellen Wirtschaft herausgerissen werden, in den Städten auf Jobsuche gehen. Diese Jobs finden sich häufig im Niedriglohnsektor wie etwa in den Maquilas von Mexiko und Zentralamerika. Gleichzeitig geraten die lokalen Ökosysteme unter Druck, da Wälder abgeholzt und Pestizide eingeführt werden und da Fabriken und Minen das Land, das Wasser und die Luft verschmutzen. David Korten schließt daraus:
„Nach mehr als dreißig Jahren in der Entwicklungshilfe habe ich erst vor Kurzem das Ausmaß erkannt, in dem das Entwicklungsprojekt des Westens den Leuten die traditionellen Mittel für ihr Leben genommen und die von den Familien und den Gemeinden geschaffenen Sicherheitsnetze zerstört hat, um eine Abhängigkeit von den Jobs und Produkten der Konzerne zu erzeugen. Es ist die Fortsetzung jenes Prozesses, der mit der Einzäunung bzw. Privatisierung von Land in Gemeineigentum in England begann, um die Gewinne der Produktion in den Händen einiger weniger anstatt der Vielen zu konzentrieren […] Landwirtschaft, Verwaltung, ein Gesundheitswesen und Erziehung unter lokaler Kontrolle und in gegenseitiger Unterstützung [werden ersetzt] durch Systeme, die für eine zentrale Kontrolle besser handhabbar sind.“ (1995, 251)